„Tag X“-Demonstration in Leipzig: Vermummter Staatsanwalt

Eine Solidaritätsdemo in Leipzig für Lina E. durfte wegen Vermummung nicht laufen. Nun stellt sich raus: Vor Ort war auch ein maskierter Staatsanwalt.

Eine vollmaskierte Person trägt einen Hoodie

Demonstrationsteilnehmer bei einem Protest gegen das Urteil im Prozess gegen Lina E. in Leipzig Foto: Sebastian Willnow/dpa

BERLIN/LEIPZIG taz | Das Foto warf schon am Tag der verhinderten „Tag X“-Demonstration vor zwei Wochen in Leipzig einige Fragen auf. Zwei vermummte Personen sind darauf zu sehen, mit Klemmbrett und im intensiven Austausch mit Polizeibeamten. Waren es Zivilpolizisten? Ausgerechnet auf einer Demonstration, die wegen vermummter Teilnehmenden aufgelöst wurde?

Nun gibt es die Auflösung. Denn Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigten am Mittwoch der taz, dass die beiden Vermummten mit den Klemmbrettern ein Leipziger Staatsanwalt und eine ihn unterstützende Kriminalbeamtin waren. Diese seien vor Ort gewesen, um über Maßnahmen für festgesetzte Demonstrierende zu entschieden, sagte ein Polizeisprecher der taz. Die Vermummung sei dabei zum Eigenschutz gewählt worden – als „persönliche Entscheidung“.

Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Leipzig bestätigte den Vorgang – und begründete das ebenso mit dem Eigenschutz der beiden Beamten. Die Polizei verwies auf mehrere Fälle, in denen Polizeikräfte oder Justizmitarbeitende zuletzt aus der linksradikalen Szene auch persönlich bedroht worden seien. Daher habe auch für den Staatsanwalt und die Kriminalbeamtin eine „latente Gefahr“ bestanden, so der Polizeisprecher. Zunächst hatten die Leipziger Volkszeitung und der Journalist Edgar Lopez über den Vorgang berichtet.

Autonome hatten am 3. Juni in Leipzig anlässlich eines „Tag X“ nach der Verurteilung der Gruppe um Lina E. demonstrieren wollen. Die Leipzigerin war mit drei Mitangeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen wegen einer Angriffsserie auf Neonazis verurteilt worden. Die Stadt hatte die „Tag X“-Demonstration wegen erwarteter Ausschreitungen jedoch verboten.

Ein Aufzug für Versammlungsfreiheit, der sich am gleichen Tag sammelte und Lina E.-Unterstützer:innen anzog, wurde dann wegen vermummter Personen untersagt. Darauf kam es zu Steinwürfen auf Po­li­zis­t:in­nen – und einer elfstündigen Einkesselungen von gut 1.000 Demonstrierenden.

Die Linke fordert Aufklärung

Das sächsische Innenministerium hatte zuvor bereits in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Landtag bestätigt, dass sich auf der Demonstration auch verdeckte Zivilbeamte befanden. Deren genaue Zahl wollte die Polizei auch am Mittwoch auf taz-Nachfrage nicht nennen. Dass nun aber auch ein Staatsanwalt unter den Vermummten war, ist angesichts der just wegen Vermummung untersagten Demonstration pikant.

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Der Sprecher der Leipziger Polizei behauptet aber, dass der Staatsanwalt erst nach der Auflösung der Demo vor Ort eingetroffen sei, als bereits der Polizeikessel bestand. Seine Aufgabe sei es gewesen, zu entscheiden, ob und wie etwa die Identitäten der Eingekesselten festgestellt werden. Diese Entscheidungen habe er nicht am Schreibtisch, sondern vor Ort treffen wollen.

Die Linke fordert dennoch Aufklärung. „Es ist mehr als befremdlich, wenn ein Vertreter der Justiz vermummt auftritt“, sagte die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel der taz. „Das erschüttert das Vertrauen in eine faire, neutrale Justiz.“ In Kombination mit der aufgelösten Demonstration sei der Vorgang „umso mehr aufklärungsbedürftig“.

Die Arbeit des Staatsanwalts hinterfragen

Auch der Grünen-Stadtverordnete Jürgen Kasek, der die aufgelöste Demonstration geleitet hatte, nannte den vermummten Staatsanwalt „ein Problem“. Dessen Arbeit müsse „sehr kritisch hinterfragt“ werden. Es entstehe der Eindruck, dass der Staatsanwalt einseitig handele.

Die Linke Jule Nagel verweist zudem auf eine Hausdurchsuchung im Januar dieses Jahres in Leipzig, bei welcher derselbe Staatsanwalt ebenfalls über mehrere Stunden vermummt auftrat. Auch hier rechtfertigte das sächsische Innenministerium den Vorgang im Nachhinein mit der Eigensicherung des Beamten. Es sei mit „gefährdungsrelevanten Aktionen“ zu rechnen gewesen und die Vermummung damit „geeignet, erforderlich und geboten“, um etwa Fotos von dem Staatsanwalt zu erschweren. Auch gebe es keine Norm, die eine Gesichtsverhüllung verbiete, antwortete das Innenministerium auf eine Linken-Anfrage.

Nach der aufgelösten Leipzig-Demonstration wird weiterhin gegen die gut 1.000 Eingekesselten wegen schweren Landfriedensbruchs und Angriffen auf Vollstreckungsbeamte ermittelt. Ein Vorwurf lautet auch auf versuchten Mord – wegen eines Brandsatzwurfes, der neben Polizeibeamten landete. Die Täter sind hier weiter unbekannt, teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig am Mittwoch mit.

Nach dem Protestwochenende gab es zunächst auch zehn Haftbefehle. Inzwischen sind, bis auf einen, alle außer Vollzug. Die letzte Haftprüfung sollte am Mittwoch stattfinden.

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