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Thüringens Vorstoß bei Corona-ÖffnungenAls Signal fatal

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Bodo Ramelow wollte sich mit radikalen Lockerungen vor den Landtagswahlen 2021 profilieren. Das war unklug.

Bunte Masken zum Kauf in einem Laden an der Erfurter Krämerbrücke Foto: Martin Schutt/dpa

E s ist nicht einfach, gleichzeitig die CDU, die Grünen, die SPD, die Bayerische wie die Bremische Landesregierung, Armin Laschet und Markus Söder, Jens Spahn und stillschweigend auch Teile der eigenen Partei mit ein paar Sätzen gegen sich aufzubringen. Das ist zielsicher Bodo Ramelow gelungen, dem thüringischen Ministerpräsidenten, bei dem sich abwägende Vernunft mitunter auf etwas verwirrende Weise mit erratischem Verhalten mischt.

Ramelow hat den Sound in Sachen Corona am Samstag radikal umgestellt. Der staatliche Zwang müsse aufhören, man müsse Verbote beenden und auf Gebote setzen. Es gibt zwar in jedem zweiten Landkreis in Thüringen seit drei Wochen keine neue Infektion mehr. Doch diese Art der Ankündigung war unklug im Stil, aber auch in der Sache. Was bedeutet keine Verbote – keine Maskenpflicht und kein Social Distancing – mehr? Damit sendet man das Signal, dass die Gefahr vorbei ist – das ist sie nicht.

Ramelow beteuert, die Maskenpflicht in Bus, Bahn und Geschäften bleibe, und fühlt sich missverstanden. Doch das Missverständnis geht auf sein Konto. Es ist fahrlässig, als Ministerpräsident wolkig die Aufhebung aller Verbote zur Debatte zu stellen – und grob gegenüber den Koalitionspartnern SPD und Grüne, die von diesem Schwenk nichts wussten.

Ramelow ist noch Ministerpräsident, weil er politisch weitblickend sein kann. Er hat fünf Jahre lang mit einer knappen rot-rot-grünen Mehrheit regiert, SPD und Grünen oft den Vortritt gelassen und interne Zwistigkeiten elegant vermieden. Dieser verbindliche Stil mochte auch der Rolle als erstem Ministerpräsidenten der Linkspartei geschuldet sein – aber es braucht immer jemanden, der es tut und kann.

Ramelow kann auch anders

Aber Ramelow kann eben auch anders, impulsiv und hochfahrend, sein. Dieses Manöver schielt auch auf Profilierung bei den Neuwahlen im nächsten Jahr. Solche taktisch gezielten Soloauftritte sind gerade in der Frage, wann was gelockert wird, ungut. Die Risikoabschätzungen der Öffnung sind Verfahren à la Versuch und Irrtum, in denen es nur Wahrscheinlichkeiten, aber keine Gewissheiten gib. Es ist ein komplexer, fragiler Prozess, der leicht verletzbar ist.

Wir brauchen kontrollierte Öffnungen. In Landkreisen ohne Neuinfektionen können und müssen die Öffnungen schneller gehen als in Metropolen mit höheren Zahlen und Risiken. Die Regionalisierung ist richtig. Die Bundesregierung setzt auf Vorsicht. Es sollen ein paar Leute mehr in Wohnungen zusammen sein dürfen, sonst bleibt das meiste bis Anfang Juli, wie es ist. Das ist, angesichts des Unglücks, das eine zweite Welle bedeuten würde, der bessere Weg. Unspektakulär und sicherer.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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26 Kommentare

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  • Eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen - Geschäft, öffentlicher Verkehr, etc. - ist sinnvoll. Man sollte sie evtl. dadurch ergänzen, dass ein Luftaustausch vorgesehen wird.

    Ansonsten ist eine weitgehende Lokalisierung mit klaren Kriterien und Anweisungen hilfreich. Diese erlaubt eine schnelle und adaptive Reaktion.

    Man sollte einen zentralen verbindlichen Maßnahmenkatalog bei lokaler Handhabung haben, um nicht mit dem großen Besteck alles



    einschränken zu müssen.

  • Na immerhin hat er den Neonazis eine mögliche Erfolgskampagne verbaut, nebenbei die Verschwörungstheoretiker entzaubert und kann sich nun bequem von der Bundespolitik wieder einfangen lassen.

  • "Ramelow ist noch Ministerpräsident, weil er politisch weitblickend sein kann." (Reinecke)

    Na hoffentlich schickt er nun nicht die Salzstreuer auf die Straßen, weil er den kommenden Winter vorraussieht.

  • 8G
    88059 (Profil gelöscht)

    Was genau ist denn eigentlich ein "kächster Wahlenomplexer"? Klingt spannend.

