Spardiktat des Berliner Senats: Wer hat uns verraten?
Der Sparhaushalt beerdigt die Hoffnung auf ein zukunftsfähiges Berlin. Schuld trägt die SPD, die die Chance auf eine linke Mehrheit zerstört hat.
D er Tag, an dem Berlin seine Zukunft verspielte, lässt sich genau datieren. An jenem 23. April 2023 stand fest, dass eine knappe Mehrheit der Berliner SPD-Basis dem Vorschlag ihrer Parteichefin Franziska Giffey folgt, als Juniorpartner in eine Regierung unter der CDU einzutreten. Die bis dato regierende Giffey, die freiwillig auf die Machtposition in einer möglichen Koalition mit Grünen und Linken verzichtet hatte, freute sich über eine „Richtungsentscheidung“.
Wie sehr Giffey damit recht hatte, zeichnet sich inzwischen glasklar ab. Der Anspruch, Berlin zu einer sozial-ökologischen und modernen Stadt zu machen, den SPD, Grüne und Linke mehr als sechs Jahre lang zumindest zaghaft verfolgt hatten, ist einer konservativen Klientelpolitik gewichen, die vor den Zukunftsaufgaben kapituliert. Unter den Beschlüssen im Rahmen des Sparhaushalts von CDU und SPD wird Berlin noch sehr lange zu leiden haben.
Die Kürzungsorgien in Bereichen des sozialen Zusammenhalts, bei der ökologischen Wende und nicht zuletzt bei der Digitalisierung werden Spaltungen innerhalb der Bevölkerung vertiefen und dafür sorgen, dass die Stadt vollends den Anschluss verliert. Während Verkehrswende-Musterschülerin Paris die Autopolitik hinter sich lässt, Barcelona als „sorgende Stadt“ den einst privaten Bereich der Sorgearbeit zu einer öffentlichen Aufgabe ausbaut oder Wien auf eine ganzheitliche ökologische Stadtentwicklung setzt, geht Berlin vorwärts in Richtung Vergangenheit.
Die passenden Denkmäler dafür sind schon in Planung: Die gegen jeden Bürgerwillen verfolgte Bebauung der einmaligen innerstädtischen Freifläche des Tempelhofer Feldes sowie die vom Bund betriebene, aber vom Senat tolerierte Schneise der Verwüstung, die die A100 mitten durch das subkulturelle Herz der Stadt schlagen soll.
Politik des 20. Jahrhunderts
Berlin hat nicht nur keine Zukunftsprojekte mehr, sondern streicht überall dort, wo positive Auswirkungen auf die Stadtbevölkerung messbar wären: beim Ausbau der Radinfrastruktur, bei Elektrobussen und neuen Tramlinien, bei der Jugendsozialarbeit, der Verwaltungsdigitalisierung, der klimagerechten Sanierung öffentlicher Gebäude, in der Wissenschaft und massiv bei der Kultur. Bei der zentralen sozialen Frage der Stadt, die Mieten zumindest halbwegs bezahlbar zu halten, hatte die Koalition schon zuvor, unabhängig vom aktuellen Spardiktat, vollends kapituliert.
Durchgesetzt hat sich eine Politik, die sich im 20. Jahrhundert einbetoniert, deren ideologische Leitplanken das Auto und die innere Sicherheit sind. Während Autofahrer:innen weiter subventioniert werden, gibt es Geld für symbolische Law-and-Order-Projekte wie den Zaun um den Görlitzer Park (siehe Seite 23). Genau hier wären die Stellschrauben für einen Mitte-links-Senat, der ebenso mit Sparzwängen unter der Schuldenbremse konfrontiert wäre.
Neben dem Verzicht auf Sinnlos-Ausgaben, vom Abriss des Jahnsportparks bis zum immens teuren U-Bahn-Neubau, könnte dieser vor allem Einnahmen steigern. Auf der Hand liegen die Erhöhung der Parkgebühren, die bislang mehr kosten, als sie einbringen, eine City-Maut, ÖPNV-Abgaben für Unternehmen und Tourist:innen, eine höhere Zweitwohnsteuer oder auch die Ausschöpfung des Kreditrahmens. Doch der schwarz-rote Senat denkt gar nicht daran, jene in die Pflicht zu nehmen, die es sich leisten könnten.
Rot-Rot-Grün ist Geschichte
Das Dramatische an der Situation ist, dass es keine Aussicht auf Besserung gibt. Das Zeitalter des konservativen Rollbacks ist auch in Berlin angebrochen; das Spandauer Provinzgehabe hat die Stadt übernommen. Inzwischen kommt es einem fast schon vor wie aus einer Stadt vor unserer Zeit: Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016, 2021 sowie der Wiederholungswahl 2023 hatte Rot-Rot-Grün jeweils die Mehrheit erzielt, am deutlichsten 2021 mit 54,4 Prozent. Doch seit der Unterwerfung der SPD ist eine linke Mehrheit nicht mehr absehbar.
Würde jetzt gewählt werden, käme das Mitte-links-Lager einer aktuellen Umfrage zufolge nur noch auf 38 Prozent; ein Drittel der Wähler:innen ist abhandengekommen. Während die nicht mehr gestaltende Linke nur noch über interne Querelen wahrgenommen wird und sich auf 6 Prozent halbiert hat, liegt das am Schrumpfen der Sozialdemokratie, die von ihrem zuletzt schon historisch schlechten Wahlergebnis von 18,4 Prozent auf nunmehr mickrige 12 Prozent zusammengesackt ist – und damit sogar dem miserablen Bundestrend hinterherhinkt.
Eine Erholung in den Fängen der CDU und dem nun zu verantwortenden Kahlschlag scheint ausgeschlossen. Franziska Giffey hat die Berliner SPD ruiniert. Zwar war die Partei schon vor ihrer Unterwerfung kein Garant für eine zukunftsgewandte Politik, stets mussten Grüne und Linke darum kämpfen, der strukturkonservativen Parteiführung Fortschritte abzutrotzen. Möglich aber war es, wenn man auf die begonnene Verkehrswende oder allerlei Versuche, der Mietenkrise zu begegnen, zurückdenkt.
Doch mit der Entscheidung, als geräuschloser Sidekick der CDU rückständige Politik zu vertreten, hat sich die SPD überflüssig gemacht und ihren Niedergang verdient. Ein Grund zur Freude ist das leider nicht. Ohne SPD gibt es keine Aussichten auf progressive Mehrheiten – zum Leidwesen der ganzen Stadt.
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