Totalausfall von Friedrich Merz: Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Bei seiner letzten Wahlkampfrede bezeichnet Friedrich Merz die israelische Flagge als „Judenfahne“ und verdreht Tatsachen. Es hagelt Kritik.
Wörtlich stelle Merz in seiner Rede bei der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung in München die rhetorische Frage, wo der „Aufstand der Anständigen“ geblieben sei, „als in diesem Land Palästinenserflaggen geschwenkt wurden, ‚From the River to the Sea‘ gesungen wurde, als Judenfahnen, als Fahnen des Staates Israel verbrannt wurden?“
An die Demonstrant:innen gegen rechts gerichtet hatte er gefragt: „Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von Rechtsradikalen?“ Mit dieser Aussage verdrehte Merz die Tatsachen. Tage und Wochen nach Lübckes Ermordung demonstrierten tausende Menschen gegen Rechtsextremismus. Auffällig zurückhaltend blieb dagegen die Union, wie die taz im Jahr 2019 berichtete.
Allgemein erteilte er der Verbindung von Wirtschafts- und Klimapolitik eine Absage und zog rechte Mehrheiten zur Begründung heran: „Links ist vorbei. Es gibt keine linke Politik und keine linke Mehrheit mehr in Deutschland.“ Die Union werde „wieder Politik machen für die Mehrheit der Bevölkerung“ und nicht für „irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“. (Ab Minute 40 in seiner Rede)
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Die Spitze der SPD warf dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vor, das Land zu spalten. „Friedrich Merz macht auf den letzten Metern des Wahlkampfes die Gräben in der demokratischen Mitte unseres Landes nochmals tiefer“, kritisierte SPD-Chef Lars Klingbeil. Generalsekretär Matthias Miersch sprach vom Tiefpunkt des Wahlkampfes. „Statt zu einem, entscheidet sich Friedrich Merz, noch einmal richtig zu spalten. So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will – so spricht ein Mini-Trump“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Empörung wegen „Judenfahne“
Die Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch kommentierte das am Wahlsonntag auf X: „‚Judenfahnen‘, Herr @FriedrichMerz? Echt jetzt? Noch alle Tassen im Schrank?“, schrieb die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der vergangenen Landtagswahl in der Hauptstadt. Sie bezog sich damit auch auf Merz' Äußerung, dass die CDU eine Politik für „die Mehrheit“ mache, also für jene, die noch „alle Tassen im Schrank“ hätten.
Der Soziologe Jules El-Khatib, ehemaliger Linken-Politiker und bei der Landtagswahl 2022 Spitzenkandidat der Partei, schrieb: „Die Gleichsetzung von Israel und Judentum stellt Antisemitismus dar. Stellt euch vor, so etwas hätte Mohammed gesagt, es gäbe einen Aufschrei, doch wenn Friedrich von der CDU es sagt, ist es kein Problem.“
Verdrehte Tatsachen und Antisemitismus
Laut der International Holocaust Remembrance Alliance stellt es eine Form von Antisemitismus dar, den Staat Israel mit dem Judentum gleichzusetzen. In rechtsextremen Kreisen ist es weit verbreitet, die israelische Fahne als „Judenfahne“ zu bezeichnen.
Merz bezog sich auf keine realen Vorfälle in den vergangenen Monaten. Den propalästinensischen Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ ließ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schon im Oktober 2023 verbieten. Die Polizei greift seitdem hart durch, wenn dieser Slogan geäußert wird, weswegen er in den letzten Wochen und Monaten auf keinen Demonstrationen zu hören war.
Ausländische Fahnen öffentlich zu verbrennen, ist bereits seit Juni 2020 verboten. Damit reagierte die Regierung auf das Verbrennen israelischer Fahnen bei Demonstrationen – darunter im Dezember 2017 in Berlin bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor.
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