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Trump, Putin und EuropaDies ist unser Krieg

Kommentar von Barbara Oertel

Wer in Europa denkt, der Krieg in der Ukraine ginge uns nichts an, träumt. Das Überleben der Ukraine ist auch für Europa unerlässlich.

Ukrainischer Protest anlässlich der Sicherheitskonferenz in München am 15. Februar Foto: Andreas Stroh/imago

S pätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende schreiben sich Ex­per­t*in­nen und Kom­men­ta­to­r*in­nen die Finger wund bei dem Versuch, die Äußerungen aus dem Weißen Haus zu einem Bild zusammenzusetzen. Die Konturen werden immer deutlicher. Von US-Präsident Donald Trump haben wir gelernt, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein „Diktator“ und zu großen Teilen für den verheerenden Krieg verantwortlich ist, der jetzt in das vierte Jahr geht.

Sollte Selenskyj in der kommenden Woche von Trump auch noch zum Aggressor befördert werden, würde das auch niemanden mehr wundern. Schön, dass es da noch Konstanten im Leben gibt, siehe Russlands Präsident Wladimir Putin – von Trump geadelt zu einem Verhandlungspartner auf Augenhöhe. An der Agenda des Kremlchefs, die Ukraine als Staat auszulöschen, hat sich seit Kriegsbeginn nichts geändert.

Angriffe, vor allem auf die kritische Infrastruktur, fordern fast täglich weitere Tote und Verletzte. In den von Russland völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebieten werden die Menschen Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese juristisch zu ahnden, könnte, je nach Entwicklung, noch schwieriger bis gar unmöglich werden. Das alles ist seit dem 24. Februar 2022 Alltag in der Ukraine.

Doch wer redet angesichts massiver geopolitischer Erschütterungen derzeit überhaupt noch davon? Wenn Putin seine Ziele nicht auf dem Schlachtfeld erreicht, warum es dann nicht einmal „diplomatisch“ versuchen. Das frühlingshafte Tauwetter zwischen Washington und Moskau macht es möglich. Genau aus diesem Grund sind Präsidentenwahlen in der Ukraine, wie sie von Trump und Putin gefordert werden, mehr als eine Petitesse. Dieses Vorhaben wäre für die Ukraine suizidal.

Eine Marionette als Präsident

Dabei ist der perfide Plan dahinter offensichtlich: Aushandlung eines Waffenstillstandes (ohne Kyjiw), danach Wahlen und schließlich die Unterzeichnung eines wie auch immer gearteten Friedensabkommens durch einen anderen Präsidenten als Selenskyj, der zwar noch immer die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung genießt, dessen man sich aber zeitnah zu entledigen versucht.

Sollte der „Neue“ nicht für die Rolle einer willfährigen Marionette Moskaus taugen, könnte Putin erneut die Legitimitätsfrage aufwerfen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Immerhin scheint Europa endlich aufgewacht zu sein, allein es fehlt ein Plan. Die immer wiederkehrende Beteuerung, man stehe fest an der Seite der Ukraine, hat die Realität jedoch längst eingeholt, denn eine Wahl gibt es nicht mehr.

So ist die Beantwortung der Frage nach Sicherheitsgarantien nicht nur eine existenzielle für die Ukraine, sondern auch eine (Über)lebensversicherung für Europa. Noch immer gibt es Stimmen, die behaupten, der Krieg in der Ukraine sei nicht unser Krieg. Oh doch, das ist er. Und zwar mehr denn je.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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14 Kommentare

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  • "Genau aus diesem Grund sind Präsidentenwahlen in der Ukraine, wie sie von Trump und Putin gefordert werden, mehr als eine Petitesse. Dieses Vorhaben wäre für die Ukraine suizidal."



    Inhaltlich verstehe ich den Einwand, aber demokratietheoretisch nicht dessen Begründung, weil der Souverän auch in der Ukraine das Fundament bildet.



    Bei zeit.de



    "... "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Das bedeutet: Das Volk selbst ist Träger der staatlichen Gewalt; und es geht dabei nicht um ein Volk, das der Führung durch "die da oben" bedarf. Es handelt sich im Gegenteil um ein Volk von freien Staatsbürgern.



    An dieses klare Bekenntnis des Grundgesetzes zur Demokratie schließt sich der Grundsatz der Gewaltenteilung an – festgelegt im Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes. Es ist das entscheidende Organisationsprinzip unseres freiheitlichen Rechtsstaates."..."



