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Baerbock will nicht mehr antretenJede Zeit hat ihre Aufgabe

Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf eine erneute Kanzlerinnenkandidatur – wegen aktueller Aufgaben. Grüne Spitze lobt sie als Teamplayerin.

Annalena Baerbock weist Robert Habeck den Weg zu einem Stuhl, an dem aber noch Olaf Scholz hängt. Foto aus dem Jahr 2023 Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Washington taz | Beim einen warten alle darauf, dass er endlich den Verzicht auf seine Kandidatur erklärt, bei der anderen kommt die Erklärung eher überraschend. Während des Nato-Gipfels in Washington am Mittwoch gab die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bekannt, nicht als Kanzlerkandidatin für die Grünen zur Verfügung zu stehen. Überraschend war weniger der Verzicht an sich, sondern Ort und Zeitpunkt, den Baerbock wählte.

Baerbock legte ihre Zukunftspläne nicht etwa in der Parteizentrale der Grünen in Berlin-Mitte offen, sondern nutzte die Weltbühne und ein Interview mit CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour am Mittwochvormittag. Im Medienzentrum am Tagungsort fragte Amanpour die deutsche Außenministerin unter anderem nach der Schwäche der Grünen, den Wahlerfolgen der AfD bei jungen Leuten und wie sie, Frau Baerbock, diese für die Demokratie begeistern wolle. Und ob sie selbst darüber nachdenke, als Kanzlerkandidatin anzutreten?

„Um zum zweiten Teil ihrer Frage zu kommen“, antwortete Baerbock. „Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als bei der letzten Bundestagswahl. Angesichts der russischen Aggression und der dramatischen Situation im Nahen Osten braucht es mehr und nicht weniger Diplomatie. In diesen Zeiten der Krise glaube ich, dass es die staatspolitische Verantwortung gebietet, nicht als Kanzlerkandidatin gebunden zu sein, sondern all meine Energie als Außenministerin darauf zu verwenden, Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu schaffen.“ Viele Partner in der Welt und in Europa vertrauten darauf.

Welt braucht Baerbock dringender als die Grünen

Die Welt braucht Annalena Baerbock also derzeit dringender als die Grünen. Wobei Baerbock betonte: „Im Wahlkampf werde ich natürlich alles tun, um meine Partei zu unterstützen, wie schon in der Vergangenheit.“ – „Verstehe. Sie sagen ja, aber nicht jetzt“, fasste Amanpour zusammen. „Jede Zeit hat ihre Aufgaben“, parierte Baerbock lachend.

Baerbock war 2021 Kanzlerkandidatin der Grünen, setzte sich damals innerparteilich gegen Robert Habeck durch. Die Sympathie für die Grünen im Vorfeld, die in Umfragen bei über 20 Prozent lagen, trug allerdings nicht bis zum Wahltag, was auch an Fehlern Baerbocks im Wahlkampf lag. Die Grünen erreichten bei der Bundestagswahl 14,8 Prozent, mittlerweile sind sie in Umfragen auf 11 Prozent abgerutscht. Es stellt sich also die Frage, ob die Partei überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollte oder sich mit einem Spitzenkandidaten begnügen sollte. Eigentlich sollte die Basis diesen per Urwahl im Herbst bestimmen.

Statement vor der Urwahl

Am Donnerstagmittag Washingtoner Zeit äußerte sich Baerbock gegenüber deutschen Medien. Sie habe den Ort und den Zeitpunkt des Natogipfels gewählt, „weil ich hier von vielen immer wieder gefragt werde, welche Priorität hat die Außenpolitik in dieser Vorwahlkampfzeit.“ Deshalb habe sie deutlich gemacht, „dass für die Außenministerin Kooperation mit unseren engsten Partnern absolute Priorität hat.“

Das Wichtigste in diesen stürmischen Zeiten seien Vertrauen, Sicherheit und Verlässlichkeit. Zudem verwies sie auf die vielen Reisen, die sie als Außenministerin unternehmen müsse. „Das ist als Außenministerin noch mal eine andere Rolle, wenn man ständig in der Welt unterwegs ist“, sagte Baerbock. Den Zeitpunkt begründete sie mit Verweis auf die Planung der Grünen, die vorsah, den oder die Kanzlerkandidatin im Herbst per Urwahl zu küren.

Habeck steht nun vorne

Doch alles läuft nun auf Robert Habeck zu. Den Wirtschaftsminister, der derzeit auf Sommerreise ist, schien die Ankündigung Baerbock kalt erwischt zu haben. „Dass sie in den USA Statements gibt, zeigt, wie tief sie in der Außenpolitik verankert ist“, antwortete Habeck auf die Frage eines Journalisten, wie er die Erklärung bewerte. Alles andere werde man in den Gremien besprechen.

