Regierungskrise der Ampel: Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Nach dem Wirtschaftspapier der FDP muss die Regierung ein paar Fragen klären. Scholz hat Lindner und Habeck einbestellt. Nagelprobe wird der Haushalt.
Aber liegt das noch in der Hand der SPD? Seit Freitag hat man den Eindruck, Finanzminister Christian Lindner hat sich zum Schicksalsgott (manche meinen -dämon) der Ampel aufgeschwungen. In einem 18-seitigen Papier unter der Überschrift „Wirtschaftswende Deutschland“ stellt er grundlegende Vereinbarungen der Koalition in Frage. So fordert er, die Klimaziele teilweise aufzugeben und wichtige Instrumente, etwa den Klima- und Transformationsfonds, zu streichen. Um die Wirtschaft anzukurbeln, schlägt der Finanzminister umfangreiche Steuersenkungen für Unternehmen vor, setzt auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und bläst zum Angriff auf sozialdemokratische Herzensprojekte wie das Tariftreuegesetz.
So weit so altbekanntes FDP-Gedankengut. Doch trägt das Schreiben eben nicht den Stempel der FDP-Parteizentrale, sondern den Briefkopf des Bundesfinanzministeriums. