SPD-Minister in neuer Regierung: Abgang des Unwirschlings
Gabriel muss als Außenminister gehen – ausgerechnet jetzt, wo seine Beliebtheit steigt. Ein Rückblick auf eine Karriere mit Höhen und Tiefen.
Und ausgerechnet jetzt soll Schluss sein für Sigmar Gabriel?
„Nun endet die Zeit, in der ich politische Führungsaufgaben für die SPD wahrgenommen habe“, schrieb Gabriel am Donnerstagmorgen auf Twitter. Der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz und die designierte neue Parteichefin Andrea Nahles hätten ihn über sein Ausscheiden aus der Bundesregierung informiert.
Dass Sigmar Gabriel, 58, bald nur noch als einfacher Abgeordneter im Parlament sitzen wird, ist ein Abschied, der auf den ersten Blick nicht einleuchtet. Auf den zweiten aber umso mehr. Gabriel darf nicht mehr Minister sein, weil er mit Andrea Nahles und Olaf Scholz überquer lag, den neuen Bestimmern in der SPD. Weil er es sich in seiner Partei auch sonst mit fast allen verscherzt hat. Weil ihm, anders gesagt, aus seiner Sicht nur einer das Wasser reichen kann: er selbst.
Anecken im Zick-Zack-Kurs
Genialität und Zerstörungsneigung liegen bei Gabriel so nah beeinander wie bei kaum einem anderen Spitzenpolitiker. Seine Ungeduld und seine Neigung zu schlechter Laune sind legendär, seine Sprunghaftigkeit sowieso. „Mr. Zick-Zack“ nannte ihn mal ein Basismitglied in einem offenen Brief, als er noch Vorsitzender war.
Fast acht Jahre litt die SPD unter ihrem Ex-Chef, still, am Ende auch lauter. Aber Gabriel ist – auf seine Art – auch sehr gut. Selbst seine zahlreichen Gegner bestreiten seine Qualitäten nicht: den Instinkt, das Talent zur Zuspitzung, die rhetorischen Qualitäten, die Ausgebufftheit.
Der bisherige Justizminister Heiko Maas (SPD) soll in der neuen Bundesregierung als Nachfolger von Sigmar Gabriel Außenminister werden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Parteikreisen in Berlin. Zuvor hatte „Spiegel online“ darüber berichtet.
Gabriel kümmert sich gerne um das große Ganze. Da war zum Beispiel sein Essay im SPIEGEL im Dezember. Darin beschreibt er, warum der Aufstieg der Rechten auch eine Revolte gegen einen als übersteigert empfundenen Liberalismus sei – und warum dies für ehemals sozialdemokratische Wähler attraktiv sei. Er legt der SPD nahe, neu über Begriffe wie Heimat und Leitkultur nachzudenken, statt sie reflexhaft abzulehnen. Weil sich dahinter auch die Sehnsucht nach sicherem Grund unter den Füßen verberge.
An der Analyse ist viel Wahres dran. Wahrscheinlich sehnen sich viele Menschen in die Zeit zurück, in der sozialdemokratische Rezepte den Kapitalismus verlässlich einhegten. Doch fragte man sich bei der Lektüre gleichzeitig: Wer hat eigentlich in den vergangenen Jahren den Kurs der SPD verantwortet? Wer war Parteivorsitzender, Vizekanzler und Minister? Gabriel analysierte mit großer Geste Probleme, die er selbst hätte lösen müssen.
Beharrliche Diplomatie
Auch seine 13 Monate als Außenminister waren ambivalent, der Beliebtheit bei den BürgerInnen zum Trotz. Am 16. Februar, dem Tag seines größten Erfolges, steht Gabriel im Newsroom des Springerblattes Die Welt. „Ja, das ist ein guter Tag“, sagt er, „Deniz Yücel ist auf freiem Fuß.“ Dann dankt Gabriel vielen. Den Helfern. Ex-Kanzler Schröder. Dem türkischen Außenminister.
Die bisherige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wird der neuen Bundesregierung von Union und SPD nicht mehr angehören. Die 65-Jährige aus Kleve sei „dankbar“, dass sie die vergangenen vier Jahre als Bundesumwelt- und Bauministerin dem Land, seinen Menschen und ihrer Partei habe dienen dürfen, sagte sie der Rheinischen Post. Hendricks vertrat auf SPD-Seite Nordrhein-Westfalen im Bundeskabinett. Da auch in der neuen großen Koalition einer der sechs SPD-Ministerposten mit einem Politiker aus NRW besetzt werden soll, wird dafür die frühere nordrhein-westfälische Forschungsministerin Svenja Schulze (49) gehandelt – unklar war zuletzt, ob ebenfalls als Umwelt- oder als Familienministerin. Bis zu diesem Freitag will die SPD die Liste vorlegen.
Aber er lässt auch keinen Zweifel daran, welch große Rolle er selbst spielte. Er erwähnt beiläufig, er habe zwei Mal mit Erdoğan persönlich gesprochen. Er betont, beharrliche Arbeit und Diplomatie könnten Erfolg haben. Er meint natürlich: seine eigene Beharrlichkeit.
In seiner Abschiedsnachricht auf Twitter betont Gabriel die „Befreiung deutscher Staatsangehöriger aus ungerechtfertigter Haft im Ausland“ als eine der „bleibenden Erinnerungen“. Dass der Journalist Yücel nach über einem Jahr Haft freikam, geht auch auf Gabriels Wirken zurück. Auf Druck und Freundlichkeit. Gabriel verschärft 2017 etwa die Sicherheitshinweise für deutsche Touristen, was der türkischen Tourismusbranche schadet.
Gleichzeitig lässt er den Gesprächsfaden nie abreißen. Er trifft seinen türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu in Antalya, lädt ihn im Januar sogar zu sich nach Hause nach Goslar ein. Das Foto, auf dem er Çavuşoğlu im Wintergarten mit einem türkischen Teeservice bedient, wird berühmt.
Ein provokanter Bauchmensch
Während Gabriel in Deutschland für die angebliche Demutsgeste kritisiert wird, kommt sie in der Türkei gut an. Symbole sind in der Außenpolitik manchmal wichtiger als tausend freundliche Worte. Gabriel traut sich was im Außenamt, bei seinem Vorgänger Steinmeier wäre so eine Szene nicht denkbar gewesen.
Aber Gabriel, der Zuspitzer, provozierte auch in dem Job, der der Diplomatie verpflichtet ist. Er denkt laut darüber nach, die Sanktionen gegen Russland schrittweise zu lockern – zum Ärger der CDU. Er adelt kurz vor der Bundestagswahl den Kreml-Sender Russia Today mit einem Exklusivinterview. Und sein Vergleich der israelischen Politik in Hebron mit einem „Apartheids-Regime“ aus dem Jahr 2012 hängt ihm bis heute nach.
Gabriel ist ein Bauchmensch, der seinem Instinkt vertraut. Schneller als andere erfasst er, was wichtig wird.
Früh witterte er zum Beispiel, dass die vielen Flüchtlinge die Stimmung in der Republik gefährlich verändern würden. Er schaut „als Privatmann“ bei einer Diskussion mit Pegida-Teilnehmern vorbei – und stellt damit die eigene Generalsekretärin bloß, die vor dem Umgang mit den Braunen gewarnt hatte. Im Februar 2016, nach Monaten mit hohen Flüchtlingszahlen, fordert er ein „neues Solidaritätsprojekt“ für die eigene Bevölkerung. „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“, diesen Satz höre er immer wieder.
Eine Genugtuung für die SPD
Gabriel, hieß es damals, spiele Flüchtlinge gegen Deutsche aus. Doch heute beherzigt die künftige Große Koalition genau dieses Prinzip. Sie plant Milliardenausgaben für die gereizte Mittelschicht, um den Aufstieg der AfD zu stoppen.
Das Problem mit Gabriels Instinkt ist, dass er sich nicht darum schert, was er vor einer Woche behauptet hat. Gabriel, heißt es in der SPD, habe sich einfach nicht im Griff. Als er dachte, Martin Schulz wolle ihn aus dem Amt verdrängen, schob er seine kleine Tochter vor, um den „Mann mit den Haaren im Gesicht“ zu beleidigen. Der Fauxpas war ein klassischer Gabriel, wenig später entschuldigte er sich bei Schulz.
In der SPD sind deshalb viele mit ihm durch. Sie haben nicht vergessen, wie sehr sie unter ihm als Chef litten. Als er noch SPD-Vorsitzender war, beschimpfte er zum Beispiel die linke Syriza-Regierung in Griechenland – und unterstützte kurzfristig einen Euro-Austritt auf Zeit des verschuldeten Staates. Und die SPD will eine Europapartei sein? Dann sein Basta zur Vorratsdatenspeicherung, sein Ja zum Freihandelsabkommen TTIP, sein Nein zu linker Steuerpolitik.
Für Gabriel ist sein Abschied aus der ersten Reihe bitter. Für viele in der SPD ist er eine Genugtuung.
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