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Roderich Kiesewetter über Ukrainekrieg„Hysterie ist fehl am Platz“

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert mehr Waffenlieferungen. Ein Gespräch über Ängste vor einer Eskalation und Putins Kriegsführung.

Trauriger Kriegsalltag: Eine Frau macht Fotos von den Spuren eines russischen Raketenangriffs in Kyjiw am Montag Foto: Anton Shtuka/ap

taz: Herr Kiesewetter, am Montag ist eine russische Rakete in ein Kinderkrankenhaus in Kyjiw eingeschlagen. 30 Zivilisten wurden getötet. Gibt es aus Ihrer Sicht noch sichere Gebiete in der Ukraine?

Roderich Kiesewetter: Nein, Russland führt einen umfassenden Krieg gegen die zivile Infrastruktur in der Ukraine. 90 Prozent der Angriffe Russlands richten sich nicht gegen das Militär, sondern gegen Elektrizitätswerke, Wasserwerke, Krankenhäuser, Schulen, Kultureinrichtungen, Kirchen. Insofern gibt es keine sicheren Gebiete in der Ukraine.

Bild: imago
Im Interview: Roderich Kiesewetter

Der 60-jährige ist Außen- und Verteidigungsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der Oberst a. D. war zudem von 2011 bis 2016 Präsident des Verbands der Reservisten der Bundeswehr.

Was folgt daraus?

Nicht umsonst haben Länder wie die baltischen Staaten und Skandinavien angeregt, die Luftverteidigung des westlichen Teils der Ukraine mit eigenen Mitteln zu unterstützen. Das würde der Ukraine helfen, ihren schon knappen Zivilschutz in die besonders angegriffenen Gebiete im Osten und Süden zu verlagern.

Damit wären Soldaten aus Nato-Staaten direkt am Ukraine-Krieg beteiligt. Wollen Sie das wirklich?

Das ist keine Kriegsbeteiligung, sondern ist vom Boden von Nachbarländern aus machbar! Das wäre eine „Koalition der Willigen“, an der sich Deutschland aus verschiedenen Gründen leider nicht beteiligen würde. Die Soldaten würden der Ukraine auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen helfen, nicht des Nato-Vertrages. Laut UN-Charta darf jedes Land dem Opfer eines Angriffskrieges helfen.

Ist das nicht etwas spitzfindig? In diesem Krieg unterstützt der Westen Kyjiw gegen die russische Aggression. Ein Einsatz in der Ukraine wäre aber doch eine gefährliche Eskalation.

Selbstverteidigung ist nie eine Eskalation. Die Eskalation geht immer von Russland aus. Als Deutschland am Anfang des Krieges weder Panzer noch Kampfflugzeuge lieferte, hat Russland das nicht als Zeichen der Deeskalation gewertet, sondern als Zeichen der Schwäche. Putin hat damals begonnen, die zivile Infrastruktur anzugreifen und 15 Millionen Menschen im Jahr 2022 zur Flucht gezwungen. Die heutigen Verluste der Ukraine sind die Versäumnisse von vor zweieinhalb Jahren. Wie von mir schon länger gefordert, haben die Unterstützerstaaten Kyjiw inzwischen erlaubt, mit importieren Waffen grenznah russische Stellungen anzugreifen – ohne dass dies den Krieg entgrenzt hat.

Falls Polen oder Litauen militärisch westukrainischen Luftraum sichern, könnte Russland militärische Stellungen dort angreifen …

Das ist hypothetisch. Russland würde dies nicht tun.

Wenn doch, dann wäre das der Bündnisfall, also ein Krieg zwischen der Nato und Russland. Oder sehen Sie das anders?

Ja, das wäre der Bündnisfall. Aber ich will es zuspitzen: Wir wollen uns nicht als Kriegspartei sehen, aber für Putin sind wir wegen der Unterstützung der Ukraine schon Kriegsziel. Das zeigen die Zerstörung einer tschechischen Munitionsfabrik vor zwei Jahren und die gezielten Tötungen in Litauen. Putin bezeichnet uns als Feind. Deswegen gilt es sicherlich, vorsichtig und überlegt zu handeln. Aber wir dürfen die Ukraine nicht sich selbst überlassen. Gravierend wäre es, wenn wir ihren Zerfall zulassen würden und es zu einer Massenflucht kommt. Das müssen wir verhindern.

