Illustration der " Dumbokatze"

Illustration: Eléonore Roedel

Tierwelt der Zukunft:Die Zebrahirsche kommen

Was passiert mit der Tierwelt, wenn die Menschen ausgestorben sind? Ein Evolutionsforscher hat mit der taz fünf Tiere der Zukunft entwickelt.

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29.1.2023, 12:06  Uhr

Die Erderwärmung wird nicht nur unser Leben radikal verändern, sondern auch das der Tierwelt. Viele Tiere werden aussterben. Doch manchen Arten könnte es gelingen, sich mit den Änderungen zu arrangieren und zu neuen Arten weiterzuentwickeln. Zusammen mit dem Paläontologen Philipe Havlik hat die wochentaz fünf Tiere entwickelt, die durch die veränderten Lebensbedingungen dort, wo heute Deutschland liegt, entstehen könnten.

Philipe Havlik ist Doktorand am Institut für angewandte Geowissenschaften an der Universität in Darmstadt und außerdem leitender Kurator des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt am Main. Als Urzeitforscher erforscht er die Entwicklung des Lebens über einen Zeitraum von Millionen von Jahren unter dem Einfluss verschiedener Klimaveränderungen. Er weiß deswegen, wie evolutionäre Veränderung funktioniert.

Dieses Wissen haben wir auf ein mögliches Zukunftsszenario angewendet: Der Weltklimarat geht davon aus, dass sich die Erde im schlimmsten Fall bis zum Jahr 2100 um 5 Grad Celsius oder mehr erwärmen könnte. Auf dieser Grundlage gehen wir bei unserem Szenario von einer Welt aus, in der die menschliche Spezies nicht überlebt hat, wohl aber fünf Tierarten, die sich mit den wärmeren Temperaturen und dem steigenden Meeresspiegel arrangiert haben.

Wie genau sich die Tiere unter diesen veränderten Umweltbedingungen entwickeln könnten, darüber gibt die bisherige Evolutionsgeschichte Aufschluss. Evolution braucht vor allem eins: Zeit. Wie viel, ist nicht vorhersagbar. Bis sich bestimmte Merkmale einer Spezies bei allen Nachfahren durchgesetzt haben, kann es Hunderte Generationen dauern.

Zentral ist dabei der Begriff der „natürlichen Auslese“, bei der also vor allem jene Tiere einer Generation überleben, die am besten geeignet sind, in einer veränderten Umwelt zu überleben. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel wie stark die Temperaturen schwanken, wie oft es regnet oder die Anzahl der Nachkommen pro Generation. Unsere Liliput-Schweine könnten schon in wenigen Tausend Jahren entstehen, sobald der Meeresspiegel steigt und Norddeutschland im Meer versinkt. Unser Krokodil dagegen braucht eine deutlich höhere Durchschnittstemperatur, um in Nordeuropa zu überleben, und kann sich deshalb erst spät entwickeln.

Kommen Sie mit uns in ein Gedankenexperiment, bei dem wir das Gelernte aus der Vergangenheit mit der Zukunft verbinden. Aber Achtung! Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Denn unser Sumpfkrokodil hat noch nie Menschenfleisch gekostet!

Der Zebrahirsch
Illustration des "Zebrahirschs"

Das Geweih des Zebrahirsches ist ausladender als das seiner Vorfahren Illustration: Eléonore Roedel

Im heutigen Brandenburg erstreckt sich in ferner Zukunft eine weite Savannenlandschaft. In diesem Biotop lebt ein mächtiger Geweihträger: der Zebrahirsch (Cervus zebrae). Anders als sein Vorfahre, der Rothirsch, hat sein Fell ein Streifenmuster. Zwischen den hohen Grashalmen und dem Flimmern der heißen Luft der Savanne eine überlebenswichtige Tarnung. Denn große Beutegreifer wie der afrikanische Löwe sind über den asiatischen Landweg zurück nach Europa gekommen. Neben dem Camouflagemuster hat der Zebrahirsch eine gefährliche Defensivwaffe: Sein Geweih ist deutlich größer als das seiner Vorfahren, da er sich nicht mehr im dicht bewachsenen Wald zwischen Bäumen bewegen muss.

