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„Tagesschau“-Chef zu Mord in FreiburgKeine nationale Relevanz

Ein 17-Jähriger wird verdächtigt, in Freiburg eine Studentin ermordet zu haben. Warum die „Tagesschau“ nicht über dessen Festnahme berichtet hat.

Der Tatort Foto: dpa

Hamburg epd | „Tagesschau“-Chef Kai Gniffke verteidigt die Entscheidung seiner Redaktion, in der 20-Uhr-Ausgabe vom Sonnabend nicht über die Festnahme eines jugendlichen Flüchtlings berichtet zu haben, der für den Mord an einer Studentin in Freiburg verantwortlich sein soll. Zugleich räumte der Chefredakteur von ARD aktuell in einem am späten Sonntagabend veröffentlichten Blogbeitrag auf „tagesschau.de“ ein, dass auch eine andere Entscheidung denkbar gewesen wäre.

„Die Tagesschau berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu“, schreibt Gniffke. Ähnlich hatte die Redaktion bereits in sozialen Netzwerken argumentiert, nachdem am Wochenende erste Kritik an der Nachrichtenauswahl laut geworden war. Gniffke betont, die Herkunft des mutmaßlichen Täters habe mit der Entscheidung nichts zu tun.

Die Polizei hatte am Sonnabend über die Festnahme eines 17-jährigen Afghanen informiert, der als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Er steht unter Verdacht, Mitte Oktober in Freiburg eine 19 Jahre alte Studentin nach einer Party überfallen, vergewaltigt und getötet zu haben. Anders als die ARD-Kollegen hatte sich die Redaktion der „heute“-Sendung im ZDF für einen Beitrag in der 19-Uhr-Hauptausgabe entschieden.

Gniffke schreibt in seinem Blog, man hätte bei der redaktionellen Planung für die 20-Uhr-„Tagesschau“ am Sonnabend durchaus mit dem Gesprächswert dieses Mordfalls argumentieren können. „Da wir für die Tagesschau den Gesprächswert eines Themas aber etwas geringer gegenüber dem Kriterium der Relevanz gewichten, haben wir uns gegen den Mordfall in der Sendung entschieden“, fügt er hinzu und räumt ein, dass es ihm schwer falle, bei einem Mord von fehlender Relevanz zu sprechen: „Das klingt zynisch.“

„Die Tagesschau-Redaktion empfindet wie alle anderen auch Mitgefühl“, schreibt Gniffke: „Das schließt aber nicht aus, dass wir nach unseren Kriterien Nachrichten machen, die ich versucht habe zu verdeutlichen.“

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36 Kommentare

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  • Man kann das Argument ja sehr einfach verifizeren. Man muss nur recherchieren, von wie vielen Morden in diesem Land von der Tagesschau berichtet wird.

  • Bei gewissen Leuten wird ohnehin nur bestätigt, was sie bereits zu wissen meinen. Wird, wie beim ZDF über die Festnahme eines minderjährigen Flüchtlings aus Afghanistan berichtet, bestätigt sich, dass seine Aufnahme falsch gewesen sei und Flüchtlinge in ihrer Mehrheit eine Gefahr darstellten.

    Im Falle der ARD, das nur in Magazinen wie "Brisant" zu berichten, nicht aber in der Tagesschau, erhärtet sich der "Lügenmedien" Verdacht. Um neutrale Information geht es Vielen "Lügenpresse"-SchreierInnen gar nicht.

    Persönlich kann ich nachvollziehen, dass nicht jeder Mordfall einen Platz in den Hauptnachrichten erhält.

  • Nationale Relevanz- Volksbildung.

    Wenn eines über allem relevant ist, ist das die Sendezeit. Da kann die Welt auseinander fliegen oder vor Langeweile gähnen, aber der Zeitrahmen muss eingehalten werden; einschließlich des national-relevanten Sports. In irgendeiner Heute-Sendung wurde mal über ein neues Modell I-Phone berichtet. Das war bei mir so ein Wendepunkt zur Abkehr vom täglichen Nachrichten-Guck-Ritual.

    • @lions:

      @ ANAMOLIE: Hoffentlich kommt aufgrund Ihrer Wortmeldung kein ARD-Verantwortlicher auf die Idee, die Tagesschau einzustellen. Dann blieben uns noch die – abzgl. Werbung gleichlangen - „RTL Aktuell“ und „SAT.1-Nachrichten“. Gott erbarme dich!

      • @Pfanni:

        Ja, muss ich aufpassen. Man hört mittlerweile auf das was ich sag.

  • Boulevard Nachrichten gehören nicht in die Tagesschau, dafür gibt es genug andere Sendungen und Zeitungen, deshalb finde ich die Entscheidung richtig.

