Sturz des Syrien-Regimes: Dank an Netanjahu?
Das Ende des syrischen Regimes verschiebt die Konflikte im Nahen Osten. Der Iran und Russland sind die Verlierer. Israel könnte zum Gewinner werden.
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E s hat nicht an Warnungen gefehlt. Israel zündele an einem „Flächenbrand im Nahen Osten“, äußerten diverse selbsternannte Experten nach Beginn des Kriegs gegen die Hamas.
Die Töne wurden noch schriller, als die israelische Regierung sich zu einem Krieg gegen die libanesische Hisbollah-Miliz entschloss. Sie erreichten ihren Höhepunkt, nachdem zuerst der Iran Israel angegriffen hatte und daraufhin Israel den Iran beschoss. Plötzlich bangten deutsche Autofahrer um ihr Wertvollstes – das Benzin für ihre Tanks.
Und nun? Sprit ist reichlich vorhanden. Statt des viel beschworenen „Flächenbrands“ im Nahen Osten ist das syrische Assad-Regime nach über 50 Jahren wie ein Kartenhaus zusammengeklappt. Wenige Tage genügten, um eine hohle Herrschaft zu überwinden – etwas, das im 2011 einsetzenden Krieg nicht gelungen ist.
Einen großen Anteil an diesem zivilisatorischen Fortschritt hat dabei ausgerechnet Israel. Denn es war der Staat der Juden, der mit seinem Militär gegen die wichtigsten Verbündeten des Diktators Baschar al-Assad den Weg dafür bereitet hat, dass sich die Opposition in Syrien durchsetzen konnte.
Indirekte Effekte von Israels Krieg
Sowohl die Hisbollah als auch der Iran sind so geschwächt, dass sie nicht effektiv auf der Seite ihres Verbündeten in Damaskus eingreifen konnten. Russland ist in der Ukraine gebunden und ließ seinen Verbündeten im Nahen Osten über die Klinge springen.
Ein wenig Applaus ausgerechnet für die Regierung Netanjahu wäre also angebracht, wenn auch nicht zu erwarten. Ob Israel den Effekt ihres Krieges gegen Hisbollah und Iran allerdings auch gewollt hat, ist eine andere Frage.
Denn trotz des Bündnisses Assads mit den schiitischen Kämpfern im Libanon und der Mittelmacht am Persischen Golf galt Assads Herrschaft in Tel Aviv auch als berechenbar.
Zwar ließ Assad zu, dass der Iran seine Hisbollah via syrischem Staatsgebiet mit Raketen fütterte, zwar entwickelte sich Syrien zum Kern einer pro-iranischen Achse gegen Israel wie gegen konservative arabische Regime. Doch Assad wusste auch allzu aggressives Verhalten seiner Militärs gegen Israel zu unterbinden.
Neue Führung in Syrien ist unberechenbar
Die Kenntnisse über die neuen Machthaber in Damaskus sind dagegen ziemlich ausbaufähig. Ob die siegreichen Kämpfer der Hajat Tahrir al-Scham (HTS) tatsächlich dem gewaltsamen Islamismus abgeschworen haben, scheint letztlich nicht geklärt, auch wenn einiges dafür spricht.
Noch weniger ist über die lokalen Widerstandsgruppen aus dem Süden Syriens bekannt, die sich dem Aufstand angeschlossen haben.
In Israel wird man Baschar al-Assad keine Träne nachweinen. Andererseits bleibt es ein Horrorszenario, sollten islamistische Terroristen in den Besitz von chemischen Waffen kommen, die bisher die syrische Armee gelagert hat.
Israel besetzt Golanhöhen als Machtdemonstration
Noch am ersten Tag des Herrschaftswechsels in Damaskus hat Israel die UN-Pufferzone auf den Golanhöhen teilweise besetzt. Es soll zu Gefechten zwischen israelischen Soldaten und lokalen syrischen Kämpfern gekommen sein, und unbestätigten Berichten zufolge flog die israelische Luftwaffe Angriffe auf unbekannte Objekte im Raum Damaskus.
Das sind nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber den künftig Regierenden in Damaskus. Sie sollen offenbar von Beginn an deutlich machen, dass militärische Angriffe aus Syrien auf Israel keine gute Idee sind.
Der Iran und Russland sind die großen Verlierer beim Sturz von Assad. Ob Israel deshalb zum Gewinner wird? Ob sich das Nachbarland in Zukunft zur Anerkennung des jüdischen Staates entschließen wird, gar zu freundlichen Beziehungen? Das wissen nicht einmal die Experten.
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