Soli-Demo für Lina E.: Was vom Tag X übrig bleibt

Bei der linken Demo werden 1.000 Menschen von der Polizei eingekesselt, 50 Beamte werden verletzt. Die Stadt verbietet eine weitere Demo am Sonntag.

Polizisten von hinten

De­mons­tran­t:in­nen bei einer sogenannten polizeilichen Umschließung in der Nacht vom 4. Juni in Leipzig Foto: Sebastian Willnow/dpa

LEIPZIG taz | Um kurz vor 2 Uhr am Sonntagmorgen zieht Jürgen Kasek vom Alexis-Schumann-Platz ab, das Megafon über der Schulter, sein Fahrrad in die Nacht schiebend, vorbei an einer schier endlosen Schlange an Polizeiwannen. „Heute hat der Rechtsstaat kapituliert“, schimpft der Grüne nur noch leise, ermattet vom stundenlangen Reden. Ein „autoritärer Staat“ habe ein „faktisches Grundrechtsverbot“ für Linke erlassen. „Das ist eine Eskalation, die man hätte vermeiden können.“

Um diese Zeit sind immer noch Polizeikräfte überall in der Leipziger Südvorstadt und in Connewitz unterwegs, Wasserwerfer stehen in Seitenstraßen, am Himmel kreist ein Hubschrauber. Und zur selben Zeit stehen gegenüber dem Alexis-Schumann-Platz immer noch gut 150 Protestierende zusammen, seit Stunden umzingelt von der Polizei. Die Letzten von ihnen werden erst am Sonntagmorgen um kurz nach 5 Uhr rauskommen, nach 11 Stunden. Schweren Landfriedensbruch und Angriffe auf Vollstreckungsbeamte wirft die Polizei ihnen nun vor, wegen Böller-, Stein- und Flaschenwürfen.

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Das ist es also, was vom „Tag X“ bleibt. Von „sinnloser Gewalt von linksextremistischen Chaoten und Randalierern“ spricht am Sonntag Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese sei „durch nichts zu rechtfertigen“, die Straftäter müssten „konsequent zur Rechenschaft gezogen werden“. Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) spricht von „massiven Angriffen“. Das Vorgehen von Polizei, Stadt und Justiz sei „richtig“ gewesen. Auf der anderen Seite beklagen Linke, die Leipziger Jusos und Teile der Grünen eine belagerte Stadt und einen völlig überzogenen Polizeieinsatz.

Seit Monaten hatten Autonome zu der „Tag X“-Demonstration für den Samstag nach dem Urteil in dem Prozess gegen die Leipziger Linke Lina E. und drei Mitangeklagte nach Leipzig aufgerufen. Am Mittwoch nun hatte das Oberlandesgericht Dresden das Quartett zu Haftstrafen von bis zu gut fünf Jahren verurteilt: wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und mehreren schweren Angriffen auf Rechtsextreme.

Bundesverfassungsgericht wies Beschwerde ab
Jürgen Kasek, Bündnis 90/Die Grünen

„Man hätte die Eskalation vermeiden können“

Schon am Donnerstag aber hatte die Stadt Leipzig die „Tag X“-Demonstration verboten, weil ein „unfriedlicher Verlauf“ zu erwarten sei. Ab Donnerstag wurden in einer Allgemeinverfügung keine Versammlungsanmeldungen mit Bezug zum Lina-E.-Urteil mehr erlaubt, ab Freitag galt ein 48-stündiger Kontrollbereich in der Stadt. Die Leipziger Polizei organisierte den größten Einsatz seit Jahren, mit Einsatzkräften aus fast allen Bundesländern – noch einmal mehr als zur „Wir sind alle Linxx“ Demonstration vor zwei Jahren, bei der sich bereits gut 3.500 Teilnehmende mit Lina E. solidarisiert hatten.