  • Gute Entscheidung. Man muss nicht jeder Sau im Dorf hinterherlaufen

    • @Rudolf Fissner:

      Jaja - gilt nu solange das Dorf nicht in Sachsen liegt, gelle.

       

      Sobald da ne "Sau" durchs Dorf gejagt wird scheint Deutschland keine anderen Probleme mehr zu haben.

  • Ausgerechnet der Kai Gniffke!?

     

    "Vor Branchenexperten in Hamburg sagte Gniffke: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

     

    http://www.focus.de/kultur/medien/tagesschau-und-tagesthemen-ard-raeumt-falsches-fluechtlingsbild-ein_id_5001222.html

    • @Jens Frisch:

      Ist witzig wie Sport im eigenen Resort unangetastet bleibt, man sich aber um Berichtserstattung über ein Menschenschicksal streitet.

      ARD macht sich als Staatsfernsehen suspekt aus der Laien Perspektive. Der"besorgte Bürger" ist Laie. Ich möchte nicht wissen was auf Facebook gerade abgeht, aber bestimmt irgnd shit mit "Köln" und "ich-habs-immer-gewusst".

    • @Jens Frisch:

      Und?

      Was wollen Sie mit dem Zitat im Zusammenhang ausdrücken?

    • @Jens Frisch:

      Der Focus ist auch nur eine Fahne im Wind.

      • @Kubatsch:

        Schlimmer noch: Der Focus ist das COMPACT Magazin der besser gestellten, übler Rechtspopulismus für scheinbare Bildungsbürger*innen. Pfui, Focus.

        • @Bandari:

          Focus und Bildungsbürger?

  • Der Knackpunkt ist, dass sogar internationale Medien wie NYT, Washington Post und BBC berichtet haben.

     

    Sich da auf "Regionalität" herausreden zu wollen, ist dumm, weil durchsichtig.

    • @Huck :

      Das ist eine kurze und knappe Pressemitteilung der "Associated Press" (AP), die von beiden Zeitungen wortgleich auf ihren Online-Plattformen veröffentlicht wurde, ohne jede redaktionelle Bearbeitung. Ob das auch in den Zeitungen abgedruckt wurde, ist wohl mehr als fraglich. "Berichtet" hat jedenfalls keine der Zeitungen im Sinne eigenständiger journalistischer Arbeit.

       

      Im Internetangebot bei tagesschau.de beschäftigte man sich auch mit dem Fall, aber was soll das in den 20-Uhr-Nachrichten? Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 300 Menschen getötet, das wäre fast jeden Abend eine Mordnachricht im Fernsehen. Wozu?

      http://www.fr-online.de/kriminalitaet/schwalbach-familienvater-als-serienmoerder,25733026,34260890.html

       

      Auch über diesen Mann wurde in der Tagesschau nicht berichtet, auch dieser Fall wurde als "regional" eingestuft. Aber der fällt ja weder in die Gruppe "Flüchtlinge" noch in die Gruppe "Muslime", ist für Sie also vergleichsweise "uninteressant", nicht wahr?

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Huck :

      Es gibt Fernsehsender in den USA, die berichten nur über solche Dinge. Wollen Sie, dass jetzt über jeden Mord in der Tageschau und bei heute berichtet wird oder vielleicht nur noch über solche mit Ausländerbeteiligung oder haben wir vielleicht doch wichtigere Themen?

    • @Huck :

      Die Meldung fand über Nachrichtenagenturen wie Reuters ihren Weg in die Online-Ausgaben der genannten Zeitungen. Auch auf der Online-Seite der Tagesschau wurde und wird über den Fall berichtet.

       

      Wissen Sie, was wirklich dumm ist?

  • 8G
    87546 (Profil gelöscht)

    Warum hat dann ein am Smartphone daddelnder und damit einen Unfall verursachender Fahrdienstleiter in Bayern nationale Relevanz?

    • @87546 (Profil gelöscht):

      Weil der genauso wie Sie schreiben am Smartphone gedaddelt hat - wie wohl ein Großteil der Bevölkerung - und somit einem Unfall mit 35x mal so vielen Toten wie in Freiburg verursacht hat. Zudem besteht Kritik am vorhandenen System der Bahn, das mit Sicherheit auch noch an anderen Stellen im Lande für Gefahr sorgt.

       

      Ich hoffe, das hilft. Ansonsten die Tagesschau Redaktion fragen.

      • @Sapasapa:

        12x mal so viele. Ansonsten haben Sie recht.

