Rücktritt von Ministerin Anne Spiegel: Verheerendes Krisenmanagement

Einmal mehr haben die Grünen im Umgang mit einer wichtigen Personalkrise versagt. Dieses Mal: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel.

Politiker und politikerinnen der Grünen stehen auf einem Podium

Claudia Roth, Anne Spiegel, Robert Habeck und Annalena Baerbock am 6. Dezember 2021 Foto: Andreas Gora/epa

Etwas Schlimmeres kann Po­li­ti­ke­r:in­nen kaum passieren: Der Auftritt von Anne Spiegel am Sonntagabend war mitleiderregend. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wie die 41-jährige Grüne am Redepult in ihrem Ministerium stand, den Tränen nahe nach Worten und Haltung ringend, hat Betroffenheit ausgelöst.

Was ihre dramatische Erklärung noch irritierender gemacht hat: Spiegel hielt eine tief bewegte und bewegende Rücktrittsrede – ohne jedoch am Schluss zum „Abbinden“ jenen entscheidenden Satz zu sagen, der schon da der einzig folgerichtige gewesen wäre: „Ich trete zurück.“

Die Frage, um die die Grünen nach diesem verstörenden Auftritt nicht mehr herumkommen: Wie war es möglich, dass sie Spiegel in diese verzweifelte Situation gebracht haben? Wie schnell war ausgerechnet bei ihnen das Jahrhunderthochwasser vom Juli vergangenen Jahres, das in Rheinland-Pfalz immerhin 134 Menschenleben gekostet hat, schon wieder aus dem Sinn?

Im September 2021 setzte der rheinland-pfälzische Landtag seinen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der verheerenden Flutkatastrophe ein. Es bedurfte keiner prophetischen Gaben, um vorauszusehen, dass dort auch und gerade das Verhalten der damaligen Landesumweltministerin auf dem Prüfstand stehen würde. Trotzdem wurde im November Spiegel von Habeck, Baer­bock & Co für das Bundeskabinett auf den Schild gehoben.

Fahrlässige Entscheidung

Das war eine fahrlässige Entscheidung, einzig geschuldet innerparteilichen Kabalen: Weil entgegen der Flügelübereinkunft der Realo Özdemir und nicht der Linke Hofreiter Landwirtschaftsminister werden sollte, musste die Reala Göring-Eckardt der Linken Spiegel im Familienministerium weichen. Klingt blöd, ist blöd – vor allem für eine Partei, die so gerne vorgibt, im Großen und Ganzen zu denken. Jetzt stehen Spiegel und die Grünen vor einem Scherbenhaufen.

Die Verantwortung dafür bei der Opposition zu suchen, ist zu billig. Es ist deren Aufgabe, Schwachstellen einer Regierung zu skandalisieren. So wie es auch SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen im Fall der CDU-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser gemacht haben. Da darf es keine doppelten Standards geben.

Heinen-Esser und Spiegel eint dabei nicht nur ihr unglückliches Agieren während der Flutkatastrophe, sondern vor allem ihr fatales Krisenmanagement danach: Nur scheibchenweise mit der Wahrheit herauszurücken, ist nie ein guter Rat. Was die beiden noch eint: der unsolidarische Umgang ihrer Parteien, die ihrer Demontage zuschauten, anstatt sie zeitig von einem gesichtswahrenden Rücktritt zu überzeugen. Nun ist es zu spät. Zwei zwangsläufige, zwei traurige Abgänge.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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