Söders AKW-Alleingang: Wahlkampf mit Atomkraft
Markus Söder weiß, dass die deutschen AKWs der Vergangenheit angehören. Für Stimmungsmache aber taugen sie allemal.

D em Föderalismus gebührt alle Ehre, und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Recht auf ebenso faire wie kritische Beurteilung. Der jüngste Vorstoß des CSU-Chefs, dass die Länder unabhängig vom Bund Atomkraft in Eigenregie betreiben können sollten, ist allerdings Unsinn und seine Motivation nur allzu leicht zu durchschauen: Die deutschen AKWs sind abgeschaltet, eine Mehrheit der Bevölkerung spricht sich dennoch für den Weiterbetrieb aus, und in Bayern wird im Oktober gewählt.
Die Atomkraft ist eine Höchstrisikotechnologie, über deren Betrieb natürlich nicht jedes einzelne Bundesland für sich entscheiden darf. Der Freistaat Bayern sollte nicht zur Atommacht werden, ebenso wenig wie beispielsweise die Länder Berlin oder Rheinland-Pfalz. Söder aber sind viele Mittel recht, um vor allem gegen die Ampel zu schießen und seine Stellung als Landeschef zu festigen, ebenso wie die der CSU als Regionalpartei.
Bayerns Ministerpräsident hat offenbar vergessen, dass er nach der Fukushima-Katastrophe als bayerischer Umweltminister zu einem der glühendsten Ausstiegsbefürworter mutiert war. Und dass er damals urplötzlich erkannte, dass die beiden Isar-AKWs ja in der Einflugschneise des Münchner Flughafens liegen und auch deshalb eine Bedrohung darstellten. Atomkraftgegner hatten das schon über Jahrzehnte gesagt.
Nun kaschiert Söder auch das Versagen der vorherigen Bundesregierungen, an denen die CSU beteiligt war und die auf Putins Gas setzten. Auch Unionspolitiker reisten gern nach Moskau, um ihre eigene freundschaftliche bayerische Außenpolitik zu betreiben, und verschliefen derweil die Energiewende. Statt sich AKW-Fantasien hinzugeben, sollte Söder den Ausbau der brachliegenden Windkraft in Bayern vorantreiben.
Auch scheint er zu verdrängen, dass Atomenergie weder sauber noch günstig ist. Wo würde beim AKW-Eigenbetrieb das Endlager im Freistaat gebaut werden? Bisher war immer eines ganz klar: Ein Endlager kann überall hinkommen, aber ganz sicher nicht nach Bayern.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen