Schwarz-rote Koalition: Berlins SPD sieht schwarz

Die Hauptstadt wird ab Donnerstag schwarz-rot regiert. Doch die knappe Zustimmung der SPD dürfte die Noch-Regierende Bürgermeisterin Giffey schwächen.

Franziska Giffey sieht aus den Augenwinkeln zu Kai Wegner

Der nächste Regierende Bürgermeister Wegner (CDU) und seine Vorgängerin Giffey (SPD) Foto: Carsten Koall/dpa

BERLIN taz | Es ist wohl die letzte Volte in dieser an Wendungen reichen Geschichte des Berliner Wahlchaos: Die Mitglieder der SPD stimmen der Koalition mit der CDU zu, aber – im wahrsten Sinne des Wortes – nur halbherzig. Die 54 Prozent Unterstützung für den Kurs der Berliner Par­tei­che­f*in­nen Franziska Giffey und Raed Saleh sind fast schon das Gegenteil dessen, was jene mit der von ihnen durchgedrückten Basisabstimmung bezwecken wollten: eine ordentliche Brise Rückenwind für die gebeutelte Partei und die neue Koalition.

Doch Berlins SPD-Mitglieder lieferten am Sonntagabend ein ganz anderes Ergebnis ab als lange erwartet: das einer tief gespaltenen Partei. Da half es auch nichts, dass Giffey und Saleh die Abstimmung als „klares Ergebnis“ und „deutlichen Abstand“ umdeuten wollten. Schon vorher hatte es aus kritischeren SPD-Kreisen geheißen, dass Saleh zur Not auch 51 Prozent zum glanzvollen Sieg erklärt hätte.

Tatsächlich war das Ergebnis denkbar knapp: Zwei Drittel der Basis haben sich an der Abstimmung beteiligt, genau: 11.886. 5.200 Neinstimmen stehen 6.170 Jastimmen gegenüber: Hätten also 500 Mitglieder mit Nein statt Ja gestimmt, hätte Giffey verloren.

An der Regierungsbildung in Berlin ändert dieser Ausgang sehr wahrscheinlich nichts mehr. Am Donnerstag soll CDU-Landeschef Kai Wegner vom Abgeordnetenhaus zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Auch jene fünf SPD-Mitglieder im Berliner Parlament, die sich als Geg­ne­r*in­nen der Groko gezeigt hatten, würden das Votum der Basis akzeptieren, hieß es am Montag. Und die Zustimmung des CDU-Landesparteitags am späten Montagnachmittag war eigentlich nur Formsache. Die CDU, die damit erstmals seit 2001 wieder den Regierungschef in Berlin stellt, ist so heiß auf die Macht, dass sie schon im Koalitionsvertrag deutliche inhaltliche Zugeständnisse an die SPD gemacht hat.

Distanz auf Bundesebene

Doch das reicht offenbar nicht, um die Ge­nos­s*in­nen zu überzeugen. Auf Bundesebene hatte sich Generalsekretär Kevin Kühnert wenige Tage vor Ende der Abstimmung noch distanziert. „Dieser Mann verkörpert wenig von meiner Heimatstadt“, sagte Kühnert zu einem möglichen Bürgermeister Wegner. Wie er als Berliner Genosse abgestimmt hatte, verriet Kühnert nicht. Das lässt sich aber auch denken.

Als er am Montag in seiner Funktion als Generalsekretär und in Vertretung der Parteispitze im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Presse trat, bekräftigte Kühnert seine Kritik an Wegner wegen dessen Äußerungen rund um die Silvesterkrawalle. Andererseits sei es gut, dass man in der Regierung sei. „Ich habe in der Berliner SPD überhaupt keine Oppositionssehnsucht gespürt.“ Aber es hätte ja auch andere Mehrheiten gegeben. Etwa die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot.

Nun müssen sich die Ber­li­ne­r*in­nen auf einige einschneidende politische Veränderungen einstellen: Zwei Volksentscheide – jener über die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen und jener über die Bebauung des Tempelhofer Felds – könnten ignoriert beziehungsweise abgeräumt werden. In der Innenpolitik stehen die Zeichen nach dem latent rassistischen Wahlkampf der CDU rund um die Silvesterdebatte auf Law and Order.

Rückschritte auch in Mieten- und Klimaschutz

Und auch im Bereich von Mieten- und Klimaschutz, in dem Berlin bisher zumindest teilweise eine Führungsrolle beanspruchte, drohen Rückschritte. Die CDU, die als Partei der Ver­mie­te­r*in­nen auf Bundesebene den Mietendeckel wegklagte, geriert sich zwar plötzlich als Freund der Mieter*innen, ohne jedoch ein glaubhaftes Konzept gegen die weiter dramatisch steigenden Mieten zu haben.

