Rückblick Demos in Chemnitz: Rechte waren fassungslos
Die Polizei beendete die Demo von AfD, Pegida und Pro Chemnitz. Dann kippte die Stimmung, die Polizei konnte eine Eskalation verhindern.
Bei den Gegendemonstranten mischen sich Freude über den unerwarteten Erfolg, die Rechten blockiert zu haben, mit der Sorge, ob man sicher nach Hause oder zum Bahnhof kommen wird. Um 15:30 Uhr hatte die Kundgebung „Herz statt Hetze“ auf einem Parkplatz vor der Johanniskirche begonnen. Mehrere tausend Menschen waren dem Aufruf gefolgt, den ein Bündnis von mehr als 70 Organisationen unterzeichnet hatte, vom Chemnitzer Alternativen Jugendzentrum bis zur örtlichen CDU. Die Züge von Leipzig aus Chemnitz waren so überfüllt, dass Aktivisten bei der Anreise auf dem Bahnhof zurück bleiben mussten; aus Berlin, aber auch aus Erfurt oder Jena waren Hunderte angereist.
Auch am Karl-Marx-Monument füllte sich der Platz schnell. Dort versammelten sich die Teilnehmer der Veranstaltung von Pro Chemnitz, das Publikum war ähnlich wie es auch schon bei der Demonstration am letzten Montag gewesen war: Kameradschaftler, rechtsextreme Hooligans, Betrunkene. Nicht wenige Deutschlandfahnen wurden hier falsch herum gehalten.
Vor der Geschäftsstelle der Chemnitzer AfD ein paar hundert Meter weiter war man zu diesem Zeitpunkt noch auf Seriösität bedacht: Der „Trauermarsch“, zudem unter anderem der thüringische AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke aufgerufen hatte, war von den Veranstaltern mit einer ganzen Reihe von Auflagen versehen, unter anderem sollten die Teilnehmer nur Schwarz tragen und auf Trinken, Essen und Rauchen verzichten.
Die beiden Demonstrationen starteten dann allerdings nicht getrennt. Stattdessen löste pro Chemnitz seine Veranstaltung kurzerhand auf, damit die Teilnehmer zum Auftaktort von AfD und Pegida gehen konnten. Das erklärte Ziel: „Damit wir mehr sind.“ Die Polizei ließ die Demonstranten an dieser Stelle gewähren.
In der Theaterstraße, wo sich nun mehr als 5.000 Menschen zu einem gemeinsamen rechtsextremen Aufmarsch versammelt hatten, wurde die Stimmung dann nach und nach aggressiver, weil der Beginn der Demonstration immer wieder verschoben wurde. Erst gegen 18 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, tatsächlich ab diesem Moment als Schweigemarsch.
Blockade mit Grundgesetzen
Doch schon nach einem knappen Kilometer kam der Zug wieder zum Stehen – genau dort, wo die Nazis von Pro Chemnitz sich am Nachmittag versammelt hatten: Vor dem Karl-Marx-Monument. Still schwenkten sie ihre Deutschlandfahnen. Lange bekamen die Rechten keine Infos, gebetsmühlenhaft dankte der Redner im Lautsprecherwagen ihnen für ihre „Disziplin“. Etwa zwei Stunden sollten sie so verharren müssen, nachdem sich der Aufbruch des Zuges bereits mehr als eine Stunde verzögert hatte.
Einige Meter weiter war der Ort, an dem wenige Tage zuvor Daniel H. erstochen worden war. Dort, zwischen allen Absperrungen saß nun eine kleine Gruppe von Menschen mit einigen Bierflaschen auf dem Boden und murmelte davon, dass nun „komplett apolitische“ Gewaltlosigkeit das Gebot der Stunde sei. Um die Ecke hatten sich schon seit dem Mittag etwa 5.000 Menschen zur „Herz statt Hetze“-Kundgebung versammelt.
Jetzt säumten sie nicht nur die Marschroute, die die Nazis angepeilt hatten. Etwa 500 von ihnen, teils aus dem autonomen „ums Ganze“-Bündnis waren auf die Straße gedrängt – und blockierten diese nun. Die Polizei hatte Hunde und Pferde vor Ort, ließ sie aber weitgehend gewähren. Auf der Straße stellten einige von ihnen nachgebastelte Grundgesetze zu einer symbolischen Blockade auf. Ein Teil der Gegendemonstranten wurde eingekesselt, das Gros aber konnte neben oder auf der Demoroute vor dem Kulturzentrum Tietz bleiben.
Die Bands Egotronic und Irie Revolted spielten auf einer Bühne neben der Straße. Gegen 19:20 Uhr kam dann die Durchsage, dass die Demo der AfD aufgelöst wurde – die Polizeiführung hatte entschieden, die Blockade nicht zu räumen. Bei der Gegenkundgebung wurde dies mit Zufriedenheit quittiert, gleichwohl versuchte ein Teil der Linken, näher an den Kundgebungsort der Rechten zu gelangen, die Polizei verhinderte dies aber mit strategisch Positionierten Wasserwerfern.
Kameraleute geschubst
Vor dem Karl-Marx-Monument hingegen eskalierte die Stimmung nun völlig. Die Rechten konnten schlicht nicht fassen, dass sie ihren so genannten Trauermarsch nicht durchführen durften. Höcke und die übrige AfD-Prominenz hatte sich aus der ersten Reihe zurückgezogen, dorthin drängten nun stinkwütende Hooligans. Sie brüllten die Polizei an, schrien immer wieder „Lügenpresse“. Die Stimmung kochte derart hoch, dass die Polizei gar einen Räumpanzer neben den Wasserwerfern in Stellung brachte.
„Wenn ihr den Helm abnehmen würdet, wäre das hier in zehn Minuten vorbei“, rief einer der Rechten. „Das linke Viehzeug boxen wir dann selber weg.“ Andere beschimpften die Polizisten als „Merkelficker“ und, versteht sich, als Volksverräter. Auch für die Kameraleute wurde es nun zusehends ungemütlich. Sie wurden nicht mehr nur angeschrien, sondern zunehmend auch geschubst. Gegen 19:40 Uhr geleitete die Polizei dann die Rechten langsam Richtung Bahnhof. Um 20:30 Uhr endete dann auch die Gegenkundgebung.
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