Polizei will Fotos von „Tag-X“-Demo: „Journalisten sind keine Ermittler“
Nach den „Tag-X“-Protesten in Leipzig will die Polizei Bilder von einem Fotografen. Der Journalistenverband DJV warnt vor der Zusammenarbeit.
Die Anfrage erreichte den Fotografen nach taz-Informationen schon kurz nach dem „Tag X“-Protestwochenende in Leipzig. Ob er Bilder zur Verfügung bereitstellen könne, um Straftaten zu verfolgen, fragte ihn die Polizei.
Es gehe insbesondere um Aufnahmen vom Alexis-Schumann-Platz, wo vermummte Polizisten mit Steinen, Flaschen und, laut Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU), auch mit einem Brandsatz beworfen wurden – und wo die Polizei darauf rund 1.000 Protestierende für bis zu elf Stunden einkesselte. Der Protest richtete sich gegen die Verurteilung einer autonomen Gruppe um die Leipzigerin Lina E.
Der Fotograf selbst hat auf die Polizeianfrage nicht reagiert. Aber Lars Radau, Geschäftsführer des sächsischen Ablegers des Deutschen Journalistenverbands (DJV), ist der Fall bekannt. Er sagt: „Journalisten sind keine Ermittler.“ Die Anfrage der Polizei sei an sich nicht verboten, offenbare aber „ein komisches Verständnis journalistischer Arbeit“.
Radaus Empfehlung: „Wir raten Journalisten deutlich davon ab, auf solche Polizeianfragen zu reagieren. Dazu gibt es auch keine Verpflichtung. Straftaten aufzuklären, ist nicht die Rolle von Journalisten.“ Eine Sprecherin der Polizei Leipzig bestätigte der taz „eine gezielte Anfrage“ an eine Person, um an Fotos zu gelangen. Es habe sich dabei nur um eine Bitte gehandelt. Weitere Anfragen werde es nicht geben.
Polizei bat um Bildmaterial
Die Sachlage ist indes nicht neu. Bereits nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg hatte die Polizei mehrere Medien angeschrieben und um nicht veröffentlichtes Bildmaterial gebeten, um Randalierende zu identifizieren. Mehrere Medien kamen dem nach.
Andere wiederum lehnten grundsätzlich ab: Die Weitergaben könnten Verdacht schaffen, dass journalistisches Material nicht zur Berichterstattung, sondern für Ermittlungen verwendet werden. Auch die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnte: „Journalisten sind keine Hilfspolizisten.“
Nach den antikapitalistischen „M31“-Proteste 2012 in Frankfurt/Main, wo es auch zu Randale und einem schwer verletzten Polizisten gekommen war, hatte die Polizei im Anschluss gar Hausdurchsuchungen bei neun Fotografen durchgeführt. Einige arbeiteten auch für die taz, die Chefredaktion verurteilte den Vorgang „aufs Schärfste“.
Die Staatsanwaltschaft erklärte später das journalistische Material als nicht verwertbar für das Ermittlungsverfahren.
Leser*innenkommentare
Privatkundig
Welch fragwürdiges Verständnis der Staatsanwaltschaft in Frankfurt, die Pressefreiheit nicht achtet, und das eigene Vergehen damit rechtfertigt, in dem sie behauptet, dass dies für sie im Nachgang keinen Mehrgewinn gebracht hätte.
Ich halte es auch für fragwürdig, wenn die Polizei selber im Verdacht steht unangemessen gehandelt zu haben und Straftaten begangen zu haben, dass sie sich dann raus nimmt, Material auch für ihre eigene Rechtsverteidigungsstrategie unrechtmäßig einzufordern, da sie ja selbst beschuldigte Beteiligte ist.
Im übrigen menschenrechtstangierende lange Einkesselungen scheint irgendwie auch in NRW System zu haben.
Dies wäre ein rechtsstaatlicher Verstoß durch eine Staatsanwaltschaft, die vorgibt diesen angeblich gar nicht zu erkennen oder zu verstehen.
Ob dies mit so plumpen Rechtfertigungen auch auf der politisch rechten Seite so möglich wäre?
T 1000
@Privatkundig Gute Frage...
Auf jeden Fall hält hier Polizei unser demokratisches System für verhandelbar - mal wieder. Augenzwinkernd unterderhand sozusagen.
32051 (Profil gelöscht)
Gast
Naja, man kann ja für sich selbst die Gegenprobe machen:
Würde ich die Bilder rausgeben, wenn es Rechtsextreme gewesen wären?
Kein Whatsboutismus, aber das kann man sich ja mal überlegen..
Und dann entscheiden, egal wie
T 1000
@32051 (Profil gelöscht) Das kann man nicht für sich allein entscheiden: Wenn man Bilder wegen der Gesinnung der Demo weiter gibt, fällt man dem Journalismus insgesamt massiv in den Rücken. Niemand von der Presse wäre je wieder auch nur einigermaßen sicher, würde das Schule machen.