    Finde es abgesehen davon richtig, dass Ramelow mal sämtliche Maßnahmen zur Disposition stellt. Außer den Kaputten macht es ja sonst niemand. Und wenn es niemand tut, wird es irgendwann zum neuen status quo - weil ja immer irgendwo ein Virus lauert.

  • Ja was denn nun: Ist die Regionalisierung richtig? Oder nicht? WEnn Sie richtig ist, dann macht Ramelow genau das richtige!! Mag sein, dass er das schlecht kommuniziert hat, aber im WEsen hat er Recht: Die wenigen Infiziertenzahlen in Thüringen rechtfertigen die weitreichenden Einschränkungen fundamentaler Grundrechte nicht! Und Ramelow hat ja auch gesagt, dass es regional oder lokal durchaus weiter Beschränkungen geben kann. Insofern gibt er auch falsches Signal.

  • Als ich noch eine Zeitung gelesen habe, die auf Papier gedruckt war, gab es darin täglich einen Meinungs-Beitrag. Am Wochenende gab es in der Beilage zudem noch eine Kolumne. Der Rest war einfach Information. Meinung wurde gemacht, in dem Redaktionen aus einem ganzen Sack voller Informationen diejenigen herausgepickt haben, die beim Publikum (hoffentlich) den gewünschten Effekt hatten. Heute ist es genau umgekehrt.

    Derzeit kommen gefühlt zehn Meinungen auf eine Information. Informationen sind schließlich teurer in der Anschaffung und nicht besonders sexy. Außerdem besteht immer das Risiko der Fehlinterpretation durch den Konsumenten. Dem, sofern er denn verblieben ist, trauen die Meinungsmacher heute offenbar kaum noch (was zu). Sie halten es offenbar für sicherer, die Meinung fertig vorzugeben und parallel eventuelle Abweichungen davon zu geißeln. Natürlich ebenfalls in einem Meinungs-Beitrag. Nur vorsichtshalber.

    Heute Morgen hat mir mein Küchenradio von Herrn Ramelow ausgerichtet, er sei falsch interpretiert worden. Es sei ihm lediglich um Krisensitzungen gegangen, die zwar noch immer täglich (ja, auch sonntags) stattfinden müssen, deren Teilnehmer aber mangels Krise nicht mehr so recht wüssten, worüber sie denn eigentlich beraten sollen. Masken und Abstände habe er gar nicht thematisiert, so der Nachrichtensprecher über Ramelow. Ich bin beinah geneigt, dem Mann zu glauben.

    Viele Journalisten lieben Skandale. Wenn es gerade keine zu vermelden gibt (oder die Zeit bzw. der Mut fehlen, danach zu suchen), werden diese Menschen manchmal kreativ. Dann wird aus der sachlichen Information mitunter nicht nur eine subjektive Meinung, sondern gleich eine freie Interpretation. Das fällt dann unter Pressefreiheit. Und wehe, der Zitierte äußert sich dazu. Dann wollen wir doch mal sehen, wer in diesem Land letzte Wort hat!

    Ganz klar: Die Kanzlerin. Aber nur, wenn es den Journalisten passt.

    Meinungen kann man mehr A

  • "Allerdings werden wir alle mit der Existenz dieses Virus leben lernen müssen, "



    zweifelsohne ist dies richtig, dazu gehört aber auch das es viele geben wird, die nicht mit dem Virus leben werden.

    Die Risikogruppen werden ja nicht durch einen kontrollierten Umgang plötzlich immun, sie erkranken nur zeitlich gestaffelt und sterben nicht publikumswirksam auf einmal.



    Das muß man einfach auch dazu sagen.

  • "Ramelow ist noch Ministerpräsident, weil er politisch weitblickend sein kann." (Reinecke)



    Vielleicht tut er das ja grad?



    Ich hatte es an anderer Stelle schon mal gepostet: 'Die bisherigen Maßnahmen waren richtig. Diese anzuzweifeln, nur weil sie erfolgreich waren ist absurd und spricht nicht für ausreichendes Denkvermögen der Zweifelnden.



    Allerdings werden wir alle mit der Existenz dieses Virus leben lernen müssen, und das geht auf Dauer nicht mit allen noch bestehenden, wenn auch gelockerten Beschränkungen. Ich halte es für richtig, wenn sich ein Ministerpräsident vorwagt, den Bürgerinnen und Bürgern Eigenverantwortung zutraut und sämtliche Beschränkungen aufhebt.' (ok, sämtliche sollten es vielleicht nicht sein...)



