SPD-Parteitag in Berlin: Stahl, Helme und Krieg
Die SPD ringt um ihren außenpolitischen Kurs und die Wehrpflicht. Ein Affront gegen Verteidigungsminister Pistorius wird in letzter Minute abgewendet.

Die Genoss*innen bemühten sich, die am ersten Tag aufgerissenen Gräben wieder etwas zuzuschütten. So wurde beim Thema Wehrpflicht bis zum Schluss um einen Kompromiss gerungen. Mit Erfolg. Die Jusos hatten gegen die von Verteidigungsminister Boris Pistorius ins Spiel gebrachte Rückkehr zur Wehrpflicht einen Initiativantrag eingebracht und die SPD aufgefordert, sich gegen einen Zwangsdienst auszusprechen.
Der Minister wollte in seinem Wehrdienstgesetz bereits Regelungen einbauen, die bei einem Fehlen von Freiwilligen greifen würden. Er wehrte sich im Vorfeld des Parteitags „gegen die Stimmen, die meinen, wir müssten jegliche Verpflichtung ausschließen“. Eine Botschaft an die Jungsozialist*innen.
Schließlich einigte sich der Parteitag mit wenigen Gegenstimmen darauf, die Entscheidung ob Wehrpflicht oder nicht, so lange wie möglich hinauszuschieben. Im mehrheitlich verabschiedeten Kompromiss heißt es, dass die Partei sich zu einem „neuen Wehrdienst“ nach dem sogenannten schwedischen Modell bekenne, wie es auch im Koalitionsvertrag mit CDU/CSU verabredet ist.
SPD uneins bei Wehrpflicht
Der Wehrdienst solle attraktiver werden, von mindestens 60.000 zusätzlichen Soldat*innen sowie 200.000 Reservist*innen ist die Rede. Das sind die Zielzahlen, die auch Pistorius immer wieder nennt. Und der Beschluss folgt auch der Argumentation des Verteidigungsministers: „Wir müssen reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr dies erfordern.“
Falls es nicht genug Freiwillige gebe, will die SPD allerdings keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger einführen, „bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“. Alles offen, also? „Am Ende entscheidet die Regierung“, so ein Verteidigungspolitiker lakonisch.
Pistorius hatte allerdings auch Forderungen aus der Union eine Absage erteilt, eine Wehrpflicht möglichst schnell einzuführen. Dafür würden Kasernen und Übungsplätze fehlen.
Aufruf zur Einhaltung des Völkerrechts
Mit großer Mehrheit einigte man sich auch auf eine kritischere Tonart gegenüber Israels Vorgehen in Gaza und im Iran. Mit großer Mehrheit folgten die Delegierten dem Antrag des Parteivorstands, der Israel zur Einhaltung des Völkerrechts aufruft und „diplomatische Anstrengungen“ fordert, „um die fragile Waffenruhe zwischen Israel und Iran zu erhalten“.
„Auch Israel ist an das Völkerrecht gebunden und muss die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes wahren. Diese Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr gegeben“, heißt es in einem Antrag für den Parteitag, der mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Gleichzeitig bekannten sich die Sozialdemokrat*innen zur Zweistaatenlösung, verurteilten den Terror der Hamas und forderten die Freilassung der Geiseln.
Israel dürfe sich zwar verteidigen, sagte die Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur. „Aber Selbstverteidigung hat Grenzen, und die Grenze ist das Völkerrecht.“ Sie kritisierte auch ihre Partei: „Wir haben als SPD vielleicht zu lange um Worte gerungen.“ Deutschland müsse sich grundsätzlich unmissverständlich zum Völkerrecht bekennen, hieß es von verschiedenen Redner*innen.
Parteitag fordert nationalen Stahlgipfel
Emotionale Reden gab es schon mittags, als es um die Wirtschaft ging. Vor allem das Thema Stahl erhitzte die Gemüter der Genoss*innen: Ein Antrag, der sich zur Produktion von grünem Stahl in Deutschland bekennt und von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) unter anderem die Einberufung eines nationalen Stahlgipfels fordert, wurde einstimmig angenommen.
Zum Hintergrund: Kürzlich hatte der größte europäische Stahlkonzern ArcelorMittal seine Pläne gestoppt, an den Standorten in Bremen und Eisenhüttenstadt auf CO2-arme Stahlproduktion umzustellen. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte, dessen Senat diesen Weg gemeinsam mit dem Bund massiv finanziell unterstützen wollte, zeigte sich am Samstag erbost: Das Vorgehen von ArcelorMittal sei „nicht akzeptabel“, die Ministerin dürfe „nicht länger in den Kulissen stehen“.
Im Beschluss heißt es: „Wenn nicht in grünen Stahl investiert wird, bedeutet es wegen steigender CO2-Preise innerhalb weniger Jahre, dass die Stahlindustrie schlicht und ergreifend in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird“.
Auch an anderen Stahl-Standorten, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, ist die Sorge groß, dass Standorte geschlossen werden, auch wenn die dortigen Betreiber bislang an ihren Transformationsplänen festhalten. „Die Stahlindustrie ist das Rückgrat unserer Industrie. Millionen Menschen sind von dieser Branche abhängig“, sagte Timo Ahr aus der Saar-SPD.
Ablehnung für Ausnahmen beim Mindestlohn
Kritik gab es an den im Koalitionsvertrag formulierten Plänen, die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Arbeitszeit zu schaffen – eine Abkehr vom Acht-Stunden-Tag.
Dass Agrarminister Alois Rainer (CSU) im Schulterschluss mit dem Bauernverband beim Mindestlohn Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft schaffen möchte, stieß bei vielen Redner*innen auf Ablehnung. „Das wäre ein Mindestlohn zweiter Klasse“, sagte Katharina Räth aus Franken. „Das ist völliger Schwachsinn, das machen wir nicht mit.“ Ein solcher „Mindestlohn unterhalb des Mindestlohns“ sei „unmoralisch“, so Räth weiter. Die von der Mindestlohnkommission am Freitag beschlossene Lohnuntergrenze hatten die Genoss*innen jedoch stirnrunzelnd akzeptiert. Auf dem Parteitag war das kein Streitthema.
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