Macht Ihnen das Szenario eines Krieges zwischen Russland und der Nato keine Angst?

Nein, weil Putin nüchtern und rational kalkuliert. Er will zeigen, dass die Nato nicht handlungsfähig ist, und nutzt dazu hybride Angriffe, die unterhalb der Schwelle dessen bleiben, was wir als Krieg verstehen. Wir begreifen nicht, dass Putin bei uns Ängste vor dem Bündnisfall schürt und niedrigschwellig geschickt sein imperiales Projekt vorantreibt. Putins Ziel ist die Ausweitung der russischen Föderation auf die früheren Gebiete der Sowjetunion. Dafür versucht er, das Vertrauen in Nato und EU zu zerstören.

Sie haben gefordert, dass Deutschland die Ukraine mit Waffen versorgen soll, mit denen sie auch russische Ministerien angreifen kann …

Nein. Das unterstellt mir Sahra Wagenknecht. Aber das ist falsch.

Was ist denn richtig?

Ich habe gesagt, wir müssen die Ukraine befähigen, den Krieg nach Russland zu tragen. Mit genug Unterstützung ist die Ukraine fähig, solche Waffen selbst zu produzieren. Gelieferte Waffen sind ohnehin ukrainische Waffen. Das russische Verteidigungsministerium und das Geheimdienstministerium sind natürlich legitime militärische Ziele. Kyjiw wird zerstört, Charkiw wird zerstört und die Ministerien, die das organisieren, sitzen nun mal in Moskau.

Glauben Sie wirklich, dass Raketenangriffe auf Moskau dabei helfen, dem Ziel einer Beendigung des Krieges näherzukommen?

Es kann der Ukraine helfen, der russischen Aggression zu widerstehen. Die Ukraine zerstört kriegswichtige Raffinerien, Munitionsfabriken und militärische Infrastruktur – keine Schulen wie Russland. Ich räume allerdings ein, dass die Wortwahl „Ministerien“ falsche Bilder provoziert hat. Gemeint waren nicht das Bildungs- oder Kulturministerium, sondern die Orte, an denen der Angriffskrieg gegen die Ukraine geplant wird.

Damit haben Sie Wagenknecht eine Steilvorlage geliefert.

Wagenknecht und die AfD ver­unsichern die Bevölkerung und schüren Illusionen über ein mögliches Kriegsende. Damit nutzen sie Putins Absichten.

Laut ARD-Deutschlandtrend gehen mehr als einem Drittel der Befragten die Waffenlieferungen an die Ukraine zu weit, im Osten sieht das sogar die Hälfte der Bevölkerung so. Beunruhigt Sie das nicht?

Wenn der Kanzler Orientierung geben würde, wie der seinerzeitige Kanzler in Sachen Afghanistan, dann würde er größere Mehrheiten für eine Unterstützung der Ukraine gewinnen. Ich unterstelle ihm keine Unredlichkeit, aber ich glaube, er bleibt unter seinen Möglichkeiten. Es bringt nichts, diesen Krieg aus dem Homeoffice zu beobachten, aus der Westentasche zu finanzieren und gewisse Notwendigkeiten zu verschweigen. Mir fehlt in der öffentlichen Debatte, dass es hier aus russischer Sicht um eine Systemauseinandersetzung geht.

Sie sind also gegen jegliche Verhandlungen mit Russland?

Nein. Es wäre wünschenswert, dass am Ende Verhandlungen über ein Kriegsende stehen. Aber wir sollten nicht Putins Gelüste befriedigen, indem wir versuchen, die Ukraine so schnell wie möglich in Verhandlungen zu bringen. Der Kernpunkt ist, dass wir nicht von ihr erwarten sollten, dass sie die Annexion der Krim und die Annexion der vier Territorien einfach als gegeben hinnimmt. Denn dann würden wir sagen, die Stärke des Rechts gilt nicht, sondern das Recht des Stärkeren. Die Ukraine hält seit zweieinhalb Jahren gegen die zweitstärkste Armee der Welt aus. Wir dürfen ihr nicht in den Rücken fallen.

Sie haben gesagt, es gäbe ein „typisch deutsches, fast schon hysterisches Eskalationsgerede“. Ist es nicht zu einfach, Ängste als irrational zu denunzieren?

Putins Strategie ist es, immer weiter zu eskalieren. Unsere Verantwortung ist es, mit Härte und Diplomatie zu antworten. Da bin ich ganz bei Annalena Baerbock. Russland hält uns für einen Kriegsgegner, ob uns das passt oder nicht. Wir sollten lieber ein starker als ein schwacher Gegner sein und nicht glauben, mit Softpower den Konflikt einfrieren zu können.

Russland ist eine Atommacht. Laut Berichten von US-Geheimdiensten gab es im Herbst 2022 in der russischen Armee ernsthafte Debatten, ob Russland kleine Atomwaffen einsetzen sollte. Ist es hysterisch, die US-Geheimdienste ernstzunehmen?

Hysterie ist fehl am Platz. Die russische Nukleardoktrin besagt, dass Atomwaffen nur bei einer Bedrohung des russischen Kerngebietes eingesetzt werden dürfen. Es gibt eine systematische Kontrolle über Nukleareinsätze wie in den USA. Anders als die USA drohen die Russen aber mit ihren Atomwaffen, darauf springen besonders die Deutschen an. Es geht um Einschüchterung, mehr nicht.

Russland-Experten glauben, dass auch der Atomwaffeneinsatz inzwischen völlig von Putin abhängt. Muss der Westen vorsichtiger, berechenbar auftreten, um hysterische Übersprungshandlungen in Moskau auszuschließen?

Putin ist weder hysterisch noch paranoid, sondern ein kühl kalkulierender Geheimdienststratege.

Woher wissen Sie das?

Das ist meine These, so wie das andere auch Thesen sind.

Und wenn Sie mit Ihrer Einschätzung falsch liegen?

Die russischen Atomwaffen stehen unter militärischer Kontrolle, und es gilt ein Prinzip mit mehreren Schlüsseln. Laut russischer Militärstrategie können aber taktische Nuklearwaffen wie normale Gefechtsfeldwaffen eingesetzt werden. Deshalb haben China und die USA Russland 2022 klar gemacht, dass Moskau bei einem Atomwaffeneinsatz global isoliert würde. Die nukleare Eskalation sehe ich nicht, weil Putin sich damit tief ins eigene Fleisch schneiden würde.

Während Sie sich für eine stärkere Unterstützung der Ukraine engagieren, wird in Ihrer Partei über mögliche Koalitionen in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg mit Wagenknechts BSW diskutiert, das den Besuch des ukrainischen Präsidenten im Bundestag boykottiert hat. Wie passt das zusammen?

Das populistische Agieren des BSW sollte uns alle nachdenklich machen. Es ist ein Bündnis zur Spaltung unserer Gesellschaft und des Westens. Da wünsche ich mir Haltung, Orientierung, einen klaren Kompass. Meine ganz persönliche Auffassung ist, dass es nicht darum gehen kann, um jeden Preis zu regieren. Eine Zusammenarbeit mit dem BSW halte ich persönlich für absolut untragbar und undenkbar. Aber jetzt gilt es erst mal, den Kräften der demokratischen Mitte Zuversicht zu geben, dass es sich lohnt, für die Stärke des Rechts und der Toleranz ebenso wie für eine vernünftige Wehrhaftigkeit zu streiten.

Ihr Fraktionskollege Alexander Dobrindt fordert, Geflüchtete in die Ukraine zurückzuschicken, wenn sie in Deutschland arbeitslos sind. Das BSW sympathisiert mit dieser Idee. Was halten Sie davon?

Das ist ein Beschluss der CSU-Landesgruppe von ihrer Klausur vom Januar in Seeon, der jetzt nach außen getragen worden ist. Ich glaube, dass es hilfreicher ist, sowohl den Menschen hier eine Perspektive zu geben, als auch ihnen den Weg in Arbeit deutlich zu erleichtern, zum Beispiel durch raschere Anerkennung von Berufsabschlüssen.

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21 Kommentare

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  • "Berichten von US-Geheimdiensten gab es im Herbst 2022 in der russischen Armee ernsthafte Debatten, ob Russland kleine Atomwaffen einsetzen sollte."

    Seit diesen Berichten aus dem Herbst 22 hat Biden mehrfach gesagt, dass er nicht bereit ist eine nukleare Eskalation zu riskieren. Anzunehmen, dass Europa eine Ukrainepolitik gegen den Willen der USA betreiben würde halte ich für naiv.



    Es wird auch keine Luftraumverteidigung des Westens aus Polen oder den baltischen Staaten geben. Anders als es Kiesewetter darstellt ist die Lage nämlich völkerrechtlich hochkompliziert bzgl dem Abschuss von Raketen.



    Bzgl Flugzeugen ist sogar eindeutig. Ein Abschuss von russischen Flugzeugen wäre ein Angriff auf Russland und Artikel 5 greift formal nicht bei Angriffskriegen.



    Überhaupt habe ich das Gefühl, dass die Gedanken von Kiesewetter nicht ganz ausgereift sind. Wie kann man in manchen Interviews behaupten, dass Putin das Baltikum angreifen könnte und in anderen, dass er sich das nicht trauen würde!? Diese Art der Logik finde ich bei vielen Bellizisten eigenartig.

    • @Alexander Schulz:

      "Seit diesen Berichten aus dem Herbst 22 hat Biden mehrfach gesagt, dass er nicht bereit ist eine nukleare Eskalation zu riskieren."

      Das hat er nicht. Das Weiße Haus hat lediglich mit "schwerwiegenden Konsequenzen" im Falle eines russischen Einsatzes von Nuklearwaffen gedroht www.tagesschau.de/...biden-usa-101.html

      Abgesehen davon, darauf habe ich ja schon unten meinem Kommentar hingewiesen, ist die Drohung mit der nuklearen Eskalation ein Teil der psychologischen Kriegsführung. Die einzigen, die damit zu sehr durchsichtigen Zwecken herumspielen, ist die russische Führung, ihr Propagandapparat und deren hiesige Gefolgschaft.

    • @Alexander Schulz:

      Wie kann eine Verteidigung ein Angriffskrieg sein? Russland hat doch eindeutig diesen Krieg begonnen.

      Das Spekulieren über Putins Motivation das Baltikum anzugreifen ist auch nur legitim, wenn wir das wieder mal ausschließen und uns nicht vorbereiten, könnten wir wieder böse Überraschungen erleben. Wenn man das Baltikum gut vorbereitet kann man auch mit Fug und Recht annehmen(!) Putin würde sich das nicht trauen. Wir verteidigen uns nur und die Ukraine auch. Hier schreit niemand nach Krieg mit Russland. keine Bellizisten hier, nur in Russland

    • @Alexander Schulz:

      "Wie kann man in manchen Interviews behaupten, dass Putin das Baltikum angreifen könnte und in anderen, dass er sich das nicht trauen würde!?"



      Das liegt ganz simpel daran, ob die NATO glaubhaft machen kann, dass sie das Baltikum verteidigen würde. Wenn nicht, wird Putin zugreifen.



      "Diese Art der Logik finde ich bei vielen Bellizisten eigenartig."



      Diese Logik wird nachvollziehbar, wenn man sich nicht darauf versteift, die Sprechenden ausschließlich als 'Bellizisten' verunglimpfen zu wollen.

      • @Encantado:

        Bellizist ist per se keine Verunglimpfung, genauso wenig wie es Pazifist ist, auch wenn inzwischen vielfach versucht wird es als Beleidigung zu benutzen.



        Und Herr Kiesewetter ist definitiv jemand der die These vertritt, dass es einen militärischen Lösungsansatz geben kann. Auch neigt er dazu Krieg zu verherrlichen und Risiken klein zu reden.



        Man mag Kiesewetters Meinung teilen oder nicht, aber ein Bellizist ist er.

  • Interessant ist auch die Wortwahl "Hysterie", durch die Bezugnahme auf Wagenknecht (und so indirekt - Petition, Demo-Aufruf - auch A. Schwarzer) weiter eingeordnet.