Mehrere Gerichte bestätigten das Demoverbot, am Samstag wies auch das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde dagegen zurück. Die autonome Szene aber hatte trotzdem weiter zum Protest aufgerufen – „jetzt erst recht“. Auch wurde in einem Aufruf ein Sachschaden von 1 Million Euro für jedes verhängte Haftjahr angekündigt.

Am Samstagnachmittag hatte Jürgen Kasek noch gehofft, das Ganze irgendwie retten zu können. Der Verein „Say it out loud“ hatte eine Demonstration am Alexis-Schumann-Platz nördlich von Connewitz angemeldet, schon am Mittwoch in Reaktion auf die Allgemeinverfügung, als das noch erlaubt war. „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“, lautete der Titel. Kasek, grüner Stadtverordneter, übernahm die Versammlungsleitung. In der autonomen Szene wurde der Aufzug schnell als Ersatz für die verbotene „Tag X“-Demonstration ausgemacht.

Tatsächlich sammeln sich am Samstagnachmittag gut rund 2.000 Menschen auf der Grasfläche, rundherum Polizeiwägen. Familien mit Kinderwagen sind anfangs darunter, die „Omas gegen rechts“, eine Trommelgruppe. Am Kopf der Demo steht eine Gruppe, die sich mit inhaftieren türkischen An­ti­fa­schis­t:in­nen solidarisiert, denen eine kriminelle und terroristische Vereinigung im Ausland vorgeworfen wird. Parallel aber sammeln sich Schwarzgekleidete. Eine Frau trägt ein Pappschild mit „Free Lina“, auf einem Plakat prangt die Anspielung auf die Hammerangriffe ihrer Gruppe: „… if i had a hammer“.

Als Jürgen Kasek über einen kleinen Lautsprecher die Veranstaltung eröffnet, wird er immer wieder von Sprechchören unterbrochen. „129 kennen wir schon – Feuer und Flamme der Repression“ ertönt es. Gemeint ist der Paragraf 129 im Strafgesetzbuch: die kriminelle Vereinigung. Die Polizei macht die Straßen dicht, fordert ein Ablegen der Vermummung. Auch Kasek appelliert, sich nicht zu vermummen – weitgehend ohne Erfolg. Man habe kein Interesse an einer Eskalation, sagt Kasek der taz. „Wir wollen diese Bilder nicht liefern. Sonst spielen wir nur ein Spiel mit, das wir nicht gewinnen können. Gewalt ist nie ein Selbstzweck.“ Die Polizei hat wegen des Schwarzen Blocks bereits nur noch eine stationäre Kundgebung erlaubt. Kasek kritisiert das scharf. „Ich habe den Eindruck, dass nie geplant war, dass wir laufen dürfen. Das wirkt wie eine Falle.“

Wenig später rennt der Schwarze Block plötzlich los, Richtung einer Seitenstraße. Steine, Flaschen und Feuerwerk fliegen auf Polizeibeamte, laut Beobachtern auch ein Brandsatz. Pink, lila und schwarze Rauchschwaden liegen über den Straßen. Die Polizei aber riegelt die Straße ab, lässt Wasserwerfer aufziehen und treibt die Autonomen zurück auf den Platz – in den Polizeikessel. Dort hinein geraten indes auch andere Teilnehmende, etwa die türkischen Antifaschist:innen. Umstehende solidarisieren sich noch mit den Festgesetzten. Eine Kundgebung oder Demonstration wird es nicht mehr geben.

In Connewitz kommt es in den Folgestunden noch zu vereinzelten kleinen Barrikadenbauten und Steinwürfen auf eine Polizeiwache. Die Polizei hat es aber schnell unter Kontrolle, rückt wieder mit Wasserwerfern an. Am Ende steht nur noch der Polizeikessel in der Südvorstadt. Bis in die Morgenstunden werden dort Parolen gerufen. „Free Lina“, schallt es. Oder: „Wo wart ihr in Hanau?“ Immer wieder fordert die Polizei auf, politische Parolen mit Bezug auf Lina E. zu unterlassen. Demosanitäter werfen Wasserflaschen und Chips in die Menge, verteilen später Rettungsdecken gegen die Kälte.