32051 (Profil gelöscht)
Gast
@T 1000 Es geht nicht um Gesinnung. Lassen Sie doch mal die Gesinnung raus.
Es geht um Straftaten.
PS: "Der Journalismus" insgesamt ist von Bildzeitung bis Jungle World ziemlich breit.
Und wieso sollte man nicht sicher sein?
Weil Extremisten Rache nehmen könnten?
Das kann ja jetzt kein Argument sein
T 1000
@32051 (Profil gelöscht) Die Gesinnungen haben Sie gegenüber gestellt: Oben geht es nicht um Rechtsextreme, in Ihrem Post schon.
Wenn Sie die Abwägung über Straftaten treffen wollen, müssen Sie von Straftaten schreiben, nicht von Rechtsextremen.
Tatsächlich würden Journalist*innen wohl am ehesten Bilder zur Verfügung stellen, wenn es um besonders schlimme Verbrechen gehen würde. Dem Artikel entnehme ich aber bisher nur "Straftaten" allgemein.
Zum Thema Sicherheit: Wenn man auf Demos davon ausgehen muss, dass Journalist*innen regelmäßig Bildmaterial an die Polizei weiter geben, wenn die es gern hätte, würden sie auch entsprechend wahrgenommen. Als verlängerter Ermittlungsarm sozusagen, nur ohne den Schutz von Bewaffnung und Hundertschaft. Das hat mit Rache nichts zu tun, sondern damit, dass man dann als Extremist noch massiver versuchen sollte, Fotos und Filmaufnahmen zu unterbinden.
32051 (Profil gelöscht)
Gast
@T 1000 Wie gesagt,es ist Sache der Journalisten, Bilder herauszugeben oder nicht.
Mir ist beides recht.
Fakt ist aber, dass dass man auf Demos damit zu rechnen hat, gefilmt zu werden.
Und wenn man nicht will, dass sich die Polizei für das Material interessiert, kann man sich einfach benehmen wie ein zivilisierter Mensch.
Was ist an "Friedlich und ohne Waffen" und das Grundgesetz zu zitieren, so schwer?
YoHoNoMo
@32051 (Profil gelöscht) Klar kann man die Gegenprobe für sich selbst anstellen. Das hat allerdings nichts mit dem beschriebenen Problem zu tun, es sei denn, man ist Journalist.
Die persönliche Bewertung ist aber bestimmt trotzdem interessant und erhellend für einen selbst.
Uranus
Interessant - in vielen Fällen behindert die Polizei die Pressearbeit oder verlangt in anderen Fällen das Löschen von Bildern und Videos, wenn sie befürchtet auf diesen "schlecht wegzukommen". Wenn sie sich aber von journalisistischer Arbeit einen Nutzen erhofft, fragt sie deren Fotos an. Souveräne Polizeiarbeit, topp!
StefanMaria
Scheint so, dass der Einsatz so schlecht geplant und durchgeführt war, dass jetzt schon das Volk um Hilfe gebeten wird.
Ich dachte, dass immer die ganze Vor- und Nachgeschichte bekannt sein muss, um einen Polizisten zu verurteilen. Ein Foto oder kurze Filmsequenz von Journalisten reicht da sicher nicht.
Ich denke mal die Polizei soll ihre eigenen Filmaufnahmen auch auf ihre Beamten stärker ausdehnen, dann klappt das auch mit der Überführung der schwarzen Schafen bei den Polizeikollegen.
Frauke Z
Es ist gut und nützlich, dass Journalisten solche Anfragen ablehnen dürfen, und das muss auch so bleiben.
Wenn man aber schon beim Fotografieren in der Öffentlichkeit, ohne spezielle Einladung oder Vertrauensverhältnis zu einer Gruppe, offensichtliche oder wahrscheinliche Straftaten beobachtet, kann es durchaus moralisch richtig sein, als Zeuge aufzutreten. Ich bin mir sicher, jede/r kann sich Situationen ausdenken, in denen er/sie das befürworten würde.
659554 (Profil gelöscht)
Gast
@Frauke Z "dürfen"?
Ich würde sagen "müssen".
32051 (Profil gelöscht)
Gast
@659554 (Profil gelöscht) MARMOTTE27
heute, 06:11
@FRAUKE Z"dürfen"?
Ich würde sagen "müssen".
Ich würde sagen "Dürfen"
Am Ende beeinhaltet die Pressefreiheit, die Polizei bei Straftaten zu unterstützen oder auch nicht.
Als die beiden Rechtsextremen mit Maulschlüssel auf die Journalisten los gegangen sind, haben sie auch die Fotos heraus gegeben.
Sie können schon, wenn sie wollen
Bolzkopf
Naja, ofmals führen investigative Recherchen ja durchaus auch zu Ermittlungen und da stellen die Journalisten ja ganz gerne auchmal ihr Material zur Verfügung.
Allerdings werden Journalisten bei diesen investigativen Recherchen in der Regel auch nicht Opfer von Polizeigewalt.