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Spahns Impfstrategie in der KritikWarten auf den Stoff

Es sei viel zu wenig Impfstoff für Deutschland bestellt worden, klagen Politiker. Auch sei die Impfkampagne schlecht vorbereitet worden.

Im Mittelpunkt der Kritik: Gesundheitsminister Spahn und Bundeskanzlerin Merkel Foto: Florian Gaertner/photothek

Berlin taz | Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gerät wegen der deutschen Impfstrategie unter Druck. Scharfe Vorwürfe kamen am Montag aus der Opposition – aber auch aus den Reihen der Großen Koalition. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil klagte, Deutschland stehe „viel schlechter da als andere Länder“. Es sei zu wenig Impfstoff bestellt worden und gebe „kaum vorbereitete Strategien mit den Bundesländern zusammen“.

Klingbeil betonte im ARD-Morgenmagazin, die gemeinsame Beschaffung des Corona-Impfstoffs auf EU-Ebene sei richtig gewesen. „Aber ‚Europa‘ muss ja nicht automatisch ‚langsamer‘ bedeuten“, kritisierte er. Der Sozialdemokrat forderte eine „nationale Kraftanstrengung“ zur Sicherung weiterer Impfstoffdosen. Er verwies auf Äußerungen des Biontech-Chefs Uğur Şahin, wonach sein Unternehmen der EU-Kommission mehr Impfstoffdosen angeboten habe. Dies sei jedoch abgelehnt worden, „weil die Osteuropäer skeptisch sind und die Franzosen das nicht wollten“, sagte Klingbeil.

Der SPD-Politiker kritisierte, dass Angela Merkel (CDU) und Spahn keine bilateralen Verträge mit Biontech abgeschlossen hätten, obwohl im November klar gewesen sei, „dass das ein guter Impfstoff ist“. „Es kann nicht sein, dass ein Land, in dem dieser Impfstoff sogar erforscht wurde“, am Ende zu wenige Dosen habe, sagte Klingbeil. Er erwarte, dass die Bundesregierung „jetzt alle Pharmaunternehmen an einen Tisch“ hole und prüfe, wie Kooperationsverträge aussehen und weitere Impfstoffdosen produziert werden könnten. Dies werde am Geld nicht scheitern, betonte Klingbeil.

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch verlangte ebenfalls eine bessere Impfstrategie. „Großbritannien hat einen desolaten ­Premier und ein ziemlich kaputtes Gesundheitssystem, will aber bis Ende März 40 Mil­lio­nen Impfdosen verabreicht haben“, schrieb Bartsch auf Twitter. „Ich erwarte von der Bundesregierung und Jens Spahn einen Plan, wie wir Vergleichbares beim Impfen erreichen.“

Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte die Entscheidung für die Beschaffung des Impfstoffs durch die EU. Die Bundesregierung stehe hinter dieser „Grundsatzentscheidung“, sagte Seibert. „Wir sind überzeugt, dass das der richtige Weg war und ist“, sagte er und ergänzte: „Ja, die Ungeduld, die vielen Fragen, die Bürger jetzt stellen, sind verständlich.“ Seibert reagierte auf kritische Fragen von Journalisten, die auf eine zu geringe Zahl von Impfdosen und ein langsames Tempo bei den Impfungen in Deutschland zielten. Seibert räumte – auch mit Blick auf die Umsetzung in den Ländern – ein, „dass es derzeit noch nicht an allen Stellen optimal läuft“.

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14 Kommentare

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  • "Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch verlangte ebenfalls eine bessere Impfstrategie. „Großbritannien hat einen desolaten ­Premier und ein ziemlich kaputtes Gesundheitssystem, will aber bis Ende März 40 Mil­lio­nen Impfdosen verabreicht haben“, schrieb Bartsch auf Twitter."

    Laut CDU-Europaabgeordnete Peter Liese gestern Abend in Hart aber Fair haben die Grünen und Linken im Europaparlament gegen eine überstürzte Ankaufspolitik der europäischen Kommission argumentiert.



    Es ist verwunderlich wie schnell die Positionen von gestern dahin schmelzen und ein Fähnchen im Wind gebären.

    • @Rudolf Fissner:

      Der Wahlkampf ist eröffnet. Erstaunlich, dass sich die Konservativen nicht gegen die paar nicht Pseudo-Linken und Pseudo-Grünen durchsetzen können! Erbärmliches Schauspiel des CDU Mannes da bei hart aber fair. Anstatt Verantwortung zu übernehmen agiert er nach dem Motto, die Linken und Grünen sind schuld! Typisch konservativ halt...

      • @Jonas Corvin:

        Soll dass nun heißen, sie hätten gegen Linkspartei und Grüne bei dem Thema opponiert und nehmen heute die M&Ms (Merkel & Merz) in Schutz? 🤣

  • Klinbeils nationalistische Töne riechen unangenehm: "deutsches Impfstoff für die Deutschen"? Hä?

    Abgesehen davon. Was wir /alle/ verkackt haben ist ein sauberes Lockdown vor der zweiten Welle. Den Preis zahlen wir jetzt. Und wir wissen es.

    Dass es besser geht: siehe Norwegen, Neuseeland, etc.

    • @tomás zerolo:

      Der stinkende nationalistische Begriff "deutscher Impfstoff " bzw. der Satz "deutscher Impfstoff für die Deutschen" ist aber nicht von Klingbeil, sondern von Ihnen.

