Sawsan Chebli erstreitet Schmerzensgeld: Klagen bis zum neuen Normal
Die wenigsten erstatten Anzeige, nachdem sie sexistisch beleidigt werden. Umso wichtiger, dass Prominente vor Gericht ziehen.
Und noch ein Erfolg für Sawsan Chebli! Der Verleger der neurechten Plattform Tichys Einblick, Roland Tichy, muss der SPD-Politikerin 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Grund dafür ist eine sexistische Formulierung in einer Kolumne, die im September 2020 in seinem Magazin veröffentlicht wurde. Laut Cheblis Anwalt Christian Schertz begründete das Landgericht Berlin sein Urteil damit, dass es sich bei den Äußerungen um eine Verletzung der Menschenwürde und eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung handele.
Und das ist nicht der erste Erfolg von Chebli. Kurz nach Erscheinen der Kolumne hatten sich zahlreiche Menschen mit ihr solidarisch gezeigt. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär beispielsweise kündigte ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung, deren Vorsitzender Tichy zu diesem Zeitpunkt war. Nach zunehmender Kritik legte er den Posten nieder. Zudem erwirkte Chebli eine einstweilige Verfügung gegen Tichy. Nachdem nun das Urteil am Dienstag bekannt wurde, twitterte Chebli: „Ich habe geklagt, weil es mir wichtig war, klarzumachen, dass Sexismus niemals Normalität sein darf und er nicht ohne Konsequenzen bleibt!“
Doch das Problem ist: Konsequenzen für die Täter:innen bleiben bislang meistens noch aus. Denn nur die wenigsten erstatten Anzeige. Zu „normal“ ist dieser Sexismus in unserer Gesellschaft dann doch noch, zu viel Ressourcen kostet der juristische Weg, zu niedrig sind die Erfolgschancen.
Medienwirksame Fälle wie der von Renate Künast die trotz wirklich übler sexistischer Beleidigungen durch mehrere Instanzen gehen musste, um dann auch nur einen Teilerfolg zu erlangen, verstärken dieses Gefühl der Betroffenen und können schnell entmutigen.
Dass ein Gericht die sexistischen Beleidigungen gegenüber Chebli nun nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht, sondern als Verletzung der Menschenwürde, ist enorm wichtig und kann eine Signalwirkung haben. Dass nun viele Sexist:innen so verschreckt sind, dass sie künftig auf misogyne Beleidigungen verzichten, ist leider unwahrscheinlich. Doch das hartnäckige Dranbleiben von Prominenten – wie auch das der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die den Autor Akif Pirinçci wegen einer sexistischen Beleidigung erfolgreich auf eine Entschädigung von 6.000 Euro verklagte –, kann hoffentlich Vorbildcharakter für viele Betroffene haben.
Damit Konsequenzen für die Täter:innen bald das neue Normal sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles