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Sex als „eheliche Pflicht“Mehr als unerfreulich

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Sex in der Ehe sei „obligatorisch“, urteilt ein Kassationsgericht in Frankreich. Ein unglaublicher Skandal, frauenfeindlich und sexistisch.

Rückschritt in längt vergangene Zeiten: Richter halten Sex in der Ehe für „obligatorisch“ Foto: dpa

S cheidungsprozesse sind meistens für alle Beteiligten eine unerfreuliche Sache, da werden gegenseitige Vorwürfe erhoben und manchmal die schmutzige Wäsche aus dem Intimleben einer gescheiterten Partnerschaft gewaschen. Die Justiz hat die schwere Aufgabe, sich ein unabhängiges Bild der Zerrüttung zu machen und, falls möglich, die Verantwortung des Einen oder der Anderen festzulegen.

Im Fall der Französin, die in Versailles wegen versäumter oder verweigerter ehelicher Pflichten im Bett vom Gericht für schuldig erklärt worden ist, fällt es doch extrem schwer, an die Kompetenz und Unparteilichkeit dieser Justiz zu glauben. Dies erst recht, wenn es stimmt, dass der Mann der Beschuldigten selber von Berufs wegen Mitglied dieses Justizapparats war oder noch ist.

Die Vorstellung, dass dieser Gerichtsentscheid aus diesem Grund oder vor diesem Hintergrund dann auch noch von der höchsten Instanz, dem Kassationsgerichtshof, abgesegnet worden, ist mehr als bloß unerfreulich. Es ist, wie die Betroffene selber gesagt hat, ein Skandal und geradezu unglaublich. Dass das Gericht umgekehrt ihr nicht geglaubt hat, als sie von physischen und psychischen Brutalitäten ihres Ex-Gatten sprach, ist bezeichnend und verstärkt noch den Verdacht einer sexistischen Voreingenommenheit.

Denn die Begründung des Urteils versetzt uns in eine andere Epoche, in der die Braut nach der Hochzeitsnacht den Blutfleck auf dem Laken vorzeigen musste und ein Eheschluss als Vertrag mit sexuellen Leistungen zum Zweck der Fortpflanzung galt. Für gewisse französische Richter ist die hier benutzte Vergangenheitsform offenbar unzutreffend, da sie davon ausgehen, dass Sex in der Ehe obligatorisch sei. Haben sie schon mal gehört, dass erzwungener Geschlechtsverkehr ohne Einverständnis eine Form von Vergewaltigung ist, und dass in Frankreich fast die Hälfe aller sexuellen Aggressionen auf das Konto der Lebenspartner oder Ex-Partner gehen?

Mit Duldung des Kassationshofs wird das Rad der Rechtsprechung in eine Vergangenheit zurückgedreht, in der die Ehe gleichbedeutend mit sexueller Unterwerfung und die Geschlechtergleichheit ein Fremdwort war. Es bleibt zu hoffen, dass Frankreich vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in der Form und in der Sache gerügt und rasch zur Räson gemahnt wird, damit dieses unsägliche Kassationsurteil nicht zu einem Grundsatzentscheid wird, der den Kampf für die sexuelle Selbstbestimmung um ein Jahrhundert zurückwerfen würde.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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25 Kommentare

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  • Im Übrigen gehört auch in Deutschland die Ausübung von Geschlechtsverkehr zu den ehelichen Pflichten und kann mittels (nicht vollstreckbarer) "Klage auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft" gerichtlich durchgesetzt worden. Da in Deutschland für die Scheidung eine Zerrüttung ausreicht und nicht mehr nach der "Schuld" gesucht wird, kommt es in Ehescheidungssachen nicht mehr darauf an. Nach altem Recht war die Frau jedoch nicht nur zum Mitmachen, sondern sogar dazu verpflichtet, dabei Vergnügen zu zeigen - vgl. das schöne Urteil des BGH, NJW 1067, 1078

  • Die spinnen die Gallier.

  • Dieser Scheidungsvorgang ist skurril (hat man Frankreich mit Arabien verwechselt?), die meisten Beiträge hier sind noch skuriler.

  • Mal Abgesehen von all der Verachtung von Menschlichkeit und Selbstbestimmung, ist es dann auch für Männer Ehepflicht die Partnerin beglücken zu können?



    Dann schaut es nämlich für mehr als 50% der Ehemänner schlecht aus. Erektionsstörung = Eheverletzung und:



    www.augsburger-all...en-id40761501.html

  • "Denn die Begründung des Urteils"

    Wo kann ich die in der taz nachlesen. Wo wurde die zusammengefasst?

  • Ich finde die Darstellung durch den Autor nicht sachlich genug.



    Die Ehefrau wurde nicht für "schuldig" erklärt, sondern u.a. durch ihr jahrelanges Verhalten der Zurückweisung für das Beenden der Ehe verantwortlich gemacht.



