Tröglitz nach dem Brandanschlag: Das Dorf und die Schande
Ein Flüchtlingsheim hat gebrannt. Der Ministerpräsident ist angereist. Die Menschen kommen zusammen – aber in verschiedenen Grüppchen.
TRÖGLITZ taz | Am Samstagnachmittag liegt nur noch schwacher Brandgeruch an der Ecke Karl-Marx- und Ernst-Thälmann-Straße, in Tröglitz, eine halbe Stunde südlich von Leipzig. Ein Polizeibus bewacht die Ruine des gelben Mehrfamilienhauses. Der gesamte Dachstuhl des Hauses, das 40 Flüchtlingen ab Mai Wohnraum bieten sollte, ist zerstört.
Verschmorte Balken ragen aus den roten Dachpfannen, im Garten liegen Wandverkleidungen, die die Feuerwehrleute in der Nacht herausgerissen haben. „Definitiv besonders schwere Brandstiftung“, hatte der Staatsanwalt Jörg Wilkmann am Mittag erklärt. Eine „gemeingefährliche Straftat schlimmster Art.“ Jetzt fegen ein paar Anwohner die Straße, sie schauen krampfhaft an den Journalisten vorbei. Wenn sich ihnen jemand nährt, flüchten sie ins Haus. Nein, sie wollen „ganz bestimmt nichts sagen“, sagt einer im Weggehen.
Die, die reden wollen, haben sich ein Stück weiter die Straße herunter versammelt, auf dem Platz zwischen der Apotheke und der Lotto-Annahmestelle. Etwa 250 Menschen sind zu einer Kundgebung erschienen. Eine junge Frau wirft lilafarbenes und goldenes Glitzerpulver durch die Luft, „Tröglitza“ ruft sie, während es auf die Köpfe rieselt. Nicht bei allen fällt der Groschen sofort. „Na Tröglitza, weil es hier doch bunt sein soll“, schiebt sie nach und wirft die nächste Ladung.
Aufgerufen hat die Initiative „Du bist Tröglitz“. Hinter der steckt unter anderem der Ex-Bürgermeister Markus Nierth. Der war bundesweit bekannt geworden, nachdem er Anfang März aus Angst vor der NPD zurückgetreten war. Die hatte angedroht, die wöchentlichen Proteste gegen das jetzt angezündete Flüchtlingsheim auch vor Nierths Wohnhaus vorbeilaufen zu lassen. Von dem Brand werde sich Tröglitz „wohl nie erholen“, sagt Nierth jetzt. Er sei eine „bleibende Schande für Tröglitz, die uns nun mit Mölln und Hoyerswerda in eine Reihe bringt“.
„Das war nicht die finale Botschaft heute Nacht“
Um das zu verhindern, ist auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gekommen. Er steht auf einer Bank, der kleine Lautsprecher drückt seine Stimme nur schwach durch die Menge, schon die mittleren Reihen können nicht mehr hören, was er sagt. „Dieses abgebrannte Haus wird nicht das Wahrzeichen von Tröglitz werden, das war nicht die finale Botschaft heute Nacht“, sagt er. Er habe eine „Spezialgruppe gebildet“, die „diese Gangster überführen wird“, versichert Haseloff.
Und am Ende, daran glaube er fest, werde Tröglitz „international als weltoffener Ort wahrgenommen. Diese Botschaft, die senden wir gemeinsam.“ Jeder, der sich nach den Ereignissen der Nacht noch unschlüssig sei, auf welcher Seite er steht, „der muss sich fragen, ob er mit diesen Verbrechern in einem Topf geworfen werden will.“
Götz Ulrich, der Landrat des Burgenlandkreises versichert, dass trotz des Brandes Flüchtlinge nach Tröglitz kommen werden, „auch wenn es hier jetzt keine geeignete Immobilie mehr gibt. Wir werden nicht weichen und wir werden die Unterbringung hier trotzdem durchführen.“
Die meisten im Publikum klatschen, ein paar stänkern leise. „Das war doch gar kein Ausländerheim, das war ja noch mit mal fertig gebaut“, sagt ein Mann. „Und wer behauptet denn, dass wir gegen Ausländer sind? Wir wollen nur keine Neger mit Goldketten hier. Kriegsflüchtlinge ja, aber die nicht“, sagt sein Freund. Sie sind in der Defensive. Als einer der Umstehenden sie anherrscht, sie sollen „die Schnauze halten und sich verpissen“, pöbeln sie nicht zurück.