Biologischer Hintergrund: Die verschiedenen Arten der Gattung Equus, der Pferde, haben je nach Lebensraum eine andere Fellfarbe. Während asiatische und europäische Pferde keine Streifenmuster entwickelten, haben afrikanische Pferde, die in Graslandschaften mit großen Raubtieren leben, eine solche Tarnung. Die Augen der Raubtiere können die Streifen nicht von der Savanne unterscheiden. Zu der Gattung Pferde gehören auch die Zebras.

Zudem schützen die Streifen vor dem Biss der Tsetsefliege, die mit ihren Facettenaugen die Zebras schlecht erkennen kann. Diese Fliege könnte auch nach Deutschland kommen, wenn es dramatisch wärmer wird. In der Gegenwart leben keine Hirsche in der afrikanischen Savanne. Der einzige Vertreter der Gattung Cervus in Afrika ist der vom Aussterben bedrohte Berberhirsch in Nordafrika. Falls sich der Lebensraum der Wald- und Steppenbewohner jedoch radikal verändert, wäre es ein evolutionär logischer Schritt, Streifenmuster auszubilden.

Blick in die Vergangenheit: Dass sich mit neuen klimatischen Bedingungen das Fell der Tiere verändert, gab es auch schon dort, wo heute Deutschland ist: Während der letzten Warmzeit, der sogenannten Eem, lebten Steppenelefanten mit dünner kurzer Behaarung bei uns. Als dann vor 115.000 Jahren die vorerst letzte Kaltzeit begann, setzten sich die wolligen Mammuts durch. Die wiederum starben in Deutschland aus, als es wieder wärmer wurde, weil sie dauerhafte Erkältungen hatten, da ihr zotteliges Fell ständig durchnässt war. Erst im 19. Jahrhundert von uns Menschen ausgerottet wurde das Quagga aus Südafrika. Kopf, Hals und Rücken des Pferdes hatten Zebrastreifen, der Rest des Körpers war einfarbig.

Das friesische Liliput-Schwein

Wegen des gestiegenen Meeresspiegels sind weite Teile von Norddeutschland überflutet. Dort, wo früher Schleswig-Holstein war, befinden sich nun kleine Inseln, auf denen verwilderte Schweine leben. Sie stammen von Hausschweinen und norddeutschen Zuchtschweinen ab, die sich mit Wildtieren gepaart haben.

Vom Aussehen her ähneln sie ihren Vorfahren. Doch in einem wesentlichen Merkmal unterscheiden sie sich: der Größe. Die Liliput-Schweine (Sus pumilio var. frisiensis) sind nur 40 cm lang und 30 cm hoch. In kleinen Gruppen streifen sie über die Inseln. Die Monokultur der Bauern, die dort einst wohnten, ist zu einem Mischfeld geworden: Mais, Hafer, Dinkel und Weizen wachsen wild auf den Inselwiesen. Ein Schlaraffenland für die Allesfresser. Die Schweine vermissen die menschlichen Besitzer ihrer Vorfahren nicht. Mit ihnen sind die gefährlichsten Fressfeinde verschwunden. Nur Sumpfkrokodile, die sich an die Küsten der Inseln vom Festland verirren, können ihnen nun noch gefährlich werden.

Biologischer Hintergrund: Dass Schweine geniale Überlebenskünstler sind, dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Verwilderte Hausschweine leben seit Generationen in der Karibik, auf Korsika oder Indonesien. Aber warum ist unser friesisches Liliput-Schwein so klein? Das biologische Prinzip, dem diese Entwicklung folgt, heißt Verzwergung. Die evolutionäre Besonderheit, die auch Nanosomie genannt wird, beschreibt die Anpassung an einen neuen Lebensraum durch die Verkleinerung des Körpers. Ursächlich dafür ist eine Verkleinerung des Biotops und ein beschränktes Futterangebot. Dies geschieht durch jahrhundertelange Isolation, weswegen die Verzwergung besonders auf Inseln zu beobachten ist.