    Wenn wir Angst vor Wahlen haben, ist das Prinzip zerstört.



    Zur Demophobie bei fr.de



    "Die prominente Autorin Gertrude Lübbe-Wolff geht von einem erstaunlichen Befund aus, von einer politischen Trendumkehr, die sie zu dem sprechenden Titel „Demophobie“ anregt: Die politischen Parteien in Deutschland fürchten sich seit einigen Jahren vor..."



    Oops!

  • Wenn man jetzt noch die diversen, subversiven Aktivitäten Russlands hierzulande miteinbezieht in die Betrachtung, dann kann man auch getrost sagen, dass wir uns mittlerweile im Krieg mit Russland befinden. Das russische Staatsfernsehen macht daraus auch keinen Hehl.



    Wäre nur schön wenn das unserer Politiker*innen und Bevölkerung auch begreifen würde.



    Wir haben wahrlich größere Probleme als ein paar Immigranten und "faule" Arbeitslose

  • Der russische Angriffskrieg hat unendliches Leid über das ukrainische Volk gebracht und ist unentschuldbar.



    Gerade jetzt wäre es wichtig sachlich zu bleiben anstatt diesen Krieg immer mehr zu unserem Krieg zu machen. Das war er am Anfang nämlich keinesfalls.



    Letztendlich schaden wir mit diesem Ansatz nicht nur uns, sondern vor allem Dingen der Ukraine. Man kann keinen Krieg gegen einen Atommacht gewinnen, die nicht bereit ist sich besiegen zu lassen. Das die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist bei dem Versuch hat die Bidenregierung ja im Herbst 22 erkannt (Stichwort Armageddon Rede von Biden).



    2014 hat Europa anders reagiert und konnte so großen Einfluss auf den Konflikt nehmen. Die Minsker Abkommen sind inzwischen sehr verruffen, jedoch hatten sie einen größeren Krieg verhindert. selbst ein "Minsk III" Abkommen wäre besser als das was Trump momentan vorbereitet. Leider wird so etwas jeden Tag unwahrscheinlich durch die jetzige europäische Politik.

    • @Alexander Schulz:

      "Man kann keinen Krieg gegen einen Atommacht gewinnen, die nicht bereit ist sich besiegen zu lassen. " heisst in letzter Konsequenz: Unterwerfen wir uns doch einfach Russland! Für ein Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon!



      Welchen Einfluss konnte Europa 2014 nehmen? Wir sehen doch gerade die Folgen...

  • Pathos macht noch keine Strategie. Jahrzehntelang hat sich Europa darauf fokussiert, die eigenen Interessen und Vorstellungen im Windschatten der USA durchzusetzen. Noch immer behauptet Europa, es ginge darum, die eigenen Werte zu verteidigen und merkt nicht einmal, wie viel kulturelle Arroganz in diesem Anspruch steckt. 2022, als der russische Angriff auf die Ukraine kurz bevorstand, wollte man die Warnungen aus den USA nicht wahrhaben und war geschlossen mit den USA dafür, keinesfalls militärisch einzuschreiten und keine militärische Drohkulisse für den Fall eines russischen Angriffs aufzubauen. Erst als die Ukraine die erste Welle stoppen konnte, war man zögerlich bereit, die Ukraine mit Geld und Ausrüstung zu unterstützen. Dabei hat man immer darauf geachtet, die direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden und eigene Wirtschaftsinteressen zu schützen. Wegen dieser egoistischen und dann noch zögerlichen Haltung, hat man den Krieg in der Ukraine immer mehr zu unserem Krieg gemacht. Friedensarbeit muss man in Friedenszeiten leisten und Abschreckung funktioniert nur, wenn man glaubhaft macht, die Waffen auch einsetzen zu wollen.

  • Natürlich ist der Krieg gegen die Ukraine ein sehr relevantes Thema für Europa…aber die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht so einfach kompensieren.



    Ein (unschönes) Beispiel: Wenn sich USA und Putin auf ein Konzept des „Frieden“ einigen, bleibt der EU nur die (gerechtfertigte) Empörung oder die Rolle „des sterbenden Schwans“.



    Viel zulange wurde die Notwendigkeit machtpolitischer Positionen zugunsten von ideologischer Wertediskussion vernachlässigt.

  • "schreiben sich Ex­per­t*in­nen und Kom­men­ta­to­r*in­nen die Finger wund bei dem Versuch, die Äußerungen aus dem Weißen Haus zu einem Bild zusammenzusetzen."