Wie eine Sozialarbeiterin
Die Frau des zurückgetretenen Bürgermeisters ergreift das Mikrofon und redet den Tröglitzern ins Gewissen, als sei sie die Sozialarbeiterin in einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche. „Ihr habt es nicht verdient, dass jetzt überall der Eindruck entsteht, ihr seid gegen Ausländer“, sagt sie. „Deswegen müsst ihr jetzt Eure Stimme erheben.“ Sie hoffe, „dass ihr begreift, dass wir keine Angst haben müssen vor 40 Menschen.“
Zuerst müssten sich die Tröglitzer dafür von ihren falschen Freunden lösen: „Ihr habt Leute eingeladen, die euch aufpeitschen.“ Und wie um den neuen Pakt zu bekräftigen, fordert sie, „fassen wir uns jetzt alle an den Händen“. Tatsächlich greifen alle die Hände der Nebenstehenden und rufen „Wir sind Tröglitz, wir sind füreinander da“, wie eine etwas überdrehte Kleinfamilie vor dem Mittagessen.
Die neuen Bewohner hätte Tröglitz gut gebrauchen können: Um 25 Prozent ist die Einwohnerzahl in den letzten sieben Jahren gesunken. Doch noch bevor sie gekommen sind, haben die Flüchtlinge das Dorf geteilt. Während der Kundgebung stehen ein paar Rechte in Thor-Steinar-Jacken abseits, sie rauchen und verfolgen die Reden mit verschränkten Armen und aufgesetzten Kapuzen, sagen aber nichts.
Damit wollen sie nichts zu tun haben
Als die Menge sich auflöst, bleibt eine kleine Gruppe am Rand des Platzes zurück. Es sind die Organisatoren der Initiative „Tröglitzer Gemeinschaft“. Seit Dezember waren sie jede Woche durch das Dorf „spaziert“, wie sie es nannten, jetzt werden sie für die Brandstiftung mitverantwortlich gemacht. Doch damit hätten sie „nichts zu tun, das ist eine riesengroße Schweinerei“, sagt Holger Hellmann.
Er hat die sogenannten Spaziergänge initiiert, als er erfahren hatte, dass Flüchtlinge nach Tröglitz kommen sollten. „Ich habe gesagt: Dafür haben wir Geld, aber für unsere Jugend haben wir nichts.“ Allerdings sei es eine „Lüge“, dass die Initiative gegen Flüchtlinge insgesamt sei: „Wir wollen nur keine jungen Männer“, sagt er. „Wenn sie uns Familien schicken, das ist etwas anderes. Dann helfen wir mit.“ Was an jungen Männern so schlimm sei? „Wir haben Angst um die Kinder, um die Frauen, und davor, dass sie Drogen mitbringen.“
Da ging auch die NPD mit: Ab Mitte Januar meldete einer ihrer Kader die Spaziergänge offiziell an. Für Hellmann war das kein Problem: „Das hat der ja als Privatperson gemacht.“ Ob er nun, nach dem Brand, weiter protestieren wolle? „Die Spaziergänge waren ja von vornherein nur bis zum 15. März geplant“, sagt Hellmann. An diesem Tag sollte die Kreisverwaltung darüber entscheiden, wie viele Flüchtlinge nach Tröglitz verlegt werden. „Allerdings würde ich jetzt gerne schon weiter machen“, sagt Hellmann. Wie, das wisse er nicht so genau, „ein Rockkonzert vielleicht“. Aber, so schwant ihm, „jetzt geht das wohl erst mal nicht.“
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