Syrische Ärzte in Deutschland: Sie werden dringend gebraucht
Über 6.000 syrische Ärzt:innen arbeiten in Deutschland. Mit dem Sturz des Assad-Regimes wächst die Sorge der Krankenhäuser, dass sie zurückkehren. Ein Ortsbesuch.
J a, wenn die Syrer weg sind, können die hier zumachen“, scherzt Oberarzt Ibrahim Al Shaar im Kontrollraum der Kardiologie im Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg. Der Ort wirkt wie eine medizinische Raumstation. Insgesamt zehn Bildschirme strahlen einem entgegen, diverse Geräte rauschen permanent im Hintergrund. Auf einem der Monitore ist die Nahaufnahme eines Herzens zu sehen: eine dunkelgraue runde Masse, durchzogen von schwarzen Äderchen.
Seit vier Jahren arbeitet der Kardiologe Al Shaar in der Klinik in Neuruppin, seit dreizehn Jahren lebt er in Deutschland. Eigentlich, so sagt er, wollte er nur zwei oder drei Jahre für eine Weiterbildung bleiben – bis der Krieg in Syrien „vorbei“ ist. Dann hat es doch dreizehn Jahre gedauert. Ob er seit dem Sturz des Assad-Regimes überlegt, zurückzukehren? „Nein, ich bin zu alt, um mein Leben noch mal zu ändern. Und meine Kinder kennen nur Deutschland“, sagt der Mann im grünen OP-Kittel bestimmt.
Aus dem Kontrollraum blickt man direkt in einen grell beleuchteten Operationssaal. Dort liegt eine ältere Frau auf einem OP-Tisch. Sie hatte einen Herzinfarkt, soll gleich einen Stent eingesetzt bekommen, damit ihr Blut wieder besser durch ihr Herz fließt. „Können Sie sich vielleicht woanders hinsetzen, die Patientin übergibt sich gerade“, ruft eine andere Ärztin nach ein paar Minuten aus dem Hintergrund. Das Gespräch wird auf später verlegt. Al Shaar muss sich um die Patientin kümmern, noch schnell einen Herzschrittmacher bei einem anderen Patienten einsetzen, einen Katheter legen, dann hat er wieder Zeit.
In Deutschland arbeiten über 6.000 syrische Ärzt:innen, die größte Gruppe an ausländischen Medizinern. Mit der Machtübernahme der islamistischen Miliz HTS Anfang Dezember wurde Syrien aus der jahrzehntelangen Diktatur unter Baschar al-Assad befreit. Seither ist eine gewisse Stabilität in dem Land erreicht. Die von der HTS angeführte Übergangsregierung gibt sich gemäßigt, sie will sich nach eigenen Angaben für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen einsetzen. Freie Wahlen sollen aber erst in vier Jahren stattfinden.
Große Gruppe Laut Bundesinnenministerium lebten Ende Oktober 2024 rund 975.000 syrische Staatsbürger*innen in Deutschland. Ein Großteil von ihnen kam infolge des Bürgerkriegs in Syrien als Geflüchtete nach Deutschland. Im Schnitt leben aus Syrien eingewanderte Menschen bereits seit acht Jahren in Deutschland.
Faesers PläneInnenministerin Nancy Faeser (SPD) will den Schutzstatus von syrischen Geflüchteten prüfen. Davon wären etwa 624.000 Personen betroffen. Sie verfügen über einen befristeten Aufenthaltstitel, der auf einem Schutzstatus beruht. Sie sind damit hinter den Ukrainer:innen die zweitgrößte Gruppe an Schutzsuchenden in Deutschland.
Einige schon StaatsbürgerViele syrische Menschen haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Unter den mehr als 200.000 Menschen sind viele, die 2015 und 2016 hierhergeflohen und erst vor Kurzem eingebürgert worden sind. (taz)
Syrische Menschen sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft
Die veränderte politische Lage entfachte auch eine Diskussion in Deutschland. Kein Tag war vergangen, da forderte etwa der CDU-Politiker Jens Spahn ein Startgeld von 1.000 Euro, mit dem Syrer:innen in ihr Heimatland zurückkehren könnten. Einen Monat später verkündete Innenministerin Nancy Faser (SPD), den Schutzstatus von syrischen Geflüchteten neu zu prüfen, alle Asylverfahren wurden vorerst ausgesetzt. All jene, die nicht arbeiten oder in Ausbildung sind, sollen zurückkehren.
In dem Diskurs wird oft vergessen, wie viele syrische Menschen sich mittlerweile ein Leben in Deutschland aufgebaut haben. Und was für ein wichtiger Teil der Gesellschaft sie geworden sind. Knapp 80.000 Syrer:innen arbeiten in Engpassberufen, also in Bereichen, in denen Stellen schwer nachzubesetzen sind. Sie helfen somit, dem Fachkräftemangel in Deutschland zu begegnen.
Besonders im Gesundheitswesen werden sie gebraucht. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft vom Dezember letzten Jahres sind in der Gesundheits- und Krankenpflege 2.157 syrische Fachkräfte beschäftigt. In diesem Bereich bleiben sieben von zehn Stellen unbesetzt. Laut der Krankenhausgesellschaft fehlen deutschlandweit derzeit mindestens 5.000 Vollzeitstellen im ärztlichen Bereich. „Angesichts des Fachkräftemangels ist es naiv und unverantwortlich, dringend benötigte Fachkräfte auch noch mit Prämien und kostenlosen Flügen zur Rückkehr zu animieren“, sagt Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Die Meisten haben die deutsche Staatsbürgerschaft
Man kann zudem davon ausgehen, dass die Anzahl an Ärzt:innen mit syrischer Migrationsgeschichte weitaus höher ist. Denn viele haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland e. V. (Sygaad) geht davon aus, dass insgesamt etwa 10.000 Ärzt:innen mit syrischer Migrationsgeschichte in Deutschland arbeiten.
Die Zukunft der offenen Gesellschaft steht zur Wahl. Kommt nun eine Rückschrittskoalition, für die Migration wirklich die Mutter aller Probleme ist? Wird Gleichberechtigung wieder zu Gedöns? Nicht in der taz: Wir berichten über den Kampf der Zivilgesellschaft für gleiche Rechte. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
Auch Al Shaar ist inzwischen deutscher Staatsbürger. Berlin, das ist seine neue Heimat geworden. Dort lebt er mit seiner Frau und ihren drei Kindern. Mit seinen drei besten Freunden aus Syrien trifft er sich regelmäßig zum Kartenspielen, auch sie sind seit einigen Jahren in Deutschland. Seine Eltern sind noch in Syrien, jedes Jahr kommen seine vier Geschwister und er in Damaskus zusammen.
Sein Bruder wohnt noch dort, seine drei Schwestern in Dubai und den USA. Anders als Syrer:innen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus konnte er jedes Jahr in sein Heimatland fahren. Wenn man Al Shaar nach der Lage in Syrien fragt, dann wirkt er nicht besonders euphorisch. „Die Wirtschaft ist kaputt und niemand weiß, wie sich das Land entwickelt“, sagt er. Eine Rückkehr, das kommt für ihn derzeit nicht infrage.
Seit dem Sturz von Assad sorgen sich viele Krankenhäuser in Deutschland, dass ihnen das Personal wegbricht. Vor allem im ländlichen Raum und in Ostdeutschland befürchten Kliniken Versorgungsengpässe. „Würden viele syrische Ärzte Deutschland verlassen, wären längere Wartelisten, mehr verschobene OPs, mehr Überstunden und vieles mehr die Folge“, sagt Gaß.
23 syrische Ärtze arbeiten in der Klinik in Neuruppin
Auch Alexander Lottis war sofort alarmiert, als er von den Nachrichten aus Syrien erfuhr. Der Geschäftsführer der Klinik in Neuruppin sitzt gerade in einem Besprechungsraum in einem der über ein Dutzend Backsteingebäude der Klinikanlage. „Ich kann auf syrische Angestellte nicht verzichten“, sagt er entschieden. Insgesamt 23 syrische Ärzte arbeiten an der Klinik, zwei Syrerinnen in der Pflege. Es sei allgemein schwierig, Arztstellen in einer strukturschwachen Region wie Ostprignitz-Ruppin neu zu besetzen.
Im Dezember ließ Lottis deshalb sofort erheben, wie viele Angestellte aus Syrien in der Klinik arbeiten und ob diese mit dem Gedanken spielen, zurückzukehren. Bisher sei die Rückmeldung, dass die meisten erst einmal abwarten wollen. „Wir sind froh, dass wir bisher noch keine einzige Kündigung erhalten haben“, sagt er.
Was der Geschäftsführer davon hält, dass Deutschland gerade darüber diskutiert, syrische Geflüchtete zurückzuschicken, anstatt über deren Bedeutung für den Arbeitsmarkt zu sprechen? Der Frage weicht er aus. Für seine Klinik seien ausländische Arbeitskräfte unverzichtbar, er würde niemandem Geld geben, seine Klinik zu verlassen, betont er erneut.
Samer Matar von Sygaad findet klarere Worte. Der Syrer arbeitet selbst als Arzt in Leipzig. „Wir werden nur als Arbeitskräfte gesehen, nicht als Menschen mit Schicksalen“, sagt er. Er wünsche sich mehr Empathie in der deutschen Debatte. Es irritiert ihn, dass syrische Menschen in den Medien lediglich als Last und als Kriminelle dargestellt werden. Das bekommen auch seine Kollegen zu spüren. Vor allem in Ostdeutschland berichten sie immer wieder von rassistischen Äußerungen von Patienten. „Einige wollen nur von einem biodeutschen Arzt behandelt werden.“ Das würde in vielen Fällen bedeuten, dass sie länger auf eine Behandlung warten müssen.
Für Al Shaar ist die Stimmung im Land wenig überraschend
Bei der Landtagswahl im September hat die AfD in Brandenburg 29,2 Prozent der Stimmen bekommen, in Neuruppin stimmten 26 Prozent für die vom Landesverfassungsgericht beobachtete Partei. Deren Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Götz Frömming, fordert lautstark Abschiebungen, kritisiert Containersiedlungen für Geflüchtete im ländlichen Raum. Was bekommt Al Shaar von den Ressentiments gegen Migrant:innen zu spüren?
„Ich habe schon das Gefühl, dass sich die Stimmung in den letzten Jahren verändert hat“, sagt er. Für ihn ist das wenig überraschend. Geht es der Wirtschaft in einem Land schlecht, dann wird eben nach unten getreten. Die Ausländer seien die ersten Opfer. In seinem Arbeitsalltag bekommt er von dieser Stimmung aber wenig mit. Die meisten Patient:innen seien sehr herzlich und dankbar.
Als Kardiologe wird man schnell zum Helden. Erst heute Morgen hat er einem älteren Herrn einen Herzschrittmacher eingesetzt, der Mann konnte kaum laufen, nach der Operation fühlte er sich sofort besser. „Das liebe ich an der Kardiologie, du hast sofort Effekte“, sagt Al Shaar.
Etwas weniger dramatisch geht es in der Geriatrie zu. In der Station sind vor allem Menschen über 65, die an alterstypischen Erkrankungen leiden. Dort herrscht mittags reges Treiben. Krankenpfleger laufen mit Essenstabletts durch die Gegend. Eine ältere Frau mit Rollator wird von einer Krankenschwester aufgehalten. „Sie wollen bestimmt meinen Blutzucker“, ruft sie der entgegen. Die Krankenschwester nickt. Die Frau zückt ihr Smartphone, wischt über das Display und hält der Schwester das Display ins Gesicht. „16,2“, sagt sie mit einem stolzen Unterton. Auf dem Gang ist gerade auch der syrische Arzt Baraa Daboul auf dem Weg zu einer Visite.
Rassistische Äußerungen kommen mal vor
„Wie geht es Ihnen denn heute?“, fragt der junge Arzt, als er das Patientenzimmer am Ende des Gangs betritt. Dort liegt eine ältere Patientin im Bett, auf einem kleinen Fernseher läuft eine Gameshow. „Ja, geht so“, antwortet sie. „Haben Sie immer noch Schwindel?“, fragt Daboul. Die Patientin bejaht, vor allem wenn sie den Kopf drehe, nehme der Schwindel zu. Wie eine Karussellfahrt fühle sich das an. Er würde jetzt mal das Herz abhören, sagt er, tritt ans Bett, setzt das Stethoskop auf und lauscht einen Moment den Herztönen der Frau. Ihre linke Klappe scheint nicht in Ordnung zu sein, er wird mal einen Ultraschall ihres Herzens in die Wege leiten. Nächste Woche reden sie dann noch mal wegen der Entlassung. Die Frau nickt, er verlässt den Raum.
„Ich habe mich eigentlich immer willkommen gefühlt, aber natürlich gab es ab und zu Schwierigkeiten“, erzählt der 29-Jährige später. Er ist vor drei Jahren nach Deutschland gekommen, gerade macht er seine Facharztweiterbildung und seine Approbation. Vor allem die Sprache war am Anfang eine Herausforderung – und der deutsche Humor.
Rassistische Äußerungen kämen auch immer mal wieder vor, aber damit hat er mittlerweile einen Umgang gefunden. Als er noch nicht so gut Deutsch konnte, wusste er nicht, wie er sich wehren kann. Das sei jetzt anders, mittlerweile spricht er die Patienten direkt an oder meldet Vorfälle bei seinen Vorgesetzten.
Nach Neuruppin ist Daboul eher zufällig gekommen, er wollte in der Nähe von Berlin sein, da sein Onkel dort wohnt. Er genießt die Ruhe der Kleinstadt und es gibt mittlerweile auch eine kleine syrische Community. Daboul trifft sich mit ihnen im Fitnessstudio oder sie fahren gemeinsam in die Hauptstadt. Seit acht Monaten sind seine beiden Brüder in Deutschland. Er konnte sie über das Familiennachzugsprogramm nach Neuruppin holen. Sie hätten Glück gehabt, denn die Asylverfahren und der Familiennachzug sind ausgesetzt.
Daboul kann sich nicht vorstellen Deutschland zu verlassen
Den Sturz des Assad-Regimes hat Daboul überhaupt nicht erwartet und sich wahnsinnig gefreut. Seine Eltern leben noch in Aleppo, sein Vater war elf Jahre lang aus politischen Gründen im Gefängnis. Nach einer jahrzehntelangen Diktatur seine Meinung frei äußern zu können, das sei ein besonders Gefühl. „Wir haben so ein syrisches Sprichwort, das die Assad-Zeit gut beschreibt: Die Wände haben Ohren. Das ist jetzt vorbei“, sagt er.
Aber auch seine Brüder und er können sich gerade nicht vorstellen, zurückzugehen. Dafür ist die politische Lage im Land noch zu unsicher, die Wirtschaft hat sich noch nicht erholt. Daboul hatte unabhängig vom Krieg vor, im Ausland als Arzt zu arbeiten. Jetzt hat er sich hier in Deutschland ein neues Leben aufgebaut, sich durch die Bürokratie des deutschen Gesundheitssystems gekämpft, das will er nicht alles aufgeben. Er möchte wie Al Shaar in der Kardiologie arbeiten, das war schon immer sein Traumberuf. Es wird aber noch ein paar Jahre dauern, bis es so weit ist.
Was er von der Diskussion über Rückführungen hält? „Ich habe schon das Gefühl, dass da ein rassistischer Unterton mitschwingt“, sagt er. Die Parteien würden das Thema gerade für den Wahlkampf ausnutzen. Er versucht, solche Nachrichten zu ignorieren. Der junge Arzt wirkt unaufgeregt, wenn er über das Thema Migration spricht. Er könne sich nicht vorstellen, dass in Deutschland wirklich rassistische Gesetze durchgebracht werden, er hat Vertrauen in die demokratischen Strukturen im Land. Deutschland sei noch immer ein freies Land.
In der Kardiologie ist gerade Patientenwechsel, die ältere Frau wird aus der OP auf einem Krankenbett Richtung Ausgang geschoben. Ein groß gewachsener schmaler Mann kommt durch die Tür, auch er ist aus Syrien, vor drei Jahren kam er nach Deutschland. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen irgendetwas Interessantes erzählen kann, ich bin kein Geflüchteter“, betont er gleich am Anfang des Gesprächs. Seinen Namen will er auch nicht nennen, er weiß nicht genau, warum. Es wirkt, als wolle er nicht stellvertretend für alle Syrer sprechen.
Nach Neuruppin zu kommen, das war für den Arzt vor allem eine Karriereentscheidung, sein Vater hat schon eine Weiterbildung zum Kardiologen in Frankreich gemacht, jetzt macht er das Gleiche in Deutschland. Er kommt aus einer christlichen Familie in Damaskus, vom Krieg hat er wenig mitbekommen.
Für ausländische Fachkräfte ist es bürokratisch schwer
Über den Sturz des Regimes hat er sich trotzdem sehr gefreut, bis jetzt entwickele sich sein Heimatland in eine gute Richtung. Auf Minderheiten wie Christen wird bisher Rücksicht genommen. Auch er will erst mal abwarten, wie sich alles entwickelt. Als Christ blickt er noch vorsichtiger auf die Situation in seinem Land. Was er von der Migrationsdebatte hält? Dazu hat er keine Meinung, betrifft ihn ja nicht. Dass sie keine Geflüchteten seien, das betonen alle drei syrischen Ärzte. Fast so, als müssten sie klarstellen, dass sie ja nicht diejenigen sind, über die in der Debatte gesprochen wird.
Bei den syrischen Ärzten in Neuruppin hat man nicht das Gefühl, als würden sie sofort in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Doch wie ist es im Rest von Deutschland? Die Sygaad hat kurz nach dem Sturz von Assad eine nicht repräsentative Umfrage in einer Facebook-Gruppe gestartet. Darin gaben 945 von den 1.200 Teilnehmenden an, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Matar geht davon aus, dass die meisten nicht Hals über Kopf ausreisen. Sie wollen ihre Ausbildung vielleicht erst einmal abschließen, oder eben abwarten, wie sich alles entwickelt. „Ich habe das Gefühl, dass vor allem jene, die nicht gut integriert sind, schnell zurückgehen werden“, sagt er.
Auch Baraa Daboul möchte seinem Heimatland helfen. Aber erst einmal von Deutschland aus. Wie das gehen soll, darüber macht sich Matar mit seinen Kollegen zurzeit Gedanken. Sie wollen syrischen Ärzt:innen ermöglichen, eine kurze Zeit in Syrien zu arbeiten, um dort ihre Expertise zu teilen. Dafür sind sie mit Akteuren wie dem Bundesentwicklungsministerium und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Gespräch. Denn in Syrien gebe es zwar genügend Ärzt:innen, aber es fehle an Fachwissen, vor allem in Bereichen wie der Kardiologie. Eine Idee wäre es, den Angestellten eine Art Bildungsurlaub zu ermöglichen. Bevor Krankenhäuser ihre Fachkräfte ganz verlieren, könnten sie auf diese Weise womöglich gehalten werden.
Unabhängig von der politischen Lage in Syrien gibt es aber noch immer viele syrische Ärzt:innen, die nach Deutschland kommen wollen, so Matar. Sie müssten schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Auch die Krankenhausgesellschaft sieht in der Integration von Fachkräften Luft nach oben. Wegen bürokratischer Hürden dauert es manchmal Jahre, bis ausländische Ärzt:innen ein Visum bekommen oder ihre Approbation anerkannt wird. „Deutschland macht es ausländischen Fachkräften sehr oft unnötig schwer, das muss sich ändern“, sagt Gaß.
In der Kardiologie ist es mittlerweile nachmittags. Der OP-Tisch ist leer, alle Geräte sind ausgeschaltet. Für Al Shaar ist gleich Feierabend. Aber erst posiert er noch für ein Foto. Dafür setzt er seine OP-Haube mit Herzmuster auf und stellt sich lächelnd hinter den OP-Tisch. Der Oberarzt hat auch nach sechs Operationen noch gute Laune. „Wie viel kostet ein Mensch, bis er Arzt geworden ist in Deutschland?“, fragt er scherzend. Mit den ganzen Ausbildungskosten, Schule, Kita, etwa 500.000 Euro, beantwortet er die Frage selbst. „Wir sind kostenlos gekommen als Facharzt, komplett, fertig.“ Seine Aussage ist ein Appell für mehr Anerkennung und Respekt für syrische Menschen in Deutschland. Integration, das sei keine Einbahnstraße.
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