Jürgen Kasek versucht auch da noch, eine Solidaritätsdemonstration für die Festgesetzten anzumelden, redet unablässig mit Polizeibeamten – ohne Erfolg. Selbst Minderjährige würden in dem Kessel festgehalten, Eltern nicht informiert, schimpft er. „Das ist rechtswidrig.“ Nach und nach werden die Eingekesselten von der Polizei herausgeführt, fotografiert, ihre Personalien aufgenommen. Die meisten erhalten einen Platzverweis, einige berichten, sie hätten ihre Handys abgeben müssen. Spricht die Polizei zunächst von 300 Festgesetzten, korrigiert sie das später auf gut 1.000 nach oben. Der elfstündige Kessel toppt damit sogar noch den der Blockupy-Proteste 2013 in Frankfurt am Main, wo ebenfalls gut 1.000 Demonstrierende für neun Stunden festgesetzt wurden – das Bundesverfassungsgericht hielt das später für rechtmäßig.

In Leipzig wird erst im Morgengrauen die letzte Person aus dem Kessel geführt. Fünfzig werden in Gewahrsam genommen, bei 30 wird ein Haftbefehl geprüft. Die Polizei spricht von 50 verletzten Einsatzkräften, drei davon dienstunfähig. Polizeipräsident René Demmler spricht von „viel sinnloser, extremer Gewalt“.

„Skandalöses Versammlungsverbot“

Auf der anderen Seite schimpft auch die Connewitzerin und Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel über ein „skandalöses Versammlungsverbot“ am Wochenende. Nagel ist bestens mit der Szene vernetzt, hatte im Vorfeld noch dazu aufgerufen, Leipzig „nicht zu zerkloppen“. Am Samstagnachmittag war auch sie am Schumann-Park, hatte versucht, mit der Polizei über eine Demonstration zu verhandeln – vergebens. „Zumindest eine kurze Route hätte geholfen, um Dampf abzulassen“, klagt Nagel. „Aber da wurde völlig dichtgemacht.“

Zu den Empörten gehört auch Rechtsanwalt Max Malkus, der einen der Beschuldigten vertritt, die bereits am Freitag in Connewitz verhaftet wurden. Auch dort war es bereits zu Stein- und Flaschenwürfen auf Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge in Connewitz gekommen, auch private Pkws wurden beschädigt. Fünf Männer, 20 bis 32 Jahre alt, wurden daraufhin festgenommen – alle landeten in U-Haft. Einer davon ist Mandant von Anwalt Malkus. Die Haftbefehle seien wegen angeblicher Fluchtgefahr angesichts der zu erwartenden hohen Strafen ausgestellt worden, so der Anwalt. „Völlig überzogen bei solchen Vorwürfen und in der Sache nicht zu vertreten“, schimpft Malkus.

Es habe teilweise 24 Stunden gedauert, bis die Festgenommenen dem Haftrichter vorgeführt worden seien. „Und der war inhaltlich überfordert, wollte sich aber auch keine weiteren Bereitschaftsrichter heranziehen oder Argumente hören. Sein Job war es, einfach alle wegzusperren. Hier sollte ein Exempel statuiert werden.“

In Connewitz wollten Linke derweil am Sonntagabend wieder demonstrieren, am Herderpark, „gegen Polizeigewalt“. Auch Jürgen Kasek wollte kommen. Aber auch diese Demonstration wurde am Sonntag von der Stadt verboten, mit Verweis auf die Allgemeinverfügung und eine erneute Eskalationsgefahr. „Das ist alles unfassbar“, schüttelt Kasek da nur noch den Kopf. „Die Versammlungsfreiheit wurde an diesem Wochenende in Leipzig einfach abgeschafft.“

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