Studie zur Belastung des Planeten: Deutlich erhöhtes Infarktrisiko

Zu viel Plastik, zu hoher Verbrauch von Süßwasser, zu viel Erwärmung: Laut einer aktuellen Studie sind 6 von 9 planetaren Grenzen sind überschritten.

Betonbrückenteil in Sandwüste

Auch die Zubetonierung der Landschaft ist ein schwerer Eingriff Foto: Axel Heimken/dpa

BERLIN taz | Es ging schon einmal schief: Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Bergleute im Freiberger Silber-Revier in Sachsen so viele Bäume gerodet, dass in der Umgebung kaum Holz übrig war. Ohne Holz aber war Bergbau nicht mehr möglich – Bohlen zum Abstützen wurden gebraucht und Heizstoff zum Schmelzen des Erzes. Die Bergleute hatten natürliche Grenzen überschritten. Damals prägte Hans Carl von Carlowitz den Begriff der Nachhaltigkeit.

Der Oberberghauptmann des Erzgebirges ordnete an, fortan nur noch so viel Holz zu schlagen, wie zugleich nachwachsen kann. In seinem Lehrbuch „Sylvicultura oeconomica“ schrieb er 1713, der Anbau von Bäumen müsse so erfolgen, „daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentbehrliche Sache ist“.

Was damals durch Wiederaufforstung korrigiert werden konnte, stellt sich heute weitaus schwieriger dar. Ein internationales Forschungsteam hat die natürlichen Belastungsgrenzen der Erde untersucht, deren Überschreiten den Weiterbetrieb des Systems kollabieren lassen würde. Die Wis­sen­schaft­ler:in­nen um den Schweden Johan Rockström – er leitet das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK – definieren neun solcher Grenzen. Dazu gehörten etwa der Süßwasserverbrauch, die Funktionsfähigkeit der Biosphäre, das Abholzen und andere Landnutzungsänderungen wie etwa das anhaltende Betonieren von Natur für Straßen oder Gewerbegebiete oder die Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und Chemikalien. Das im Fachblatt Science veröffentlichte Ergebnis ist verheerend: Sechs der neun Grenzen sind bereits überschritten.

„Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, urteilt Ko-Autor Rockström. Wäre die Erde ein menschlicher Körper, wären die planetaren Grenzen so etwas wie der Blutdruck. „Ein Blutdruck von über 120 zu 80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko“, erklärt Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen.

Veränderter Planet

Überschritten sei beispielsweise die Grenze für die Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und Chemikalien: Die Menschheit hat so viel Mikroplastik, Pestizide oder Atommüll in die Umwelt eingebracht, dass der Planet dadurch nachhaltig verändert wird. Auch die Grenze für Süßwasser ist überschritten: Die Wis­sen­schaft­ler:in­nen unterschieden dabei sogenanntes grünes Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen Böden und Pflanzen enthalten ist, und blaues Wasser, das in Flüssen, Seen oder Mooren vorkommt. Ersteres wird übernutzt, zweiteres verdreckt oder ausgetrocknet.

„Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten“, so Ko-Autor Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK. Beim Klimawandel sind die Belastungsgrenzen erreicht, beim Artensterben aber bereits überschritten. „Wir destabilisieren derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden“, urteilt Lucht.

Erstmals wertet die Studie wissenschaftliche Belege für die Quantifizierung der Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre aus. Aerosole sind Dreckpartikel, die durch menschliche Aktivität in die Luft gelangen, Rußpartikel aus den Autoabgasen beispielsweise. Zwar ist diese Grenze noch nicht überall überschritten, nach Ansicht der Wis­sen­schaft­ler:in­nen in einigen Regionen jedoch schon, zum Beispiel in Südasien.

Neue Berechnungsmodelle

Insgesamt sind die Grenzen bei Globaler Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffen, Stickstoffkreislauf und Süßwasser bereits gerissen, die bei Ozonschicht, Ozeanversauerung und Luftverschmutzung halten noch.

Entwickelt hatte das Konzept der planetaren Grenzen 2009 eine Gruppe von 29 Wissenschaftlern, darunter Rockström, Åsa Persson vom Stockholm Resilience Centre, der Nobelpreisträger Paul Crutzen und die dänische Biologin Katherine Richardson. Die jetzt vorgestellte Arbeit aktualisiert nicht nur den Wissensstand, sondern liefert auch neue Methoden zur Berechnung der Grenzen.

Es ist nicht das einzige Konzept, mit dem sich der Raubbau der Menschheit auf der Erde beschreiben lässt: Das Global Footprint Network ermittelt jedes Jahr jenen Tag, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen übersteigt. Dieser sogenannte Erdüberlastungstag war in diesem Jahr der 2. August.

Das älteste Konzept hat aber zweifellos Hans Carl von Carlowitz geliefert.

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