    Die Wikipedia erläutert den Begriff in "Beziehung zu Frauenrechten und Feminismus" so:

    》Über Jahrtausende hinweg zeigte sich, dass die Diagnose Hysterie als medizinische Erklärung für allerhand Symptome genutzt wurde, die Männer an Frauen rätselhaft oder unkontrollierbar fanden.[...]Ein Erklärungsansatz hierfür ist die historische und heutzutage noch anhaltende Vorherrschaft von Männern in der Medizin, die es ermöglichte, dass der Begriff der Hysterie als Synonym für eine vermeintliche Überreaktion von Frauen, stark von Emotionen geleitetes Handeln oder eine vermeintliche mentale Instabilität verwendet wurde.[...]Hierbei diene die Diagnose zum Beispiel der Ausgrenzung von Frauen aus akademischen oder politischen Sphären《

    Dem stellt Kiesewetter einen Putin gegenüber, der "nüchtern und rational kalkuliert"...

    Ein Klassiker: auch über Krieg und Frieden sollen (solche) Frauen nicht mitreden dürfen, da passt - bei aller Feindschaft - kein Blatt zwischen Kiesewetter und den autoritären Kreml-Herrscher: "rational"!

    • @ke1ner:

      Wagenknecht nimmt das Wort selbst ständig in den Mund

  • Das mal grobschlächtige, mal subtile Schüren von Kriegsangst ist systematischer Teil der hybriden russischen Kriegsführung. Es zielt auf eine westeuropäische und insbesondere deutsche Öffentlichkeit, in der die Wagenknechte, Chrupallas e tutti quanti, teils aus Willfährigkeit, teils aus Eigennutz ihr politisches Süpplein damit am Köcheln halten. Das kann man eigentlich nicht oft genug herausstellen, und Kiesewetter spricht hier völlig zu Recht von Hysterie.

    Dagegen offenbart die Frage der Interviewer, ob der Westen nicht vorsichtiger, berechenbarer (!!!) auftreten müsse, einen Grad an, ich kann es nicht anders sagen, Unbedarftheit, der mir geradezu symptomatisch für jene zu sein scheint, die meinen, Putin mit Verhandlungen stoppen zu können. Wenn dieser den Eindruck bekommt, dass letztlich selbst die Beistandsklausel der Nato keinen Pfifferling wert ist (und das wäre dann die fast zwingende Konsequenz der Frage von Beucker/Reinecke), was will man ihm dann bei weiteren Aggressionen noch glaubhaft entgegensetzen?

    • @Thomas Werner:

      Die Rede hielt er nachdem seine Armee auf barbarische Weise Grozny zerstört hat und seine Armee massiv Kriegsverbrechen begangen hat. Das war der gleiche Putin der heute Krankenhäuser bombadieren lässt.

  • Ich stimme Herrn Kiesewetter uneingeschränkt zu

    • @GMS:

      Kann man hier auch. Der Mann spricht hier weitestgehend sogar politisch ungefärbt. Wahlkampfschaum vor dem Mund kann ich da nicht erkennen. Einer der wenigen Politiker, denen es offenbar noch um die Sache geht, und der sich für seine Werte und seine Position gerade macht - auch bei Gegenwind.

  • Die TAZ- Interviewer argumentieren mit der Angst gegen eine konsequente militärische Unterstützung der Ukraine. Wobei konsequent bedeutet, im Rahmen des Völkerrechts. Wer das nun aus Angst nicht will, muss ehrlicherweise sagen, was er von der Ukraine und dem Westen als Opfer für die geforderte Appeasementpolitik verlangt: die Unterwerfung unter eine faschistische Putindiktatur? Millionen von neuen Ukraineflüchtlingen in den Westen? Destabilisierung durch die AFD, BSW, Le Pen, Orban, Trump? Das erscheint mir kein erstrebenswertes Szenario.

  • Das klingt für einen CDU-Politiker erstaunlich vernünftig und sachlich.

    Nicht auszudenken, was ein Merz oder Söder verbrochen hätten.

  • Guter Mann. 100% d'accord.

