Streit um minderjährige Geflüchtete: Kinderlein kommet
Kurz vor Weihnachten zeigt die Bundesregierung nochmal, was sie draufhat: Keine Menschlichkeit für die in Griechenland leidenden geflüchteten Kinder.
I n einem Wald in Brandenburg hat am Tag vor Heiligabend meine Enkeltochter einen Baum gefällt. Sie ist in ihren Kindersitz geklettert, hat sich von ihrem Vater anschnallen lassen. Und dann ging es hinaus in den rauschenden Forst: nach dem perfekten Baum suchen, ihn absägen und in ein TÜV-geprüftes Auto hieven. Den Baum daheim auspacken und sich wundern, dass das ganze Haus plötzlich nach Kiefer riecht.
Dann die Lichterketten auseinanderfummeln und den schon vor zwanzig Jahren von ihrer Mutter im Schulhort gebastelten Baumschmuck rauskramen und aufhängen. Danach noch einen Märchenfilm gucken – das ist Weihnachten in einem friedlichen Land für ein Kind, das einfach nur Kind sein darf. Am selben Tag meldet die Nachrichtenagentur KNA, dass Unions-Politiker die Forderung des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck nach Aufnahme von Flüchtlingskindern aus griechischen Lagern „strikt ablehnen“.
Habeck hatte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung angesichts der mit 40.000 Menschen heillos überfüllten Lager auf den griechischen Inseln und den schlimmen Verhältnissen dort gefordert: „Holt als Erstes die Kinder raus.“ Schnelle Hilfe sei für die viertausend Mädchen und Jungen ein „Gebot der Humanität“. Habeck betonte, Deutschland müsse handeln, auch wenn andere in der Europäischen Union nicht mitmachten. Es gehe um „viele Mädchen, viele zerbrechliche kleine Menschen“.
„Auch wenn es Zehntausende sind?“, lautete die bange Nachfrage des FAS-Journalisten. Es war nun an Habeck, die Pflichten der Bundesrepublik Deutschland zu erklären. 2016 nämlich hatte diese im Europäischen Rat zugesagt, mehr als 27.000 Menschen aus den Lagern in Griechenland und Italien aufzunehmen. Diese Zusagen, sagte Habeck, „sind nach meinem Kenntnisstand nicht erfüllt“. Zudem gebe es aus mehreren Bundesländern Angebote, die Kinder aufzunehmen.
Es ist mehr als problematisch, wenn deutsche (!) PolitikerInnen mal erklären sollen, warum in Lagern (!) wartende Kinder eben nicht gerettet werden sollten vor den Zumutungen und Anfechtungen eines solchen – nun ja: Lebens? Sprechen wir es doch einmal aus: Es geht um Kinder, die schon ein Darmkeim, eine nicht behandelte Wunde das Leben kosten kann, während deutsche Politiker lieber vor übereilten Entscheidungen warnen, um sich anschließend in den Weihnachtsurlaub zu begeben.
Vorne dran mit den schlechtesten Ausreden sind Politiker der Parteien mit dem C im Namen. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Stephan Mayer (CSU) erklärte denn auch, die Bundesregierung lehne einen „Alleingang“ ab. Der CDU-Innenpolitiker und Bundespolizist Armin Schuster warnte vor „unkalkulierbaren Folgen“. Selbst Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) findet: „Den Kindern kann und muss am schnellsten und wirksamsten vor Ort geholfen werden.“
Es sind faustdicke Lügen und halbgare Ausreden, für die sich ihre Verursacher noch lange sehr schämen werden. „Alleingang“, „unkalkulierbar“, „vor Ort helfen“ – die Angst vor dem Wutbürger und seinen fremdenfeindlichen Handlangern ist mittlerweile mächtiger geworden als die Stimme des Gewissens zur Nächstenliebe.
Als auf meinem Handy ein Foto meiner Enkeltochter neben dem krummsten und deshalb unbedingt nach Hause zu bringenden Weihnachtsbaum aufploppte, fand in Berlin die Regierungspressekonferenz statt. Gefragt nach der Haltung zu Habecks Appell, antwortete die Sprecherin, die Bundesregierung schließe einen deutschen Alleingang aus. „Wir suchen für die Zukunft nach einer europäischen Lösung.“ Und weiter: „Deutschland kann das nicht im Alleingang.“ Es gibt viele Dinge, die wir später einmal unseren Kindern und Enkeln erklären werden müssen. Die Schuld gegenüber den in Griechenland leidenden Flüchtlingskindern am Ende des Jahres 2019 gehört jetzt schon dazu.
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