SPD nach Ampel-Aus: Alles auf Olaf
Nachdem er die FDP losgeworden ist, will Scholz jetzt das Kanzleramt halten. Ein völlig verrückter Plan? Nicht, wenn es nach der SPD geht.
Die Aussicht für Olaf Scholz? Prächtig! Zumindest an diesem Freitagmorgen. Blau wölbt sich der Himmel über der Donau, der Bundeskanzler steht auf der Dachterrasse eines Budapester Hotels und nimmt sich Zeit, den Ausblick über die sanften Hügel von Buda zu genießen. Ein Moment, um Kraft zu tanken.
Scholz ist am Vorabend nach Budapest zum informellen Treffen des Europäischen Rats gereist. Die EU-Regierungschef:innen haben zusammen zu Abend gegessen, über das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahlen gesprochen und über den Krieg in der Ukraine.
„Wir werden heute auch weiter über Zukunftsfragen diskutieren, die für unsere Europäische Union von allergrößter Wichtigkeit sind“, kündigt Scholz auf der Dachterrasse an. Er wirkt mit sich im Reinen, wie einer, der noch lange mitdiskutieren will in dieser Runde. Klar, ein bisschen müde um die Augen, etwas blass ist Scholz. Dennoch tritt er bemerkenswert frisch auf, angesichts der 48 Stunden, die hinter ihm liegen.
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Man merkt Scholz kaum an, dass er als Anführer einer Minderheitsregierung nach Ungarn gekommen ist, als Kanzler auf Abruf. Denn die von ihm angeführte Ampelkoalition ist zerbrochen, ausgerechnet am Tag nach der US-Wahl. Am Mittwochvormittag stand fest, dass Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt, abends besiegelte Scholz das Ende seiner Regierung. Um 21.15 Uhr trat der Kanzler im Kanzleramt vor die Medien: Er werde im Januar die Vertrauensfrage stellen, damit im März der Bundestag neu gewählt werden kann. Zuvor hatte er Finanzminister Christian Lindner entlassen.
Zuwachs bei der SPD
Es war der letzte Akt eines Politpokers, bei dem es zuletzt nur noch um die Frage ging, wer zuerst die Nerven verliert: Schmeißt Christian Lindner hin oder Olaf Scholz ihn raus? Und zugleich ist es der erste Schritt in einem Plan, der die SPD an der Macht und Scholz im Kanzleramt halten soll. Scholz, der leise tretende Moderator eines Dreierbündnisses ist Geschichte, Olaf, der kräftig austeilende Wahlkämpfer ist wieder da.
Mit Lindners Rausschmiss hat Scholz am Mittwoch immerhin das Heft des Handelns in die Hand genommen und dazu eine Rede gehalten, für die sie ihn später am Abend in der Fraktion mit Standing Ovations begrüßten. 500 Menschen sind seit Mittwoch neu in die SPD eingetreten. Dieser Rückhalt aus den eigenen Reihen, der Rausch des Endlich-sind-wir-die-FDP-los, das erklärt wohl einen Teil des Selbstvertrauens, mit dem Scholz weiterhin auftritt. Ob dieser Rückenwind anhält, stellen selbst wohlgesonnene SPD-Beobachter infrage.
Streit war an der Tagesordnung
Scholz werde es schwer haben, sich gegenüber CDU-Chef Friedrich Merz als der bessere Kanzlerkandidat zu profilieren, meint der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, der das „Progressive Zentrum“, eine SPD-nahe Denkfabrik, leitet. Was die Ampel in den ersten beiden Jahren unter schwierigen Bedingungen geleistet habe, sei schon beachtlich, meint Schroeder. „Aber das Ende der Ampel kam zu spät. Scholz hat sich bis dahin keinen Namen als durchsetzungsstarker Kanzler gemacht.
Richtig rund lief es zwischen SPD, Grünen und FDP ja nur ganz am Anfang, erste Risse zeigte das Bündnis bereits im zweiten Jahr, dann das Krediturteil des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr, eine schwächelnde Wirtschaft, der teure Krieg in der Ukraine. FDP-Finanzminister Christian Lindner aber hielt die Schuldenbremse hoch. Streit war an der Tagesordnung, die Umfragewerte trudelten in den Keller.