Entsprechend reagieren im SPD-Landesverband viele Kri­ti­ke­r*in­nen von Schwarz-Rot trotz der Niederlage bei der Basisentscheidung forsch. Der Kreisvorstand aus Friedrichshain-Kreuzberg, Thomas Giebel, fasste es so: „Eine schallende Ohrfeige für Franziska Giffey. Sie geht angezählt und als Lame Duck in eine gut drei Jahre andauernde Koalition mit der CDU Berlin.“

Hannah Lupper, Bezirksverordnete aus Kreuzberg, sagte: „Unsere Landesvorsitzenden haben es geschafft, den erzkonservativen Christdemokraten Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und gleichzeitig sich selbst zur Disposition zu stellen.“ Personelle Veränderungen fordert auch Berlins Juso-Chefin Sinem Taşan-Funke im taz-Interview; konkret sollten wie im Bund die Parteichefs nicht mehr Teil der Regierung sein – ein kaum verhohlener Angriff auf Giffey.

Der Anfang vom Ende ihrer Karriere

Bereits den Parteitag in vier Wochen wolle man nutzen, um „erste Pflöcke“ einzuschlagen „in Richtung einer inhaltlichen und personellen Erneuerung“. Dass Kühnert – von vielen SPD-Linken als Hoffnungsträger gehandelt – selbst in die Bresche springen könnte, dementierte er am Montag: „Ich habe definitiv keine Zeit für weitere Aufgaben.“

Doch die könnten sich bald ergeben. Denn für Giffey könnte das Ergebnis der Abstimmung der Anfang vom Ende ihrer Karriere im SPD-Landesverband sein. Zur Erinnerung: Die Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2021 musste wegen zahlreicher Pannen wiederholt werden; an dem dafür politisch verantwortlichen Senator Andreas Geisel hielt die Regierende Bürgermeisterin trotzdem bis zuletzt fest. Ein Fehler, wie auch viele SPD­le­r*in­nen inzwischen sagen, denn bei der Wahl am 12. Februar verlor die SPD erneut und landete nur noch mit 53 Stimmen vor den Grünen; die CDU dagegen triumphierte.

Trotzdem wäre eine Fortsetzung des linken Bündnisses aus SPD, Grünen und Linken rechnerisch möglich gewesen; Giffey, der die Zusammenarbeit vor allem mit den Grünen stets schwerfiel, entschied sich jedoch dagegen, und gab dafür sogar ihren Posten als Regierungschefin auf. Die Noch-Regierende gehört dem neuen Berliner Senat trotzdem an, allerdings nur als Wirtschaftssenatorin. Eine Position, die traditionell wenig politisch präsent ist, was Giffeys Naturell eigentlich widerspricht. Aber offensichtlich war für sie nicht mehr drin.

Ausbruch eines Überlebenskampfes

Giffeys ungewöhnlicher Schritt, nur mehr Juniorpartnerin in einer Koalition zu werden, macht es zudem der Ampel im Bund auf lange Sicht unmöglich, eine Mehrheit im Bundesrat zu bilden. Jedes Bundesland hat dort drei bis sechs Stimmen. Bereits jetzt haben die Länder, in denen die Union mitregiert, zusammen 39 Stimmen und damit die absolute Mehrheit. Sie können zustimmungspflichtige Gesetze des Bundestags blockieren und die Ampel zumindest im ersten Anlauf auflaufen lassen, so geschehen beim Bürgergeld. Nun kommen weitere 4 Stimmen aus Berlin dazu. Die Hoffnung, dass sich dieses Kräfteverhältnis mit einem SPD-Wahlsieg in Hessen ändern könnte, ist damit passé.

Giffeys schwacher Stand in der SPD Berlin bedeutet aber noch lange nicht, dass Schwarz-Rot nur ein kurzes Intermezzo sein dürfte. Denn auch unter den Kri­ti­ke­r*in­nen von Schwarz-Rot ist nach der knappen Basis­abstimmung der Überlebenskampf ausgebrochen. Nach ersten öffentlichen Aus­tritts­an­kündigungen bettelte Hakan Demir, Neuköllner Bundestagsabgeordneter mit eher linkem Profil, auf Twitter fast: „An alle, die austreten wollen: Macht das bitte nicht. Im Mai haben wir einen Landesparteitag und Anfang 2024 eine Wahl der neuen Parteispitze. Wir brauchen jede progressive Stimme dafür.“

Trennungsschmerz der scheidenden rot-grün-roten Koalitionspartner gab es gratis obendrauf: Die SPD habe sich für den Rückschritt entschieden, schreiben die Grünen. „Für Berlin ist das schmerzlich. Die Rolle der Oppositionsführung nehmen wir an und werden die Arbeit des Wegner-Senats kritisch begleiten.“

Die Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger gratulierte zynisch in Richtung SPD-Führung: „Ihr habt es geschafft und seid nicht nur die Totengräber von Rot-Grün-Rot, sondern auch mindestens Spalter eurer Partei.“ Die Linken sehen das ähnlich: „Was Franziska Giffey und Raed Saleh hinbekommen haben, ist eine offenbar tief gespaltene Partei. Das könne nur Kai Wegner gefallen“, so der scheidende Kultursenator Klaus Lederer (Linke).

Er habe nach dem Ergebnis zunächst Mozarts „Requiem“ hören wollen, sich dann aber für die etwas heitereren Jazz-Suiten von Schostakowitsch entschieden. Immerhin scheine es in der SPD Berlin ja noch genug Menschen zu geben, „mit denen sich der Dialog weiter lohnt – mit Blick auf 2026“, wie Lederer schrieb. Dann wählt Berlin das nächste Mal.

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