Auf die Frage, ob sie nun Robert Habeck als Kanzlerkandidaten unterstützen werde, wich Baerbock gegenüber deutschen Medien aus. „Teamplay ist in diesen Zeiten wichtig“. Das habe Habeck ebenfalls deutlich gemacht. „Im Sinne dieses Teamplays werden wir jetzt alle Schritte in den Gremien klären“, sagte Baerbock.

Das Führungsquartett der Grünen bemühte sich den äußeren Eindruck zu glätten. Die beiden Fraktionsvorsitzenden, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, erklärten jeweils auf X, es sei verantwortungsvoll, dass Baerbock sich in dieser Zeit auf die Außenpolitik konzentriere. Sie lobten Baerbock zudem für ihr „Teamplay“. „Gut so, für unser Land und für uns Grüne“, schrieb Haßelmann.

Ähnlich äußerten sich die Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang: „So ist Annalena Baerbock, und so schätzen wir sie: mit Verantwortung für das Ganze und als Teamspielerin.“ Dank Baerbock sei Deutschland ein verlässlicher Partner in der Welt. „Gerade jetzt braucht Deutschland eine engagierte Außenministerin wie Annalena Baerbock.“ Und auch von ihnen hieß es: „Alles Weitere entscheiden wir zum gegebenen Zeitpunkt.“

„Mit Verve in den Wahlkampf reinhängen“

Nach Informationen der dpa verschickte Baerbock noch eine Mail an ihre Fraktion, in der sie versprach: „Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten. Ohne Frage werde ich mich natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines starken grünen Teams.“

Um sich dann wieder ihren Aufgaben als Außenministerin zu widmen. In Washington stand am Mittwochnachmittag ein Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken auf dem Programm. Der lobte zum Auftakt die gute Partnerschaft. Baerbock gab das Kompliment zurück, bezeichnete Blinken als Freund und versprach: „Wir freuen uns auf eine gemeinsame Zukunft.“

Über die Zukunft beider Au­ßen­mi­nis­te­r:in­nen werden die Wäh­le­r:in­nen entscheiden, in den USA bereits im November. Das alles überwölbende Thema des Gipfels ist, ob der alternde US-Präsident Joe Biden weitermacht oder den Verzicht auf seine Kandidatur erklärt. Während des Nato-Gipfels äußerte sich Biden bislang nicht dazu.

Abschreckung in Grün

Bei der Stationierung von Langstreckenraketen erwartet Baerbock keinen Aufstand in den Reihen der Grünen. Vor zwei Jahren habe man noch gemeinsam mit Russland darüber gesprochen, wie man durch Abrüstung mehr Sicherheit für alle schafft. Dann habe Russland die Ukraine überfallen.

„Man darf in solchen Zeiten nicht an der Vergangenheit festhalten, denn das wäre verantwortungslos. Wir müssen uns in Zukunft wieder anders schützen“, sagte Baerbock gegenüber deutschen Medienschaffenden. Sie hätte sich nie vorstellen können als Grüne Außenministerin so oft das Wort „Abschreckung“ in den Mund zu nehmen. „Aber wenn die Weltlage so ist, dann ist das unsere Aufgabe.“

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12 Kommentare

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  • Die Argumentation war undiplomatisch und angepampt. Eben(d), weil sie Habeck noch einen vor die Zehen geben sollte. Der ist deutlich unersetzlicher als Minister (um das Wort mal zu steigern), als Baerbock es ist.

    Baerbock hat Wissen und Fleiß in ein Amt gebracht, in dem schon Westerwelle und Rösler dilettierten. Irgendwann hat sie sogar erkannt, dass Völkerrecht und Menschenrecht auch für Palästinenser gilt, so scheint es zumindest.

    Aber sie war immer eine Partei-Frau, die kaum außerhalb dieser durchdrang. Dagegen war Habeck die Sendung mit der Maus.



    Klar, wer das Kanzleramt hätte erobern können, als die Gegen-Lobby der Fossilis damals noch nicht formiert war.

    Nehmen wir an, dass Menschen die Kosten der Klimaerhitzung tatsächlich begreifen und einbeziehen, dann haben die Grünen so lange die Chance aufs Kanzleramt, bis die anderen Parteien da konkurrenzfähig wären, was bis auf die Linken keine der großen Parteien auch nur ernsthaft versucht hat.

    Baerbock wird eine ganz passable Außenministerin gewesen sein. Aber Kanzlerin haken wir mal ab. Parteichefin wäre es wohl am besten gewesen, um von dort dem Kabinett Power zu geben.

  • Auf eines ist auf jeden Fall Verlass, und zwar auf das Ego von Frau Baerbock, sogar beim Verzicht auf die Kanzlerinnenkandidatur… Als ob Deutschlands Führungsanspruch irgendwo ernst genommen würde, mit unsere viertklassigen Armee, von den fehlenden Atomwaffen ganz zu schweigen. Warum können wir einfach nicht ganz aus uns selbst heraus, ohne Aufpasser wie die Alliierten, bescheiden und leise sein?

  • Ja. Wir brauchen einen Kanzlerkandidaten Robert Habeck.

    Bitte erzählt das dem Aiwanger Hubsi nicht. Der bekommt sonst Schaum vor den Mund und schreibt wieder Propaganda für die Aktentasche seines Bruders..

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Es ist nachgerade lächerlich das die Parteivorsitzenden der „Grünen“ überhaupt noch darüber nachdenken, für das Amt zu kandidieren.



    Auch wenn die Parteiführung es nicht wahrhaben will: viele Klima-, Umwelt- und Friedensaktivisten halten die Grünen nicht mehr für einen Teil der Lösung sondern einen Teil des Problems.



    Und werden keine weiteren Jahre sinnlosen Zuwartens auf die Einhaltung gegebener und dann doch gebrochener Wahlversprechen akzeptieren.



    Das lässt die knapper werdende Zeit angesichts des voranschreitenden Klimawandels einfach nicht mehr zu.

  • Eine äusserst realitätsnahe Entscheidung unserer Aussenministerin.

  • Frau Bearbock ist dann ja doch nicht so verteilt, wie ich gedacht hatte. Sie hat erkannt: Mehr als Außenministerin ist im Moment nicht drin.



    Dann etwas Zeit verstreichen lassen. Ein Parteieechsel vielleicht, mal schauen woher der Wind weht..Die Frau ist ja noch jung.



    Zur nächsten BTW mit einem Kanzlerkandidaten halte ich für die Grünen für zu Grossmäulig. Wer soll uns denn wählen und warum nach dieser peinlichen Ampelnummer? Hier braucht es ersteinmal eine klare Richtung für Klima und Natur auch gegen traditionelle Wachstumswirtschaft. Degrowth offensiv vertreten!

  • Nächstes Jahr nach der Wahl sind die Grünen Geschichte

  • Naja, die Grünen hätten damals mit Habeck auch gegen die Front aus Bild und anderen Zahlfedern wohl mehr geholt. Das grundsätzlich richtige Zeichen für Frauenchancen war nach Merkels 16 Jahren nicht mehr nötig.

    Baerbock macht leider den empfindsamen Fehler, Habeck indirekt einen reinzuwürgen. Muss ich's auflösen? Das Rückzugsargument ließe sich ja auch auf den anwenden.

    Gleichwohl werden die Grünen so lange eine solide Position haben, wie andere Parteien teils komplett unmusikalisch für Nachhaltigkeit, Umwelt, Klima wie Soziales, gleiche Rechte, ... sind.



    (Ich verstehe nicht, warum Merz, der dies als "Konservativer" könnte, nicht die Grünen mit einer handfesteren Umweltpolitik als das Original attackiert und stattdessen die Union in die Zukunftslosigkeit begleiten möchte. Mit wem will er regieren, wofür, ...)

    Zurück zu Baerbock: Sie ist die erste im Amt, die internationales Recht auch mal studiert hat, wohl die erste, die von Tag 1 Englisch konnte. Ich hätte mir da gewünscht, dass sie mindestens Französisch auch noch beherrschen würde, doch seien wir realistisch. Sie war aber immer eine Parteienfrau, die als solche auch jahrelang aufgebaut worden war.

  • Objektiv betrachtet rechtfertigen die Umfragenwerte der Grünen, aber auch der SPD, keine Nominierung für eine Kandidatur als Bundeskanzler. Wenn noch etwas Zeit ins Land geht, wird wohl eher noch eine Kandidatur des BSW in Frage kommen.

    Sorry liebe Grüne und alte Tante SPD, die fetten Jahre sind vorbei. Wird Zeit im hier und jetzt anzukommen.

  • "Wegen der Weltlage"

    Es ist richtig und wichtig, dass Frau Baerbock einen Verzicht erklärt. Nur bedauerlicherweise passt die Aussage "Wegen der Weltlage" so wirklich nicht ins Bild.

    Die Grünen haben keine Chance auf eine Kanzlerschaft und Frau Baerbock setzt alles auf eine Fortsetzung ihres Amtes und einer erhofften Koalition aus schwarz/grün.

    Das ist für sie tatsächlich die derzeit beste Option. Höchst fraglich ist allerdings, ob dies auch für den Rest der Republik gilt.

  • Gut. Aber auch Außenministerin wird sie nicht weiter sein. Dazu müssten sie erst mal gewählt werden. Danach sieht es heute nicht aus. Und ehrlich, schlimmer als jetzt, kann es nicht werden.

  • Ich weiß nicht ob ich ihr das glauben mag. Da die Grünen eh keine realistische Chance aufs Kanzleramt haben, kann man sich das auch schenken.

    Aus meiner Sicht hätte man dies auch so formulieren können, natürlich rhetorisch geschickter als ich.

    Die aktuelle Weltlage bzw. Ihre Aufgaben als Außenministerin als Grund zu äußern... wirkt auf mich wenig glaubhaft.