  • In Deutschland gibt es jährlich knapp 300 Morde - über die größtenteils NICHT in der Tagesschau berichtet wird - eben weil man ihnen (zurecht) keine nationale Relevanz zuweisen kann.

     

    @Thomas Schöffel: Der Unterschied zu einem Amoklauf mit neun Toten und einer bundesweiten (live) Berichterstattung auf allen Kanälen liegt hier auf der Hand! Dieser Vergleich bestätigt eher das Argument von Kai Gniffke, als das er ihm widerspräche.

    • @Blondschopf:

      Aha. Ein Toter ist nicht relevant, aber neun sind es. Würden Sie mir freundlicherweise die für die nationale Relevanz notwendige Totenanzahl mitteilen ?

      • @Thomas Schöffel:

        Ich würde mal sagen so drei bis vier, kommt aber jeweils auf die Umstände an. Jedenfalls ist die Zahl der Opfer selbstverständlich wichtig für die Frage der Relevanz. Oder wollen Sie wahlweise jeden tödlichen Verkehrsunfall in Deutschland in den Hauptnachrichten sehen oder auch Busunglücke mit >20 Toten nicht?

  • Komisch, der Attentäter von München letztes Jahr hatte eine "nationale Relevanz". Wieso der jetzt denn nicht ? Nee, nee, nee, liebe Leute. Das klingt jetzt sehr schlecht dazuerfunden, mies gelogen und schnell dazuerdichtet. Glaubt doch kein Mensch.

    • @Thomas Schöffel:

      Nun, wer den Unterschied zwischen einem Attentat und einer Vergewaltigung nicht kennt, muss wohl zu dem Schluss kommen, zu dem Sie kommen.

    • @Thomas Schöffel:

      Mord mit 1 Toten: keine überregionale Relevanz.

      Terroralarm und Amoklauf mit 9 Toten: überregionale Relevanz.

      Was ist daran nicht zu verstehen?

    • @Thomas Schöffel:

      das in Freiburg war übrigens kein Attentat.

      • @Grisch:

        Also Attentat ist relevant, Mord nicht. Klingt jetzt sehr nach persönlicher Anschauung konstruiert. Wir hätten da noch Totschlag, diverse Sachtatsbestände mit Todesfolge etc. Aber Sie sagen, was relevant ist, ja ?

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      Weil er es aufgrund ideologischer Verblendung auf das Leben einer bestimmten Gruppe abgesehen hatte und nicht allein auf das einer einzelnen Person.

      • @849 (Profil gelöscht):

        ... und das soll den Unterschied zu nationaler Relevanz darstellen ? Das glauben Sie doch selber nicht.

      • @849 (Profil gelöscht):

        Das heißt eine Gruppe angreifen ist nachrichtenrelevant, eine Einzelperson angreifen nicht?

         

        Dabei heißt es doch sonst "ein Toter ist eine Tragödie, mehrere Tote eine Statistik"

        • @Cededa Trpimirović:

          Im Prinzip ja. Ein Autounfall mit 1-2 Toten ist eine Lokalnachricht. Um überregional und selbst international beachtete zu werden, müssen schon mehr sterben, z.B. bei einem Busunfall oder Flugzeugabsturz. Dadurch gibt es aber eine Schieflage in der Wahrnehmung, im Diskurs und letztendlich in politischen Entscheidungen.

          Auf der anderen Seite, würde es aber auch abstumpfen, jeden Tag über alle Morde etc. zu berichten. In den USA wurden 2013 im Schnitt täglich 38 Menschen ermordet. Damit könnte man jeden Tag komplett die CNN News füllen.

        • @Cededa Trpimirović:

          Es geht um das Motiv. Und das ist nicht "politisch", sondern mutmaßlich "persönlich", fällt in den Bereich "enttäusche/unerwiderte Liebe" oder "Beziehungs-/Trennungsprobleme".

           

          In Deutschland werden jährlich knapp 300 Menschen ermordet, also mit Vorsatz getötet, nicht fahrlässig beim Spielen am Handy. Die allermeisten Taten finden dabei im "familiären Umfeld" statt, sind "Beziehungstaten". Wenn Sie da über jede einzelne Familientragödie in der Tagesschau berichten wollen, bleibt für die wirklich wichtigen Nachrichten kein Platz mehr.

           

          Aber das ist ja nur eine wesentliche Strategie des Boulevards, die Zurschaustellung menschlicher Abgründe, die Personalisierung und Emotionalisierung dramatischer Einzelschicksale. Mit der Präsentation von "Opfern", "Monstern" und einfachen Scheinlösungen wird vor allem eines verhindert: die Aufarbeitung struktureller, gesellschaftlicher Probleme.