Blick in die Vergangenheit: Europa war in der Kreidezeit eine tropische Insellandschaft. Im vergangenen Jahr entdeckten Forscher im heutigen Transsilvanien das Skelett eines Zwergdinos, den sie Transylvanosaurus tauften. Ein weiteres Beispiel: Der sizilianische Zwerg­elefant, der nur knapp 90 Zentimeter Schulterhöhe erreichte. Es besteht die Annahme, dass europäische Waldelefanten auf die Mittelmeer­insel über eine Landbrücke kamen. Als der Meeresspiegel wieder stieg, waren die Tiere abgeschnitten vom Festland und verzwergten.

Das Heuschreckenhörnchen
Illustration des "Heuschreckenhörnchens"

Ein Heuschreckenhörnchen auf Beutezug Illustration: Eléonore Roedel

Wo sich früher der deutsche Wald erstreckte, hat sich die Landschaft radikal verändert. Auch in Bayern: Der ehemals Bayerische Wald ist Tausende Jahre in der Zukunft eine Graslandschaft, die an die Prärien Nordamerikas erinnert. Zwischen den Gräsern jagt ein Nagetier, dessen Vorfahre einmal auf Bäumen lebte: das Heuschreckenhörnchen (Sciurus orthopteraphagus).

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie der Name verrät, stammt es vom Eurasischen Eichhörnchen ab, das wir aus Deutschland kennen, und ernährt sich von Insekten. Nüsse und Baumfrüchte sind durch das Waldsterben aus seinem Nahrungsplan verschwunden. Doch durch die gestiegenen Temperaturen kam eine neue Proteinquelle für die kleinen Nager nach Europa. Riesige Heuschreckenschwärme ziehen von Afrika weiter nach Norden – leichte Beute für den geschickten Jäger. Der hat seinen Körper für die Jagd auf Fluginsekten spezialisiert. Das Hörnchen hat Flughäute ausgebildet, mit denen es durch die Luft gleiten kann.

Im Vergleich zu seinen Vorfahren ist der Schwanz des Hörnchens, den es zum Steuern in der Luft braucht, wesentlich kürzer und weniger buschig. Auch die Zähne der Eichhörnchennachfahren sind spitzer, um die Panzer der Heuschrecken zu knacken.

Biologischer Hintergrund: Der wesentliche Faktor für diesen evolutionären Vorgang ist der Druck, sich auf eine neue Nahrungsquelle zu spezialisieren. Wird eine Art durch die Veränderung ihres Ökosystems von der restlichen Population getrennt, spricht man von einer ökologischen Vikarianz. So ist es vorstellbar, dass das Eurasische Eichhörnchen in der Zukunft in anderen Gebieten, in denen es noch Wälder gibt, parallel zum Schreckenhörnchen existiert.

Blick in die Vergangenheit: Ein historisches Beispiel für Vikarianz sind die australischen Beuteltiere. Im Gegensatz zu ihren ausgestorbenen Verwandten auf anderen Kontinenten besiedelten sie unterschiedliche Lebensräume, von den baumlebenden Koalas bis zu Graslandbewohnern wie Kängurus. Sie bildeten unterschiedliche Zahnmorphologien aus, die auf ein spezifisches Nahrungsangebot zugeschnitten sind.

Das Deutsche Sumpfkrokodil

Der Anstieg des Meeresspiegels hat das Gebiet von Hannover bis zur Mecklenburgischen Seenplatte in eine tropische Sumpflandschaft verwandelt. Eine Herde Wildschafe, Nachkommen der Zuchtschafe niedersächsischer Bauern, rastet an einem Tümpel, an dessen Rändern Mangroven wurzeln. Die Tiere horchen auf, im Wasser bewegt sich etwas. Plötzlich schnappt ein gewaltiges Maul nach einem der Schafe und reißt es ins Wasser. Das Deutsche Sumpfkrokodil (Crocodilus palustris var. germanica) hat zugeschlagen.

Seine Vorfahren, Sumpfkrokodile aus Asien, hatte der Mensch fast ausgerottet. Durch Nachzuchtprojekte und Zoos kamen sie nach Europa. Als der Mensch ausstarb, schaffte es ein Dutzend der riesigen Süßwasserkrokodile, aus den Gehegen auszubrechen, während die anderen Tiere verendeten. Tausende Jahre später ist das Deutsche Sumpfkrokodil mit einer Körperlänge von bis zu 4 Metern eines der größten Raubtiere Europas und hat sich an das Leben im Brackwasser perfekt angepasst.

