Schwarze gegen Antisemitismus: Es mangelt so an Empathie
In Sachen jüdisches Leid mangelt es nicht nur bei Weißen, sondern auch in der Black Community an Solidarität. Dabei hat man vieles gemeinsam.
D as von Correctiv enthüllte Treffen Rechtsextremer am Potsdamer Lehnitzsee schlägt immer noch hohe Wellen. Insbesondere der „Masterplan zur Remigration“ löst Bestürzung aus. Demnach sollten etliche Millionen Menschen, die als Personen nichtdeutscher Abstammung eingestuft werden, gewaltsam aus der Bundesrepublik vertrieben werden, ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft.
Für viele, die im Alltag Rassismus erfahren, ist die Konspiration keine Überraschung. Aber wer soll was dagegen unternehmen? Und sind alle Ansprüche, die an die deutsche Leitkultur gestellt werden, förderlich oder überhaupt gerechtfertigt? Anlässlich des Black History Month 2024 möchte ich dafür plädieren, über das übliche Schwarz-Weiß-Denken hinauszukommen.
In Bezug auf das rechte Treffen veröffentlichte die Schwarze Antirassistin Tupoka Ogette einen offenen Brief mit dem Titel „Dear White People“. Darin ruft sie weiße Menschen dazu auf, die Demokratie zu retten: „Stärkt Allianzen. Führt schwierige Gespräche.“ Im Grunde bedeutet das allerdings eine Auslagerung der Mitverantwortung.
Es ist zwar wichtig, dass wir die Weißen ansprechen und Tacheles mit ihnen reden. Der Aufruf suggeriert jedoch, es sei ausschließlich die Aufgabe der Weißen, Hass zu bekämpfen. Als bräuchte diese Welt noch mehr White Saviors! Doch hat sich eine so gedachte Aufgabenteilung in der Black Community inzwischen zum Geschäftsmodell gemausert. Sie beinhaltet ein Sündenerlass-Abo. Und so schreiben wir am laufenden Band rassismuskritische Bücher, während reumütige Weiße sich unsere ISBN, unsere IBAN und unsere Inhalte merken.
Aufruf zur Auslagerung
Doch damit nicht genug: Aufrufe wie „Liebe Weiße“ blenden aus, dass es auch innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft Ansichten gibt, die den Kampf gegen den Rechtsextremismus unterminieren. Dazu zählt der Antisemitismus. Weltbekannte Black Entertainers wie Kayne West, Dave Chapelle und Ice Cube warten turnusmäßig mit judenfeindlichen Äußerungen auf, die an die kruden Karikaturen und die verwerflichen Verschwörungstheorien des Stürmer erinnern. Auch tobt Louis Farrakhan, der inzwischen 90-jährige Anführer der Nation of Islam, über jüdische Menschen als Termiten und preist Adolf Hitler. Das sind natürlich „extreme“ Fälle. Aber diese Beispiele befeuern den Hass nur weiter.
Seit dem 7. Oktober, dem blutigsten Massenmordanschlag gegen das Judentum nach dem Holocaust, erleben jüdische Menschen statt Anteilnahme lauter Antipathien. Man schenkte ihnen weder Zeit zum Trauern noch den Raum dafür, sich die Wut aus dem Bauch zu schreien. Sogleich mussten sie Rede und Antwort stehen, und zwar bezüglich jedweder Handlung, die der Staat Israel seit 1948 ausgeführt hat. Wer eine Kippa oder den Davidstern auf offener Straße trägt, lebt gefährlich. Hakenkreuze und Schriftzüge wie „Juden raus!“ prangen vermehrt wieder auf Häuserwänden.
Frau Ogettes Post zu den Deportationsplänen der Rechten rät Weißen dazu: „Check in bei den BIPoC um dich herum.“ Wunderbar. Doch es obliegt auch uns Schwarzen, unseren jüdischen Mitbürger:innen eine seelische Zufluchtsstätte zu bieten, und zwar proaktiv. Nach der Ermordung von George Floyd gingen Abermillionen Weiße im Schulterschluss mit uns weltweit auf die Straße, und Jüdinnen waren ganz engagiert mit dabei. Warum bringen wir es kollektiv nicht, uns auf Solidaritätsmärsche für die israelischen Geiseln blicken zu lassen? Die fehlende Empathie ist beschämend.
Antipathien statt Anteilnahme
Kurz nach dem Terrorangriff postete Black Lives Matter (BLM) Chicago das Bild eines Gleitschirms mitsamt palästinensischer Flagge, in schadenfroher Anspielung an die Hamas-Paraglider, die das Musikfest Supernova Rave überfallen hatten. Mehr als 24 weitere BLM-Ortsverbände verharmlosten den Terror als einen „verzweifelten Akt der Selbstverteidigung“.
Claudine Gay, die erste Schwarze Präsidentin der Elite-Universität Harvard, verhielt sich auch nicht gerade vorbildlich. Auf die Frage, ob Studierende, die auf dem Campus antisemitische Hetzparolen verbreiten, damit gegen die Verhaltensregeln Harvards verstoßen, erwiderte die inzwischen wegen Plagiatsvorwürfen zurückgetretene Akademikerin: „Es hängt vom Kontext ab.“
Eine afrodeutsche Gastprofessorin an der UdK Berlin spricht vom „Widerstand“ gegen Israel. Viele „israelkritische“ Stimmen betreiben ein Racial Framing, wonach Israelis als White Supremacists dargestellt werden. Allerdings sind 30 Prozent der israelischen Jüdinnen und Juden Nicht-Weiße, seit Generationen dienen Schwarze Israelis äthiopischer, beduinischer und afroamerikanischer Herkunft stolz bei den IDF. Doch diese Tatsachen werden ausgeblendet, weil sie nicht ins Narrativ passen.
Darüber hinaus blieb nicht nur die Organisation UN Women erstaunlich ruhig, als Angaben über die wiederholte Vergewaltigung jüdischer Frauen und Mädchen bestätigt wurden. Auch jene Schwarzen Feministinnen, die sonst mit Hang zur Bissigkeit über Intersektionalität und Schwesternschaft reden, kriegten die Zähne nicht auseinander.
Wannsee 2.0
Doch wenn ich genau dieses eklatante Versäumnis thematisiere, werde ich von einigen Schwarzen als „Sarah’s House Negra“ und „Zionisten-Schlampe“ beschimpft. Dass ich seit 2018 queere Geflohene aus Palästina im Ehrenamt mitbetreue, wird als „islamophobes Pinkwashing“ abgestempelt.
Dabei verbindet uns viel mehr, als uns trennt. Wenn die Schwarze Community nicht einmal in der Heimat des Holocausts dazu imstande ist, den Antisemitismus zu verurteilen und sich mit jüdischen Menschen zu solidarisieren, dann ist es ein Hohn, Weiße dazu aufzufordern, mehr gegen den Hass zu unternehmen. Der Wahnsinn vom Wannsee 2.0 ist kein Hirngespinst, sondern werdende Realität.
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