  • Vor allem ist doch unverständlich, warum alles so wahnsinnig langsam geht. Seit Monaten hätte man sich klare Ziele setzen und ihre Erfüllung planen können. Zum Beispiel: sobald der Impfstoff verfügbar ist, müssen binnen sechs Wochen ALLE Ärzte und Pflegekräfte im ITS-Dienst sowie alle über 90jährigen geimpft sein. Binnen sechs Monaten müssen 50 Prozent aller Deutschen geimpft sein. Danach bemisst sich



    - die Größe der Bestellung



    - die Zahl der Impfzentren und der mobilen Teams



    - die Öffnungszeit der Zentren (9-17 Uhr ist lachhaft! Es muss mindestens von 6 bis 21 Uhr gehen!)

    Warum hat man das nicht getan?

    • @Suryo:

      Die telefonische Terminreservierung funktioniert auch noch nicht.

      Und beim Impfstoff war man halt optimistich und hat von jeder Sorte ein bißchen bestellt.

      Weil es so billiger war.

      Anstelle im Notfallmodus von jeder einzelnen Sorte so viel zu bestellen, dass es zur Not reicht, und den Überschuss z.B. nach Lateinamerika zu spenden.

      Man hat also mal wieder Geld gespart angeblich um der Wirtschaft zu helfen. Das zeigt mal wieder deutlich, was in unserem politischen System an erster Stelle steht - Leben und Gesundheit der Bürger sind es nicht.

  • Die gemeinsame Beschaffungsaktion der EU sollte nun einmal ein wirklich gutes und solidarisches Ereignis werden, zudem sich die EU sich hinsichtlich bürgerfreundlicher und demokratischer Aktionen bisher und insbesondere im Umgang mit der Pandemie kaum mit Ruhm bekleckert hat.



    Jetzt geht das Gerücht, dass u.a. nationale Egoismen zu der Misere beigetragen haben und die ganze Aktion zu zaghaft durchgezogen wurde.

    Da erwarte ich von einem kritischen Journalismus Aufklärung und keine Spekulationen. Und endlich auch mehr Informationen jenseits billiger Propaganda über andere Impfstoffe, die bereits eingesetzt werden. Ich denke da an China und Russland.



    Offensichtlich sind das auch die diejenigen, die ärmere Nationen beliefern. Im Gegensatz zur sogenannten Wertegemeinschaft, die den Menschen dieser Länder mit Sonntagsreden "beglückt".

  • Es sind gravierende Fehler gemacht worden, die Europäern das Leben kosten werden. Diese Fehler "Europa" zuzuschreiben, ist allerdings gefährlich und unzutreffend. Hätte man dies einer wirklich autorisierten Kommission überlassen, wäre es vermutlich nicht dazu gekommen, dass Europa deutlich schlechter dasteht als andere. Es ist ja nicht so schwer zu berechnen, dass die Beschaffung der 5 vielversprechendsten Impfstoffe in jeweils ausreichender Menge (jeweils (!) ca. 600 Mill. Dosen) genausoviel kostet wie ca. 2 Wochen Lockdown.

    • @bernhard k:

      Es ist auch keine Geld- sondern eine Kapazitätsfrage. Den Impfstoff in der notwendigen Qualität herzustellen, ist selbst für die Entwicklerfirma eine Herausforderung und bedarf eigens entwickelter Herstellungsmethoden und -anlagen. Da kann man nicht einfach mal bei Chemiemulti XY anrufen, eine Formel rüberschicken, ein paar hundert Millionen Impfdosen bestellen und morgen mit der Auslieferung beginnen.

      Außerdem muss man erstmal wissen, WELCHER Impfstoff in die Produktion gehen soll. Das ging frühestens nach den ersten wirklich vielversprechenden Tests. Seitdem läuft auch Alles auf Hochtouren, und um Größenordnungen schneller als bei anderen Medikamenten, soweit ich das beurteilen kann.

      Das "Versäumnis" war also, nicht so wie (wenige) Andere in klassischer "Alle sind gleich, aber ICH bin gleicher"-Manier die Ellbogen ausgefahren zu haben, um sich einen überproportionalen Teil der ersten Produktionsläufe zu sichern. Wir werden sehen, ob das Bedürftigeren wirklich etwas bringt (und sein wir mal ehrlich: UK und USA gehören tatsächlich zu den Bedürftigen). Aber wer ein grundsätzliches Problem damit hat, sich mal nicht automatisch vorne in der Schlange anzustellen, sollte nicht zu häufig mit dem Wort "sozial" hantieren.

  • Ja, ich bin gespannt, wie lange sich die Bundesregierung noch weiter aus der Verantwortung ziehen will, statt nunmehr endlich tätig zu werden und für mindestens 60% der Bevölkerung ausreichend Impfstoff bestellt, um es zumindest im Sommer ausgeliefert zu bekommen.

    • @Jossi Blum:

      60 % sind nicht ausreichend für die Herdenimmunität, 67 % ist der niedrigste mir bekannte Wert.

  • „Es sei viel zu wenig Impfstoff für Deutschland bestellt worden, klagen Politiker“



    Wie vergesslich doch manche Leute sind! Kaum jemand erinnert sich noch, dass noch vor wenigen Wochen und Monaten dieselben Leute klagten, dass die „reichen“ Staaten des „Westens“ sämtlichen demnächst verfügbaren Impfstoff aufkaufen würden. Für die „ärmeren“ Staaten würde nichts mehr übrigbleiben. Und nun wird genau das Gegenteil beklagt!

  • Diese "die und der haben gesagt" Berichte sind ja ab und zu ganz unterhaltsam, aber das meiste daran ist ist leider nur Opium fürs Volk.

    Nach ein paar Tagen erwarte ich eigentlich von der taz eine Hintergrundinformation, was denn nun tatsächlich schief gelaufen ist.