Biologischer Hintergrund: Im Jahr 2023 hätten ausgesetzte oder entlaufene Krokodile keine Überlebenschance in Deutschland. Anders als bei gleichwarmen Lebewesen wie Säugetieren und Vögeln sind diese wechselwarmen Tiere auf die Umgebungstemperatur angewiesen, da diese ihre Körpertemperatur bestimmt. Erst wenn die kälteste monatliche Durchschnittstemperatur bei 8 Grad liegt, könnten Krokodile, die ursprünglich aus den Tropen kommen, in Nordeuropa überleben. Durch die Verschiebung der Klimazonen könnte dies in einem absehbaren Zeitraum passieren. Der kälteste Monat in Deutschland im Jahr 2022 war der Dezember mit einer Durchschnittstemperatur von 1,8 Grad Celsius. Bis Krokodile sich hier wohlfühlen können, würde es also noch eine ganze Weile dauern.

Blick in die Vergangenheit: Man muss nicht allzu weit zurückschauen, um zu beobachten, dass sich Reptilien aus wärmeren Gebieten bei uns heimisch fühlen. Die Kalifornische Kettennatter wird immer öfter in Süddeutschland gesichtet. Wahrscheinlich haben sie Terrarienbesitzer ausgesetzt oder sie ist ihrer Gefangenschaft entkommen. Auf den Kanaren bedroht die aus Nordamerika stammende Natter bereits ganze Ökosysteme. Bei uns ist es noch zu kalt für eine schnelle Verbreitung der Schlange. Noch …

Die Dumbokatze
Illustration der "Dumbokatze"

Die großen Ohren der Dumbokatze sind nicht nur zum Lauschen gut, sondern geben auch Wärme ab Illustration: Eléonore Roedel

Die Dumbokatze (Felis magnauris) oder europäische Großohrenkatze ist ein direkter Nachkomme unserer Hauskatze, die sich mit Wildkatzen gepaart hat. Die verwilderten Samtpfoten mussten sich jedoch nicht nur an die Abwesenheit ihrer zweibeinigen Diener gewöhnen, sondern auch an den Klimawandel. Besonders auffällig sind die großen Ohren, die den Körper der Tiere kühlen. Ein Habitat der einzelgängerischen Jäger ist der Oberrheingraben. Wo sich früher der mächtige Fluss seinen Weg nach Norden bahnte, weht ein sandiger Wind über die Wanderdünen. Hier jagt die Dumbokatze Kleinnager und Eidechsen, die sich im Sand verstecken. Die leichtfüßigen Katzen haben keine Mühe, auf den Dünen zu laufen. Dabei ist der Oberrheingraben zu einem Gebiet geworden, das selbst für die meisten an Extreme gewohnten Lebewesen zu heiß ist.

Biologischer Hintergrund: Die Allensche Regel, benannt nach dem US-amerikanischen Zoologen Joel Asaph Allen, besagt: Die Körperanhänge von Tieren in kälteren Gebieten sind kleiner, als die von Verwandten in wärmeren Gebieten. Körperanhänge sind Ohren, Nasen, der Schwanz und die Extremitäten. Aber warum ist das so? Die großen Ohren unserer Dumbokatze helfen bei der Kühlung des Körpers. Die Wärme, die über ihr Blut im Körper verteilt wird, kühlt sich an ihrer Körperoberfläche ab. Je größer also die Ohren, desto mehr Körperoberfläche kann Wärme abgeben. Und das wiederum bedeutet mehr Kühlung im heißen Dünensand.

Blick in die Vergangenheit: Ein Vergleich mit fossilen Beispielen ist schwer, da kaum Weichteile, sondern nur Knochen die Zeit überdauert haben. Deswegen wissen wir wenig darüber, wie groß die Ohren früherer Tierarten waren. Gefrorene Mammuts weisen aber zum Beispiel extrem kleine Ohren auf, verglichen damit, wie groß ihr Körper war. Aus der Gegenwart gibt es zahlreiche Beispiele: Wüstenfuchs und Polarfuchs, asiatischer und afrikanischer Elefant oder Eselhase und Polarhase.

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