Streit in der AfD: Die Spaltung der Spalter
Die AfD droht sich zu spalten. Nicht wegen ihrer Haltung zum Rechtsextremismus, sondern in der Kapitalismusfrage.
B jörn Höcke spricht von „Verrat“, Tino Chrupalla von einer „Selbstzerfleischung“, Alexander Gauland von einem „Machtkampf“ – und Andreas Kalbitz sieht sich selbst als „Bauernopfer“. Der Parteiausschluss von Kalbitz bringt die Partei AfD bis kurz vor die Spaltung.
Anders als oft dargestellt geht es in diesem Konflikt nicht nur um Posten oder gar um eine Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Vielmehr erleben wir einen ideologischen Kampf zwischen der marktradikalen und der völkischen Spielvariante des Nationalismus. Es geht, wie Dimitrious Kisoudis, Mitarbeiter von Martin Hess (AfD), es sagte, um die Entscheidung zwischen autoritärem Liberalismus und nationalem Sozialismus (!).
Bisher wurde die AfD noch durch einen geteilten Sozialdarwinismus zusammengehalten: Man konnte gemeinsam gegen Ausländer:innen, Leistungsempfänger:innen und Linke hetzen, weil es egal war, ob diese Menschen nun als Ballast für die Wettbewerbsfähigkeit oder als „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ (André Poggenburg, aus der AfD ausgetreten) galten. Nun scheint aber jener Konflikt ausgebrochen zu sein, der schon seit Bernd Luckes frankensteinischer Verbindung aus Marktradikalismus und Nationalismus schwelt.
Damals fühlte man sich dem Ordoliberalismus verpflichtet, also dem Glauben an die Fehlerlosigkeit des Marktes – wenn er nur vom Staat beschützt wird. In dieser Vorstellung erzeugt der Kapitalismus selbst keine Ungerechtigkeiten. Vielmehr bildet er ab, was bereits vorher bestand; Märkte trennen also die Starken von den Schwachen, sie sind vergleichbar mit einem Sortierverfahren, durch das sich die objektiven (nationalen) Überlegenheiten herauskristallisieren – die Ungleichheit existiert also nicht durch, sondern vor dem Kapitalismus.
studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität. Aktuell schreibt er seine Bachelor-Arbeit über ideologische Spaltungen in der AfD in Fragen der Sozialpolitik.
Marktwirtschaftlich begründete Stereotype
Es war dieses Denken, das die AfDler in der Eurokrise dazu führte, die ökonomischen Unterschiede in der Eurozone nicht etwa auf die in ihr vorherrschenden Machtverhältnisse zurückzuführen, sondern auf die unterschiedlichen „nationalen Mentalitäten“ (Hans-Olaf Henkel, AfD-Gründungsmitglied) der Länder selbst. Die Folgen waren hässliche Stereotype und ein Nationalismus, der die ökonomische Stärke Deutschlands auf eine angeblich objektive, weil marktwirtschaftlich bestätigte, deutsche Überlegenheit zurückführte – man denke etwa an Henkels Bemerkung, Einwanderung aus Osteuropa würde einen „sozialen Bodensatz“ erzeugen. Immer wieder lautete die implizite Behauptung, die Ost- und Südeuropäer seien nun einmal fauler, langsamer und insgesamt schlechter als die Deutschen.
Von einer solchen Rhetorik mussten sich Höcke, Kalbitz und Co. angesprochen fühlen. Es ist daher müßig, wenn heute Lucke, Henkel oder Frauke Petry über Rechtsextremismus klagen. Und es ist erst recht unerheblich, was Jörg Meuthen zu dem Thema sagt, der sich jahrelang hinter den radikalen „Flügel“ stellte, der Chemnitzer Menschenjagden „nur zu nachvollziehbar“ nannte und den rechtsterroristischen Hintergrund des Hanauer Attentats auch dann noch leugnete, als keiner mehr daran zweifeln konnte. Es waren Menschen wie Meuthen, die Höcke und Kalbitz möglich gemacht haben – und zwar mit Kalkül. Wir dürfen Meuthens Frontalangriff gegen den „Flügel“ deshalb nicht als Abgrenzung zum Rechtsextremismus verstehen, sondern als eine vehemente Verteidigung der marktradikalen Parteigrundsätze.
Schon Goethe wusste, dass gerufene Geister schnell ein Eigenleben entwickeln. Und so hat sich im Schoße des Marktradikalismus ein anderer Nationalismus gebildet, der plötzlich nicht mehr die Wettbewerbsfähigkeit, sondern die vermeintliche Idylle der völkischen Gemeinschaft postuliert. Das in dieser Vorstellung romantisierte und mystifizierte Volk steht aber im drastischen Widerspruch zur neoliberalen Konkurrenzrealität. Und so kann plötzlich einem Höcke zugehört werden, der von der „Auflösung der Solidargemeinschaft“ durch „vollständige Ökonomisierung“ spricht – ein untolerierbarer Affront gegen den marktradikalen Konsens in der Partei.
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die rechte „Kapitalismuskritik“ allerdings als reiner Eskapismus, also als Flucht der selbsternannten Romantiker in die biedermeierliche Illusion einer heilen Heimat. Statt die kapitalistischen Ungerechtigkeiten anzugehen, wird versucht, ein völlig homogenes und konfliktfreies Volk zu erzwingen. Kapital und Arbeit müssen deshalb einer über alles stehenden völkischen Einheit untergeordnet werden – die sich praktisch nur in einem von den Extremisten selbst ausgehenden „Nationalbefehl“ zeigen können wird.
Doch auch der Klassenkampf wird nicht einfach so verschwinden. Deshalb versucht die völkische Ideologie, die aus dem Kapitalismus hervorgehenden Antagonismen einfach auf Geflüchtete und Migrant:innen abzuladen. Folgerichtig sieht Höcke im Neoliberalismus auch primär ein „Migrationsdogma“. Er will den Sozialstaat retten, indem die Rente ans Deutschsein gekoppelt wird. Und folgerichtig tritt die soziale Frage am Ende auch hinter sein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ zurück, bei dessen Durchführung er eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ fordert – erneut wird der Utopie also eine Säuberung vorausgesetzt.
Diesem rechtsextremistischen Wunschdenken mit totalitären Folgen kann die politische Linke (anders als die bürgerliche Mitte) tatsächlich etwas entgegensetzen – den politischen Kampf und die bewährte Kapitalismuskritik, welche die wahren Ursachen für empfundene Machtlosigkeit, Abstiegsängste und Fremdenhass aufzuzeigen vermag. In diesem Sinne gilt, angelehnt an Walter Benjamin, dass jeder Erfolg der Rechten tatsächlich auf einem Versagen der Linken beruht, eine echte Alternative zu formulieren, welche die sozialen Folgen des Kapitalismus in emanzipative Energie transformiert.
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