Demos wegen Urteil gegen Lina E.: Polizei leugnet Linken-Checkliste

Das Bundesinnenministerium bestätigt, dass die Polizei die Nordwestbahn um Meldung linker Reisender im Kontext der Lina-E.-Demos gebeten hat.

Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift "Links ohne Gewalt" hoch

Könnten Sie ihn ohne Schild zuordnen? Linker Demonstrant in Hamburg Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Die Linke im Bundestag kritisiert die Bundespolizei für Maßnahmen rund um Demos wegen der Verurteilung der Antifaschistin Lina E. Die Bundespolizei habe ihre Zuständigkeit überschritten, sagt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martina Renner. Sie fordert eine Untersuchung.

Renner reagiert auf eine Antwort des Bundesinnenministerium auf ihre Frage nach einem taz-Bericht, in dem es unter anderem um Merkmalslisten ging, anhand derer Zugpersonal vermeintlich linke Fahrgäste hätte erkennen sollen.

Am 31. Mai war es nach dem Urteil gegen Lina E. und drei weiteren Angeklagten bundesweit zu linken Demos gekommen. Laut einer internen Anweisung der Nordwestbahn in Bremen sollten Mitarbeitende linke Fahrgäste an die Betriebsleitzentrale melden.

Wörtlich hieß es: „Laut Bundespolizei sind linke Personen an folgenden Merkmalen bzw. Aussehen zu erkennen: Alternatives Auftreten bzw. Aussehen, evtl. mit Dreadlocks, links orientiert, besonders häufig auch Studenten, Personen, die der ‚Öko-Szene‘, ‚Grünen-Szene‘ oder Generation-Z zuzuordnen sind.“

Bundesweit Kritik

Die Liste sorgte bundesweit für Kritik. Rechtsanwalt Sven Adam aus dem erweiterten Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins hielt schon die Bitte der Bundespolizei, ihr Verdächtige zu melden, für empörend. Zugpersonal würde aufgefordert, zu Hilfspersonen rechtswidrigen Handelns der Bundespolizei zu werden.

Auf Anfrage Renners erklärte das Bundesinnenministerium nun: Wegen der Urteilsverkündung in Dresden habe die Bundespolizei „bundesweit lageangepasst Aufklärungs-, Fahndungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen in Reisezügen durchgeführt“. Damit seien „bahnpolizeiliche Aufgaben nach § 3 Bundespolizeigesetz“ erfüllt worden.

Grundlage seien Gefahreneinschätzungen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden. Man habe verhindern wollen, dass „gewaltbereite bzw. kriminelle Personen“ anreisen. Die Maßnahmen dienten „der Abwehr der von diesen ausgehenden Gefahren für den Bahnverkehr sowie Bahnreisende“.

Die Ausübung staatlicher Befugnisse ist laut Grundgesetz föderal organisiert und Ländersache – Aufgaben der Bundespolizei entsprechend eingeschränkt. Jener Paragraf 3 des Bundespolizeigesetzes (BPolG), den das Innenministerium anführt, begrenzt die Gefahrenabwehr durch die Bundespolizei auf zwei Fälle: auf Gefahren, die „1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder 2. beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen“.

Martina Renner, MdB, Die Linke

„Es wurde nie behauptet, dass Züge gekapert würden“

Renner kritisiert nun: „Die Bundespolizei hat mit dieser Maßnahme die landespolizeilichen Zuständigkeiten verletzt.“ Die Vorschrift des Paragrafen 3 BPolG ermögliche das bahnpolizeiliche Einschreiten für eisenbahnspezifische Gefahren. „Aber es wurde nie erwartet oder behauptet, dass Züge gekapert und in Dresdner Gerichtssäle umgeleitet würden.“

Weiterhin ungeklärt bleibt die Herkunft der Merkmalsliste. Zwar stand die Bundespolizei laut Innenministerium mit den Eisenbahnunternehmen im Austausch: „Dies umfasste auch die Bitte an die Verkehrsunternehmen, der Bundespolizei mögliche anlassbezogene Feststellungen mitzuteilen.“ Aber: Äußere Merkmale zur Erkennbarkeit des betroffenen Personenkreises habe die Bundespolizei nicht übermittelt.

Gleiches antwortete die Bundespolizeidirektion Hannover auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Sie erklärte zudem: „Die Bundespolizei distanziert sich ausdrücklich von den über diverse Medien veröffentlichten Merkmalen.“

Nach Bekanntwerden der Liste hatte die Nordwestbahn den Mitarbeiter ihrer Betriebsleitstelle, der sie an das Zugpersonal verschickt hatte, von seinen Aufgaben entbunden. Es steht Aussage gegen Aussage: Nach der Bitte, verdächtige Fahrgäste zu melden, kam es nach taz-Informationen zwischen Betriebsleitstelle der Nordwestbahn und der Bundespolizeiinspektion Bremen zu einem Telefonat von mindestens einer Minute. Der Inhalt des Gesprächs wurde anscheinend aber nicht aufgezeichnet.

Die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns wird indes auch in Leipzig im Zusammenhang mit einer Demonstration wegen des Urteils gegen Lina E. diskutiert. Am 3. Juni hatte die Polizei dort etwa Tausend Personen, darunter auch Minderjährige, rund elf Stunden lang einkesselt, um ihre Identität festzustellen. In einer Sondersitzung des Landtags verteidigte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) den Einsatz. Die Festgenommenen hatten von unwürdigen Zuständen berichtet.

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