Seltsame Strategie der SPD: Opposition gegen sich selbst

Kurios: Führende SPD-Politiker attackieren die Bundesregierung, in der sie selbst vertreten sind. Konsistente Politik sieht anders aus.

Behandschuhte Hand hält eine Flasche mit Impfstoff

Das Objekt der Begierde: Pfizer-Biontech Covid-19 Impfstoff Foto: Ludìk Peøina/dpa

Die führende Oppositionspartei startet eine fulminante Attacke auf Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn – und erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Impfstrategie. Ihr Kanzlerkandidat überreichte Spahn einen vierseitigen Fragenkatalog, um investigativ Schwächen aufzudecken – rein zufällig erfuhr die Bild-Zeitung davon. Und ihr Generalsekretär findet es zwar richtig, dass der Impfstoff europäisch abgestimmt bestellt wurde, ärgert sich aber darüber, dass Deutschland zu wenig Dosen der deutschen (!) Firma abbekommen hat.

Ach ja, das ist vielleicht nicht ganz unwichtig: Die führende Oppositionspartei ist in diesem Fall die SPD. Olaf Scholz und Lars Klingbeil opponieren mit ihrer Kritik sozusagen gegen sich selbst, schließlich ist die SPD dem Vernehmen nach Teil der Bundesregierung, auch wenn sie keine große Lust mehr darauf hat. Die SPD-Minister Scholz und Heiko Maas sitzen sogar im so genannten kleinen Corona-Kabinett, der engen Runde um die Kanzlerin, die den Kampf gegen die Pandemie koordiniert. Inmitten einer Großkrise brechen die Sozialdemokraten also einen Streit über im Sommer getroffene Maßnahmen vom Zaun, an denen sie unmittelbar beteiligt waren.

Eine solche Absetzbewegung, die vor allem der eigenen Profilierung dient, ist verantwortungslos. Nicht, weil Kritik am Bestellprozedere nicht erlaubt wäre. Es lief ja bei Weitem nicht alles optimal. Aber Klingbeils Äußerungen kann man so verstehen, als gehe es ihm um eine „Deutschland first“-Strategie. Aber die Idee, dass sich die starken Volkswirtschaften in Europa ohne Rücksicht auf Verluste mit Impfstoff versorgen, während schwächere Staaten das Nachsehen haben, ist Sprengstoff für das europäische Projekt. Eine dezidiert proeuropäische Partei wie die SPD sollte sich vor diesem Zungenschlag hüten, aus ureigenem Interesse. Dieses trübe Süppchen kocht die rechtsextreme AfD, und sie tut es besser.

Für eine Partei, die internationalistisch denken will, ist selbst der europäische Rahmen zu eng. Deutschland und die EU-Staaten gehören ja zu der privilegierten Gruppe reicher Staaten, die ihre BürgerInnen innerhalb kurzer Zeit mit Impfstoff versorgen können. Die meisten Menschen auf der Welt werden länger auf das rettende Vakzin warten müssen als der Durchschnittsdeutsche, der aus Sicht von Scholz, Klingbeil und Bild-Zeitung mal wieder notorisch zu kurz kommt.

Scholz torpediert mit diesem Schauspiel sein Image

Es ist verständlich und richtig, dass die SozialdemokratInnen nach Themen suchen, bei denen sie sich von der Union absetzen können. Streit belebt die Demokratie, die Konturen der alten Volksparteien links und rechts der Mitte sind unter Merkel verwischt – mit unguten Folgen. Aber die Pandemie-Bekämpfung ist etwas anderes als der Mindestlohn oder ein Rentenkonzept, sie eignet sich nicht für Profilierungsspielchen. Viele BürgerInnen erwarten, dass die Regierung in dieser Zeit der Unsicherheit ihren Job macht – und nicht noch Unsicherheit schürt.

Olaf Scholz will sich im Wahlkampf als seriöse, verlässliche und professionelle Kanzleralternative präsentieren, als eine Art männlicher Merkel. Mit dem Schauspiel, dass er und seine Partei im Moment aufführen, wird dieses Image torpediert. Schlimmer aber ist ein Schaden, der kaum wieder gut zu machen ist. Durch Volten wie diese erodiert das Vertrauen in die Demokratie weiter, das bei Teilen der Bevölkerung sowieso nur noch in Spuren vorhanden ist.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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