Video von Enthauptung eines Ukrainers: „Übersteigt die Taten von Butscha“
Das Video über die mutmaßliche Enthauptung eines Ukrainers sorgt für breites Entsetzen. Auch Russland verspricht eine Untersuchung des Falls.
„Ich habe seit Jahren, vor allem aber seit dem 24. Februar 2022 viel mit Menschenrechtsverletzungen von russischen Militärs, mit Vergewaltigungen, Gewalt und Morden zu tun. Aber dieses Video hat sogar mich schockiert“, berichtet Tamila Bespala, Rechtsanwältin der Menschenrechtsgruppe Charkiw, gegenüber der taz. „Und das ist erneut ein Beweis dafür, dass wir es mit einem Genozid zu tun haben.“
Der ukrainische Präsident äußerte sich ebenfalls zu dem Video. Das sei leider kein Einzelfall, kommentierte Wolodimir Selenski. „Wir hatten das in Butscha. Wir hatten so etwas tausende Male. Wir vergessen nichts. Wir werden den Mördern nicht verzeihen.“ Auch Menschenrechtsanwältin Bespala sagt: Was in Butscha und Irpen passiert sei, sei bekannt. „Doch das Ausmaß an Vergewaltigungen und Folter, was wir aus den Orten im Gebiet Charkiw wissen, die einige Monate besetzt waren, übersteigt noch um einiges die Verbrechen von Butscha und Irpin“, sagt sie.
Kein Wunder also, dass derartige Verbrechen den Hass auf Russland und die Russen in der Ukraine weiter schüren. Die Hinrichtung zeige, so der ukrainische Journalist Denis Kasanki auf gordonua.com, dass die russischen Militärs „Abschaum der menschlichen Rasse“ seien.
Vor dem Hintergrund des Videos forderte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Ausschluss Russlands aus den Vereinten Nationen. Nun werde man das Enthaupten von Gefangenen nicht mehr mit der islamistischen Terrormiliz IS, sondern mit der russischen Besatzungsarmee assoziieren, sagte Ilja Baravanow vom russischen Dienst der BBC. Und für Petr Andrjuschenko, Berater des Bürgermeisters von Mariupol, ist klar, dass es nun gelte, „die russische Pseudokultur vollständig zu vernichten“.
Auch Russland äußerte sich: „Das ist in der Tat ein schreckliches Filmmaterial“, erklärte Dmitri Peskow, Sprecher von Kremlchef Wladimir Putin. Aber man müsse zunächst prüfen, ob das Material echt sei. Am Donnerstag kündigte die russische Staatsanwaltschaft denn auch eine Untersuchung an. Das Video sei an Untersuchungsbehörden weitergeleitet worden, um die „Echtheit des Inhalts“ zu prüfen und eine „angemessene“ Schlussfolgerung“ ziehen zu können, teilte die Generalstaatsanwaltschaft via Telegram mit. Die vorläufige Untersuchung kann in ein formelles Ermittlungsverfahren münden, zwangsläufig ist dies aber nicht.
Russlands Ankündigung ist ungewöhnlich
Die Ankündigung Russlands ist ungewöhnlich. Üblicherweise weist die Regierung alle Anschuldigungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine zurück. Ein kleines Hoffnungszeichen sieht auch Tamila Bespala. „Wir arbeiten mit Menschenrechtlern in Russland eng zusammen. Und von diesen haben wir gehört, dass in Russland Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen an Ukrainern verurteilt worden sind“, sagt sie. „Ich glaube, die haben begriffen, dass sie sich früher oder später für derartige Verbrechen verantworten müssen. Und da sicherten sie sich im Vorfeld schon mit derartigen Urteilen ab.“
Doch derartige Verbrechen, so Bespala, geschehen in einem gewissen Kontext. Ohne Befehl oder zumindest stillschweigende Einwilligung wären diese Hinrichtung und andere Verbrechen nicht möglich gewesen. „Bestraft werden müssen die Auftraggeber und die, die derartige Verbrechen erlaubt haben“, fordert Bespala, die im Auftrag der Menschenrechtsgruppe Charkiw Kriegsverbrechen dokumentiert und diese dem internationalen Gerichtshof in Den Haag übermittelt.
Dabei ist das jüngst bekannt gewordene Video nicht die einzige Aufnahme von Misshandlungen und Hinrichtungen ukrainischer Militärs. Ende Juli vergangenen Jahres, so die Novaya Gazeta, kursierte im Internet ein Video von der brutalen Misshandlung eines Soldaten, dessen Uniform der ukrainischen ähnelte. Es zeigt einen Mann mit einem „Z“, dem Symbol der russischen Besatzungstruppen, der dem Gefangenen mit einem Teppichmesser die Genitalien abschneidet. In einem anderen Video, so das Blatt, wird einem Gefangenen in den Kopf geschossen.
Erst Ende März hatte die UN-Kommission zur Überwachung der Menschenrechte sowohl der russischen als auch der ukrainischen Seite die Exekution von Kriegsgefangenen vorgeworfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe