Terrorrazzia in Chemnitz: Rechte Hools und ein Bekannter
Bei der Terrorrazzia in Chemnitz stoßen die Ermittler auf einschlägig Bekannte, nicht aber auf rechte Szenegrößen. Bis auf einen.
Am Montagnachmittag tritt Roland Wöller vor die Presse. Es sei ein „entscheidender Schlag gegen den Rechtsterrorismus“ gelungen, lobt der sächsische Innenminister, ein CDU-Mann. Wer Anschläge gegen Ausländer oder Politiker plane, dem werde „mit ganzer Härte“ begegnet. „Wir setzen mit den Festnahmen ein klares Zeichen.“
Ein sehr klares Zeichen. Es war das, was in den letzten Wochen nach den Ausschreitungen von Chemnitz zumeist fehlte. Am Montagmorgen aber schickt die Bundesanwaltschaft ein großes Aufgebot: Mehr als 100 Beamte durchsuchen nun mehrere Wohnungen in Sachsen und Bayern und nehmen am Ende sechs Männer fest. Es bestehe der Verdacht, dass sich die Männer spätestens seit dem 11. September als rechtsterroristische Gruppe zusammengeschlossen hätten, als selbsternannte „Revolution Chemnitz“, teilte die oberste Anklagebehörde mit. Das Ziel: „gewalttätige Angriffe und bewaffnete Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenkende“.
Seit Ende August, als mutmaßlich eine Gruppe Flüchtlinge den Chemnitzer Daniel H. erstach, kam es in der sächsischen Stadt zu rechten Demonstrationen und Ausschreitungen. Und zu einer bundesweiten Debatte. Von Hetzjagden sprach die Bundeskanzlerin. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) widersprach, auch Bundesverfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) redete die Krawalle klein. Und nun aber: rechtsextreme Terrorpläne?
Bereits vor drei Wochen waren die jetzt Festgenommenen in Chemnitz losgezogen. Das rechte „Pro Chemnitz“ hatte am Freitagabend, den 14. September, seine Kundgebung beendet, eine der vielen zuletzt. Nun marschierten Sten E., Christian K., Martin H., Marcel W. und Sven W. zur Chemnitzer Schlossteichinsel. Mit Quarzsandhandschuhen, Glasflaschen, einem Elektroschockgerät.
Auf der Insel „kontrollierten“ sie mit einem knappen dutzend anderer Rechtsextremer Anwesende, sollen Ausweise verlangt haben. Als sie auf eine kleine Gruppe aus Deutschen, Iranern und Pakistanern trafen, kreisten sie diese ein, beschimpften sie rassistisch. Einem jungen Iraner warfen sie eine Glasflasche an den Kopf. Als Bürgerwehr hätten sich die Neonazis ausgegeben, sagten Augenzeugen. Es war eine Machtdemonstration.
Suche nach Schusswaffen
Für die Bundesanwaltschaft war es mehr. Der Übergriff in Chemnitz sei ein „Probelauf“ gewesen. Was folgen sollte, sei rechtsextremer Terror gewesen. „Sehr planvoll“ hätten sich die nun Festgenommenen verhalten, betonte Behördensprecherin Frauke Köhler am Montag. Ins Visier genommen worden seien neben Flüchtlingen auch Parteipolitiker und gesellschaftliche Engagierte. „Intensiv“ hätten sie sich bereits bemüht, halbautomatische Schusswaffen zu besorgen.
Und die nächste Aktion habe unmittelbar bevor gestanden: jetzt am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit. Was genau dort geplant gewesen sei, sei noch nicht näher aufgeklärt, so die Ermittler. Die Ermittler aber wollten nicht länger warten.
Anführer der Gruppe soll der 31-jährige Christian K. gewesen sein. Einer, den die Polizei schon mit rechten Delikten kannte. Aber kein Großkopferter der Szene, wie es heißt. Genau wie die anderen nun Festgenommenen. Die Männer, 20 bis 30 Jahre alt, posteten im Internet rechte Parolen, waren Teil von Hooligan-Gruppen, marschierten wohl auch bei den Chemnitz-Aufmärschen mit. Einen Vorlauf in klassischen Neonazi-Organisationen aber hatten sie offenbar zumeist nicht – wenngleich sie sich selbst als „führend“ in der rechten Szene ansahen, wie es Ermittler sagen.
Sten E. etwa. Ein 28-Jähriger aus Riesa, schwer tätowiert, ein radikaler Anhänger von Dynamo Dresden. Auf seiner alten Facebook-Seite, die 2014 gesperrt wurde, aber im Netz noch zu finden ist, hat er als Titelbild ein schwarz-weiß-rotes Bild eingestellt, in der Mitte eine schwarz vermummte Gestalt, die die Faust in die Höhe reckt. Darunter steht: „Mach weiter und erleide den Volkstod oder werde aktiv!“ Auf seinem neuen Facebook-Account, auf dem Titelfoto vermummte Hooligans, teilt er Videos, in denen unter Titeln wie „Gewalt ist eine Lösung“ brutale Schlägereien unter Fußballfans und Pyrotechnik im Stadioneinsatz zu sehen ist. Dazwischen Sprüche wie „Was nicht passt, wird passend geklatscht“, ein Video der NPD und Treueschwüre an die Freundin, die wohl auch Anhängerin von Dynamo Dresden ist.
Andererseits ist auch Tom W. unter den jetzt Festgenommenen. Er war einer der Köpfe der rechtsextremen Kameradschaft „Sturm 34“ im sächsischen Mittweida. Die Mitglieder der Kameradschaft waren für mehrere brutale Überfälle verantwortlich, im April 2007 wurde sie vom sächsischen Innenminister verboten. Tom W., der den Schriftzug „Skinhead“ auf seinen Hinterkopf tätowiert hat, und sein Bruder kamen damals mit einem milden Urteil davon.
Nun sitzt auch er in Haft. Am Montagnachmittag wurden bereits die ersten Haftbefehle vom Bundesgerichtshofs bestätigt. Der mutmaßliche Anführer Christian K. saß bereits seit dem Angriff auf der Schlossteichinsel in U-Haft. Die Polizei war schnell am Tatort, nahm alle heute Verdächtigen schon damals fest. Christian K. stand da schon unter Bewährung – und blieb wegen Fluchtgefahr gleich in Haft.Die anderen durften vorerst wieder gehen.
Ihre Wohnungen aber wurden schon damals durchsucht. Auch sei ihre Kommunikation „umfangreich“ ausgewertet worden, sagte Bundesanwaltschaftssprecherin Köhler. Dabei stießen die Ermittler offenbar auf die Terrorpläne. Bei den Razzien am Montag nahm die Polizei nun erneut Festplatten mit, fand auch Schlagstöcke und ein Luftdruckgewehr.
Parallelen zu Freital
Vieles erinnert an den Fall Freital. In der Stadt bei Dresden attackierten Rechtsextreme 2015 Asylunterkünfte und das Auto eines Linken-Stadtrats mit Sprengsätzen, griffen mit anderen ein alternatives Hausprojekt an. Auch sie waren Busfahrer, Pizzaboten und Fußballfans. In der Szene waren sie vorher nicht groß in der Szene in Erscheinung getreten, pflegten aber rechte Devotionalien im Hausgebrauch. Dann formierten sie sich als Bürgerwehr – und radikalisierte sich immer weiter.
In Freital reagierten die Behörden noch langsam, schauten den Taten lange zu. Erst nach einigen Monaten übernahm die Bundesanwaltschaft den Fall. Am Ende wurden die Freitaler als Terroristen verurteilt mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren.
In Chemnitz geht es nun schneller. Seit dem 21. September habe man gegen die Gruppe ermittelt, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Zunächst wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dann hätten sich „tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Vereinigung eine terroristische Zielsetzung verfolgt“. Innenminister Wöller verkündete am Montag auch die Einrichtung einer Taskforce, die ab sofort Ermittlungen der Polizei zu Rechtsextremismus und Terror unterstützen soll.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer äußert sich entsprechend. „Wir müssen mit aller Härte gegen die Menschen vorgehen, die sich nicht an unsere Rechtsordnung halten – die gegen Menschen aus dem Ausland, gegen Andersgläubige vorgehen.“ Auch Horst Seehofer, der die Chemnitz-Ausschreitungen bisher nur als „unschön“ abtat, äußert sich knapp zu den Festnahmen. „Das ist die Realisierung unseres Grundsatzes ‚Null Toleranz gegenüber Rechtsradikalen‘.“ Seit Monaten sage er, dass die Terrorgefahr hoch sei. Und zwar aus „jeder Schattierung“.
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) warnt: „Von rechtem Terror geht reale und große Gefahr aus, die wir sehr ernst nehmen. Die Bundesanwaltschaft beobachte dies sehr genau. Auch Kerstin Köditz, Linken-Abgeordnete in Sachsen, bezeichnet die Festnahmen als besorgniserregend. Es sei „jetzt an der Zeit, bei der Zurückdrängung der extremen Rechten endlich eine andere Gangart an den Tag zu legen“.
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