    Dennoch, Ramelow hat sich offenbar die Bewegungen der Pandemie gut angeschaut und agiert jetzt eben regional Das ist m. E. vernünftig und angemessen. Die bislang beobachteten und analysierten Daten sprechen für differenziertes Hinschauen. Und das erlaubt auch, ein situations- und regionsabhängiges, dabei mehr eigen- denn fremdbestimmtes Schutzverhalten in mehr Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger zu ge-bieten. Ein paar Uneinsichtige wirds immer geben, Verbot oder Gebot hin oder her, aber die gibts ja eh immer und bei Allem. Also wieso nicht der denkenden Mehrheit etwas zutrauen?



    Dem Virus wirds egal sein, das kann noch warten mit ner zweiten Welle. Aber die kommt vielleicht ohnehin – oder auch nicht...??

    • @HopeDrone:

      "Die bisherigen Maßnahmen waren richtig. Diese anzuzweifeln, nur weil sie erfolgreich waren ist absurd ..."

      Die Maßnahmen werden angezweifelt, nicht weil sie wirken, sondern weil sie unverhältnismäßig teuer sind - in vielerlei Hinsicht. Sie sind so teuer, dass selbst ihre Befürworter jetzt nichts anderes mehr machen können als sie zu lockern und damit den Weg der Schweden zu gehen, nur zwei Monate später und mit einer halben Billion Euro Schulden mehr (pro Kopf der Bevölkerung 6000 Euro).

    • @HopeDrone:

      "Allerdings werden wir alle mit der Existenz dieses Virus leben lernen müssen, und das geht auf Dauer nicht mit allen noch bestehenden, wenn auch gelockerten Beschränkungen."



      Nun, für einige hieße das, durch den Virus sterben "lernen".



      Bezüglich Differenzierungen haben Sie durchaus recht. In Mecklenburg Vorpomern ist es sicher anders gewesen als in Bayern oder NRW.



      Eine Sache ist allerdings die, dass eine 2. Welle kein Naturphänomen ist, sondern von den menschengemachten Bedingungen abhängt. Wie kann diese bzw. kann diese überhaupt frühzeitig erkannt werden? Insbesondere dann, wenn die gesammelte Daten der Krankheitsfeststellung aufgrund der vielen unerkannten Verläufe bloß einen ungefähren Blick in die Vergangenheit bieten ...

      • @Uranus:

        Doch eine zweite, eine dritte und alle weiteren Wellen sind erstmal Naturphänomene, die Wellenbrecher sind es nicht. Inwieweit man bei deren Errichtung 'krepiert' oder an der Welle selbst, ist die Frage, die sich stellt.



        Der Virus ist da und bleibt wohl Bestandteil der Welt, wie andere Viren auch. Ich frage mich, in welchem Jahr man die Infiziertenzahlen aufhört zu zählen. Der Natur der Sache nach werden die totalen Zahlen nicht sinken.



        Interessant auch, dass man den Blick vom gesamten globalen Mißstand schon längst wieder abgewandt hat und sich nur noch mit Maßnahmen wie Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Kontaktsperren, Monitoring der gesellschaftlichen Bewegungen usw. kümmert.

        • @Hampelstielz:

          Naja, ich meinte damit, wie die Menschen sich verhalten und organisieren, wie sehr sie also Ansteckungen ermöglichen oder vermeiden. Und klar, Sie haben recht, oftmals wird das nur auf Nationalen Rahmen bezogen.

  • Nein. Ramelow macht angesichts der tatsächlichen Infektionszahlen das einzig Richtige, nämlich auf der bisherigen Erfahrung und Datenlage aufbauend zu unterscheiden zwischen beispielsweise Sömmerda und Greiz. Alle anderen verlassen sich auf Hörensagen von "Experten", um für demokratische Rechte keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @Krampe:

      "Alle anderen verlassen sich auf Hörensagen von "Experten"... Ja? Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? Für eine Erläuterung wäre ich dankbar. Gerne auch mit Links zu Ihren Quellen!

      • @02881 (Profil gelöscht):

        Lustig: die Coronakrise hat neben den Verschwörungtheoretikern, die für alles eine "Quelle" haben, auch diejenigen hervorgebracht, die für alles und jedes eine "Quelle" haben wollen. Auch wenn es nur eine persönliche Meinung oder eine durchaus sinnreiche Feststellung ist.

  • ich muss zugeben,mich nerven Kommentare dieser Art zunehmend,weil sie nicht zielführend sind.Kritik an Leuten,die sich bewegen,ist ja in Ordnung,aber vielleicht wäre ein wenig eigenes Procedere auch möglich.Die Zögerlichen sitzen in der Falle der Angststarre...die Bedenken gelten auch in 3 oder 5 Monaten noch.Wissen wir alles.Aber es muss ein Leben mit dem Virus geben ,vorsichtig,aber ohne finanziellem oder geistigem Selbstmord...