Schon als sich die SPD-Fraktion im September zur Klausur traf, war vielen Genoss:innen klar: Das wird nichts mehr zu dritt. Olaf solle mehr Führung zeigen, der FDP auch mal ein Basta ansagen. In der Parteizentrale entwarf die Führung um Lars Klingbeil und Saskia Esken einen Plan, um die Partei vom Ampel-Negativimage zu lösen und auf die Erfolgsspur zu setzen. Projekt Kanzlerschaft 2025. Die Aufgabe für Scholz: sozialdemokratische Themen auf die Tagesordnung zu setzen und die renitente FDP mit Vorschlägen zur Rettung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen zur Einordnung zu zwingen.
Mitte Oktober traf sich der Parteivorstand, alle in roten Fußballtrikots mit der Nummer 25, zur Klausur und beschloss ein Strategiepapier mit Steuererleichterungen für die „breite Mitte“ und Zusatzbelastungen für Topverdiener, mit einem Industriestrompreis und Investitionsanreizen für Unternehmen, die in Deutschland investieren. Letztere Punkte brachte Scholz dann auch zuletzt im Koalitionsausschuss ein, spielte also wie vereinbart die sozialdemokratische Karte.
Doch gleichzeitig setzte die Parteiführung gemeinsam mit dem gerade ins Amt gekommen Generalsekretär Matthias Miersch darauf, dass die Ampel hält und man damit noch ein knappes Jahr Zeit hat, um Anlauf für den Wahlkampf zu nehmen. Für den 30. November war eine „Wahlsiegkonferenz“ angesetzt, das Programm sollte erarbeitet und erst am 21. Juni auf dem Parteitag beschlossen werden. Scholz sollte dabei zum Kanzlerkandidaten gekürt werden, bis dahin wollte man tüchtig regieren.
Bloß nicht noch einmal von Lindner vorführen lassen
Dass alles nun im Zeitraffer passieren muss, liegt aus Sicht der SPD einzig und allein an Christian Lindner. Spätestens mit seinem Papier zur Wirtschaftswende – im Wesentlichen Sozialkürzungen und Steuererleichterungen für Gutverdienende und Unternehmen – war klar, dass dieser einen schnellen Ampel-Ausstieg anpeilt.
Als sich Scholz in den Tagen vor dem Ampel-Ende zunächst mit Lindner, später auch mit Robert Habeck traf und am Mittwoch der Koalitionsausschuss zusammentrat, ging es zunächst einmal darum, ob man noch zusammen einen Haushalt hinbekommt. Es galt ein zweistelliges Milliardenloch zu schließen, die Haushälter:innen des Bundestags wollten am Donnerstag letzte Hand anlegen. Denen zufolge hätten sie es hinbekommen.
Doch im Hintergrund liefen längst die Exit-Drehbücher. Der Kanzler hatte in die Dreierrunde am Mittwochmorgen eine Agenda für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze eingebracht. Voraussetzung und Kernpunkt des Papiers war aber die Forderung, die Ukraine-Hilfen und einen entsprechenden Zuschlag als Solidaritätssignal nach der Trump-Wahl, aus der Schuldenbremse herauszurechnen, für insgesamt 15,5 Milliarden Euro eine Ausnahme zu genehmigen.
Dass die FDP da freudig mitgehen würde, erwartete niemand, deshalb hatte Scholz’ Sprecher vorsorglich drei Reden vorbereitet: eine für den Fall, dass es klappt, eine für den Fall, dass Lindner hinwirft und eine für den Fall, dass Scholz ihn feuert. Denn eins wollte man nicht: sich noch einmal von Lindner vorführen lassen, ihm womöglich erlauben, das Ampel-Aus selbst zu verkünden. Es gab Spekulationen, dass Lindner den Zeitpunkt auf den Freitag legen wolle, wenn Scholz in Budapest weilt.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
Als Lindner dann im Koalitionsausschuss Neuwahlen vorschlug und dies auch postwendend der Bild-Zeitung steckte, zog der Kanzler den Stecker. In einer Sitzungspause ploppte die Nachricht auf den Handys auf: „Lindner schlägt Neuwahlen vor.“
Scholz und die SPD als Sieger, befreit vom FDP-Fluch
Scholz kehrte gar nicht in den Konferenzraum zurück, sondern rief den Bundespräsidenten an, um ihn um die Entlassung Lindners zu bitten. Das teilte er dem verdutzten Finanzminister nach der Pause auch gleich mit. In der anschließenden Regierungserklärung rechnete er ungewohnt offen mit dem Geschassten ab: „Christian Lindner hat viel zu oft kleinkariert politisch gehandelt, hat viel zu oft mein Vertrauen missbraucht.“ Es klang ein wenig, als habe er eine Beziehung beendet.
Scholz hielt in der Vergangenheit oft seine schützende Hand über Lindner, zu oft nach Meinung der eigenen Partei und der Grünen. Lindner sprach in den ersten beiden Jahren voller Hochachtung von seinem Chef, auch in der FDP-Fraktion war man sehr zufrieden mit Scholz. Fraktionschef Christian Dürr ließ sich nach einem Jahr Ampel noch mit den Worten zitieren: Der Kanzler habe „Drive“, und „er macht das menschlich echt gut“.
Nun ja. Das ist vorbei. Und trotz aller Verletzungen – in den Tagen nach dem Bruch fühlen sich Scholz und die SPD als Sieger, befreit vom FDP-Fluch. „Wir haben keine Mehrheit aber Klarheit“, sagte der Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz wenige Stunden nach dem Aus. Auch im Kreis der EU-Chefs empfingen sie Scholz nicht mit flapsigen Bemerkungen. Vielleicht weil einige innenpolitisch ähnlich wenig Rückhalt haben, Emmanuel Macron etwa.
Die erste Phase des SPD-Plans hat also geklappt – der SPD-Kanzler hat die Bühne für sich. Nun gilt es noch die Umfragen zu drehen, der Union 10 Prozentpunkte abzunehmen und herauszustellen, dass der besonnene Sozialdemokrat schon jetzt ein besserer Kanzler ist, als der aufbrausende Friedrich Merz es je sein wird. Scholz ist überzeugt, dass das klappen kann.
Erst im Januar will er deshalb die Vertrauensfrage stellen, vorher noch „wichtige Projekte, die keinen Aufschub dulden“ verabschieden, ein Paket für die kriselnde Wirtschaft, weitere Hilfen für die Ukraine und das Paket zur Stabilisierung der Rentenhöhe. Die Regierung hat er umgebaut. Allein: Grünen und SPD fehlen im Bundestag 43 Stimmen zur Mehrheit. Also hofft man auf die Union.
Scholz und seine Sturheit
Merz signalisierte Gesprächsbereitschaft in Einzelfragen aber nur unter einer Bedingung. Dass Scholz die Vertrauensfrage schon in der nächsten Woche stellt, am besten nach seiner für Mittwoch geplanten Regierungserklärung. Schon im Januar könne neu gewählt werden. Merz' Kalkül ist klar – mit dem Ampelfrust als Rückwind ins Kanzleramt.
Die meisten Menschen geben ihm Recht. Zwei Drittel wollen laut ARD-Deutschlandtrend schnelle Neuwahlen. Politikwissenschaftler Schroeder meint zwar, dass es gute Gründe gebe, erst im März zu wählen. Die Parteien brauchten Zeit, um Kandidaten aufzustellen, darauf habe auch die Bundeswahlleiterin hingewiesen. „Aber Scholz hat das schlecht erklärt. Das hat seinem verantwortungsethischen Anspruch geschadet.“
So wirkt es also, als wolle sich Scholz noch ein bisschen Zeit verschaffen. Auch andere Parteien, darunter die FDP, fordern inzwischen schnelle Neuwahlen. Der Druck auf den Kanzler wächst. „Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren“, sagte Scholz am Freitag in Budapest.
Er schlug vor, sich zunächst unter den demokratischen Parteien auf Gesetze zu verständigen, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden könnten. „Diese Verständigung könnte dann auch die Frage beantworten, welcher Zeitpunkt der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.“ Das ist ungewöhnlich. Denn eine weitere, hervorstechende Eigenschaft von Scholz ist seine Sturheit. Hat er sich einmal für einen Weg entschieden, geht er ihn bis zum Ende. Notfalls allein.
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