    Dies ist schon ein ziemlicher Unterschied.

    Die Vorwürfe der Gewalttätigkeit schienen dem Gericht nicht glaubhaft

    Man kann diese Entscheidung also auch nüchterner beschreiben.

  • Wie war das mit "Nein heißt nein!"



    Gilt das in Franreich doch nicht?



    Wie war das mit der Gleichberechtigung? Soll die nicht in Frankreich so weit fortgeschritten sein?



    Frauen haben keine Rechte, laut diesem Urteil! Ganz sicher nicht auf körperliche Unversehtheit und Eigenbestimmung.

    • @Mainzerin:

      "Wie war das mit "Nein heißt nein!"

      Gilt das in Franreich doch nicht?"

      Im Einzelfall absolut. Die Richter meinen halt nur, dass wer nachher IMMER "Nein!" sagt, vor dem Standesbeamten nicht hätte "Ja!" sagen sollen. Die Frau wird effektiv nicht für ihre Entscheidung gegen Sex verurteilt sondern für ihre Schuld am Scheitern der Ehe.

      "Wie war das mit der Gleichberechtigung? Soll die nicht in Frankreich so weit fortgeschritten sein?"

      So weit zumindest, dass diese Regeln für BEIDE Geschlechter gelten. "Unterversorgte" Ehefrauen können ihre hüftlahmen Männer genauso verklagen. "Glücklich die Frauen, die sich diesen Zustand offenbar gar nicht vorstellen können!", würden die sagen...

      Ihr letzter Satz dürfte sich damit erübrigt haben.

  • Ich wäre vorsichtig, ein Urteil einseitig auszulegen. Der Punkt ist doch, dass in Verfahren am Familiengericht immer mit Lügen, Tücke und Behauptungen gearbeitet wird. Selbstverständlich darf Sex nicht erzwungen werden, aber der ganze Sachverhalt ist doch reichlich sonderbar, warum schlafen die nicht miteinander, obwohl sie ein Paar sind? Das deutet doch auf erhebliche Missverständnisse und bestimmte Probleme hin. Aber ich würde mir das grundsätzlich nicht so einfach machen, ich habe die Akte jedenfalls nicht vollständig gelesen, und vielleicht hängt das mit etwas anderem zusammen. Im Zweifel wird der EU-Menschengerichtshof das ja bearbeiten und dann wird es vielleicht klarer.

    • @Andreas_2020:

      Da gibt es nichts, wo man vorsichtig sein muss, wenn die Begründung Sex als Pflicht für verheiratete Frauen verordnet!



      Das ist einfach und klar ein Verbrechen an allen Frauen!

      • @Mainzerin:

        Dann soll man halt nicht heiraten... merkwürdige Ansichten haben Sie.

      • @Mainzerin:

        Wieso denn nur Frauen?? Das letzte prominente Urteil aus Frankreich zu diesem Thema verdonnerte einen MANN, seine Frau für vorenthaltene eheliche Freuden mit 10.000 € zu entschädigen. Die Franzosen sehen die Ehe offenbar in einem etwas anderen Sinn "sex-istisch"...

        Umgekehrt: Was für ein Bild von Ehe und Liebe haben Sie, wenn Sie meinen, dass mit einem - wie auch immer durchsetzbaren - "Anrecht" auf Sex in der Ehe nur Männern gedient sei?

        • @Normalo:

          … 🕳 …“…& jetzt sehen Sie Mainz - wie‘s lacht & singt!“ - 🤫 -

  • Dieses Urteil mag etwas seltsam anmuten, aber: Wo ist das Urteil denn bitte frauenfeindlich und sexistisch? Es gilt doch für alle Geschlechter gleichermaßen.

  • "Sexpflicht" besteht auch in Deutschland und auch für den Ehemann, daher ist die Rechtslage nicht diskriminierend. Man kann Sex aber nicht erzwingen - man müsste ohnehin gem. § 1353 BGB darauf klagen und könnte ein Urteil dann aber nicht vollstrecken.

    Allerdings kann die Sexverweigerung eine Kürzung des ehelichen Unterhaltsanspruchs rechtfertigen.

    vgl. BeckOK BGB/Hahn, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 1353 Rn. 10

  • Frage: Ist es so selbstverständlich, dass es eigentlich nur die Frau sein kann, die sich dem ehelichen Geschlechtsverkehr verweigert?

    Tatsächlich dürfte - so gestrig man das auch finden mag - die Vorstellung, dass die Ehe auf einer auch sexuellen Liebesbeziehung beruht, nicht nur unter Männern recht verbreitet sein. Entsprechend gilt der sexuelle Aspekt der Beziehung auch für BEIDE Ehepartner gleichermaßen als Teil der "ehelichen Lebensgemeinschaft", zu deren Herstellung sie einander auch nach deutschem Recht verpflichtet sind. Darauf in irgendeiner Form zu bestehen, ist vielleicht lächerlich, aber nicht sexistischer, als per se die Rolle des "sexuell unterversorgten" Teils den Männern zuzuordnen. Was für ein nach Geschlechtern stark divergierendes Bild von Liebe und Ehe unterstellt das?

    • @Normalo:

      so ist es, Sie machen Ihrem Namen mal wieder alle Ehre - ganz im Sinne von Thierses "normal".

  • In Deutschland gilt,



    "Die Rechtsprechung geht in diesen Entscheidungen von einer recht-



    lichen Pflicht zum Geschlechtsverkehr in der Ehe aus, welche in



    §1353Abs.1S.2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – „Die Ehe-



    gatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet“



    – verankert sei."

    Man kann es halt nicht durchsetzen, da steht das Strafrecht entgegen.

    • @Wonneproppen:

      Auch mit solchen Urteilen kann man dem Gesetzgeber auf die Beine helfen.

      Das Urteil muss einem nicht gefallen, aber die hier angewandten Rechtsnormen wurden nicht von der Justiz verfasst, sondern von der Politik!

  • Deutschland:



    de.wikipedia.org/w...rtung.?wprov=sfla1

    Das Amtsgericht Brühl beschnitt jedoch in einem Fall aus dem Jahre 2000 wegen Verweigerung des ehelichen Beischlafs gemäß § 1579 Nr. 7 BGB den Unterhalt.

  • Ok, Skandal? Ja



    nicht mehr zeitgemäß? Ja



    Was ich nun wirklich nicht nachvollziehen kann ist die Behauptung in der Überschrift "fraueufeindlich (sic!) und sexistisch" Frauenfeindlich ist etwas wenn eine Frau zu ihrem Nachteil behandelt wird weil sie eine Frau ist, Sexistisch ähnlich nur das es da um das Geschlecht geht.



    In diesem Fall allerdings geht die Tür in beide Richtungen, so wie ich das verstanden habe müssen auch Männer Sex in der Ehe haben, daher haben Sie genauso unter dem Urteil ggf zu leiden wie Frauen. Daher ist es nicht sexistisch sondern einfach nicht mehr zeitgemäß und in diesem Fall eine Verhöhnung für Gewalt in der Ehe. Eine etwas differenzierte Betrachtung hätte ich mir da in dem Artikel schon vorgestellt.

    • @Calvin:

      Ich würde ihnen zustimmen, das schuldige Scheidungen nicht mehr zeitgemäß sind, den großen Skandal sehe ich allerdings nicht.

      Eine Ehe sollte nicht in erster Linie ein Steuersparmodell sein, sondern man/frau geht auch partnerliche Verpflichtungen ein. Insofern wenn einer ein "mit dir Will ich nicht mehr" bringt, finde ich sollte das schon ein Scheidungsgrund sein.

      Ultimativ sollte das Zerrüttungsprinzip allerdings weiter ausgebaut werden. In so Fällen, wo sich die Leute klar auseinander gelebt haben den Ex-Partnern langfristige Verpflichtungen aufzwingen kann es ja auch nicht sein und führt dann zu so skurillen Urteilen.

  • "Die Justiz hat die schwere Aufgabe, ...falls möglich, die Verantwortung des Einen oder der Anderen festzulegen." Das Schuldprinzip im Scheidungsrecht ist in Deutschland schon seit 1977 abgeschafft. Maßgeblich ist allein dass die Ehe "zerrüttet" ist, egal an wem es liegt. Gilt in Frankreich etwas anderes?

    • @stadtlandmensch:

      Ich habe mich auch gewundert, dass die Frage nach dem Schuldprinzip überhaupt nicht gestellt wurde. Wieso hat Frankreich noch so etwas?

      Ohne Schuldprinzip im Scheidungsrecht wäre diese ganze Auseinandersetzung müßig.

      • @Gesunder Menschenverstand:

        In etlichen Staaten ist die Ehe eben noch ein Wert an sich und das "bis dass der Tod Euch scheidet" so endgültig und verpflichtend gemeint, dass die Zuwiderhandlung nicht "schuldlos" erfolgen kann, schließlich liegen ja Eheschließungs- wie Trennungsgründe vollständig im Bereich der freien Willensbildung der Beteiligten. Also: Keine Scheidung ohne Verschulden, kein Verschuldnen ohne Schuldigen.

        Man muss das nicht richtig finden. Es ist aber wertungsmäßig auch nicht per se falsch, würde ich sagen. Das aus meiner Sicht einzig wirklich rational durchschlagende Argument gegen das Schuldprinzip ist, dass es effektiv - in Gesellschaften mit vielen klassischen Versorgerehen - über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Trennungsschuld einseitig die Frauen an die Ehe kettet. Aber die Überlegung an sich, ob das Aus einer Ehe ein Unglück oder eine echte Pflichtverletzung ist, kann man durchaus als ethische "Geschmackssache" betrachten.