  • Mich lässt dieser Interview eher ratlos zurück - nicht weil mich Kiesewetters Einlassungen sonderlich überraschen: das ist ein Populist, der mit halbstarker Stammtischrethorik auf Stimmenfang geht und genau weiss, dass niemand seine Forderungen umsetzen wird. Besorgniserregend ist aber, dass mittlerweile auch liberale Kreise auf diesen Dr. Seltsam hereinfallen. Insofern ist er vielleicht ein Symptom für die politische und moralische Verwahrlosung unserer Zeit - für einen Fanatismus, der das Nachdenken aufgegeben hat und stattdessen seinen Hass laut rausplärrt. Und sich dabei stets auf der Seite des Guten wähnt. Das ist wirklich gefährlich, gerade in einer Zeit großer Umbrüche.

    • @O.F.:

      Man muss die Ausführungen von Kiesewetter ja nicht teilen. Aber ihn als "Populisten" abzuqualifizieren, andererseits aber, wie Sie das hier ja regelmäßig tun, ausgerechnet Sarah Wagenknecht als Ausbund an Ratio schönfärben zu wollen: Da sollten Sie vielleicht mal dringend Ihre eigenen Maßstäbe neu justieren. Anders als die systematische Panikschürerin SW besitzt Kiesewetter überdies auch militärischen Sachverstand.

      • @Schalamow:

        Ich habe SW nirgendwo als “Ausbund der ratio“ beschrieben (vielleicht verzichten wir auf Erfundenes?), sondern lediglich unsachliche Kritik an ihr zurückgewiesen. Aber davon abgesehen: On Kiesewetter aus seiner Zeit beim Bund über militärischen Sachverstand verfügt, weiß ich nicht; in seinen öffentlichen Äußerungen setzt er aber vor allem auf markige Sprüche, unter gleichzeitiger Ausblendung realer Risiken (das Interview oben illustriert das ja in haarsträubender Weise). Ein Politiker, der aus der zweiten Reihe die Stammtische bedient, sicher im Bewusstsein, damit keinen Einfluss auf reale Entscheidungsprozesse zu haben, hat sich den Titel „Populist“ reichlich verdient.

        • @O.F.:

          Ich hatte Ihre diesbezüglichen Kommentare nochmals nachgelesen, um Ihnen nichts Falsches zu unterstellen und um sicherzugehen, dass mich meine Erinnerung nicht trügt. "Ausbund der Ratio" ist meine (pointierte) Formulierung (die ich deshalb auch nicht als Zitat gekennzeichnet hatte), und an dieser Einschätzung halte ich weiterhin fest. Wagenknecht ist in hohem Maße unseriös und wenn jemand populistisch ist, dann sie. Ganz davon abgesehen: Ausgerechnet mit der Position, die Kiesewetter vertritt, die Stammtische erobern zu wollen: wo haben Sie denn das beobachtet? Auch hier ist es doch eher SW, die eine dumpfe "Ohne-Mich"-Haltung und den weitverbreiteten Antiamerikanismus bedient.

          Was Kiesewetters militärische Qualifikation angeht: Er hat an der Führungsakademie der BW den Generalstabslehrgang Heer abgeschlossen. Als einer von 13 dieses Jahrgangs. Kann man bei Wiki nachlesen.

  • Krass. Er ruft also seine unbewiesenen Thesen als Wahrheiten in den Raum und beruft sich auf Afghanistan, was damals wie heute eine Vollkatastrophe ist bzw. war. Und warum Bomben auf Moskau keine Eskalation sein sollen werde ich nie verstehen. Aber nicht vergessen. Der Putin ist außer Rand und Band, das sehe ich schon auch. Aber Bomben auf Moskau als Lösung? Das erinnert an den Sandkasten früher….

    • @Christian Ziems:

      Uns bleibt doch gar nichts anderes übrig als Putin Rationalität zu unterstellen. Wäre er einfach nur durchgedreht ist es sowieso egal, was wir tun. Also muss man von einem rationalen Gegenüber ausgehen. Und da Appeasement bis 2022 nichts gebracht hat, und auch seit dem nichts an Russlands verhalten geändert hat kann man schon argumentieren anders zu agieren. Vor allem, wenn man selber noch vielfältig Geschäfte mit Russland macht und die russische Wirtschaft sowie deren gesellschaftliche Lage kriegsstabil ist.