    Dem, der immer noch nicht in der Lage ist, sich einen konsistenten Reim auf die Entwicklungen in den USA zu manchen, ist wirklich nicht mehr zu helfen.



    Die USA verwandeln sich offensichtlich mit rasender Geschwindigkeit in eine lupenreine Diktatur, an deren Spitze ein von Vorsehung gesalbte Führer steht.



    Die Gleichschaltung der staatlichen Institutionen ist im vollen Gang, auch wenn es noch Gerichte gibt, die mehr oder weniger verzweifelt Widerstand leisten. Letztendlich endet doch all dieser Widerstand vor dem Obersten Gerichthof, der schon lange in der Hand der Putschisten ist.



    Auch die Zivilgesellschaft scheint sich gegen den Umsturz kaum zu wehren.



    Europa sollte sich deshalb von der Hoffnung lösen, dass sich verhängnisvolle Entwicklung in den USA bald umkehren wird. Wenn der Alte Kontinent als letzter Hort von Freiheit und Demokratie überleben will, muss er jetzt Schritte unternehmen, um dieses hohe Gut zu schützen. Koste es, was es wolle!

  • Ich hoffe darauf, dass die Ukraine "so eine Art Schweiz" werden kann. Mit ihren u.a. "Seltenen Erden" hat sie hoffentlich recht gute Voraussetzungen dafür.

    • @*Sabine*:

      Das Problem ist, dass diese tendenziell im Ostteil der Ukraine leben. Der Donbas ist sowas wie das Ruhrgebiet der Ukraine. Heißt: Die Russen haben schon viele dieser Ressourcen und bekommen jeden Tag mehr davon.



      Aber ja, eine "Schweiz" wäre besser als das, was die Ukraine jetzt hat.

  • >Noch immer gibt es Stimmen, die behaupten, der Krieg in der Ukraine sei nicht unser Krieg. Oh doch, das ist er. Und zwar mehr denn je.

    Darf man so sehen. Aber dann wäre immer noch zu klären, auf wessen Seite die Nato, deren Hauptstaat ja wohl bekannt ist, dort mitmischt. Und das ist seit zwei Wochen weniger klar denn je.

  • ""....die Beantwortung der Frage nach Sicherheitsgarantien (ist) nicht nur eine existenzielle für die Ukraine, sondern auch eine (Über)lebensversicherung für Europa.""

    ===

    1..Die Ukraine stellt trotz einem Gebietsverlust durch den russischen Angreifer von ca. 20% an der östlichen Grenze des Landes immer noch ein Bollwerk gegen den furchtbaren Neoimperialismus Putins dar. Wenn es Putin schafft die staatliche Souveränität der Ukraine zu vernichten gibt es nichts mehr was ihn hindern würde Polen, das Baltikum, Moldau & Rumänien anzugreifen.

    2..Die Ukraine hat ca. eine Million Kämpfer mobilisiert die den Abwehrkampf seit 3 Jahren erfolgreich mit dem Einsatz ihres Lebens auf eine bewundernswerte Art und Weise bewerkstelligen.

    3..Dir Ukraine braucht Waffen aller Art & vor allen Dingen Raketen, Unterseeboote & Drohnen von denen sie viele hundert Schuss täglich abfeuern können muss um den Agressor aufhalten zu können -- diese sollten aus Europa ab sofort ausreichend geliefert werden.

    4.. Nachdem Trump den Natobeistandsartikel 5 des Natovertrages



    beschädigt hat benötigt Europa neue verlässliche Sicherheiten um Europa vor räuberischen Überfällen zu schützen.

    • @zartbitter:

      Gegenfrage: Wenn die Ukraine mit 1 Millionen Mann die Russen aufhalten konnte. Warum sollte dann Europa Angst vor den Russen haben. Das ist nicht mehr die Sowjetunion, sondern das relativ kleine Russland. EU: 450 Millionen Menschen. Russland: 150 Millionen Menschen.



      Und die Balten: Warum sollte er winzige Länder ohne strategische Relevanz erobern wollen, die ihn nur Geld (Besatzung) kosten?

  • Mich erinnert die nun auch vom amerikanischen Präsidenten nachgeplapperte russische Sicht der Dinge an einen alten Spruch: „Jeder Mist ist wohlschmeckend und gutriechend. Schließlich können sich Millionen Fliegen nicht irren. Weigel-Wagenknecht-Wahnsinn in Reinkultur.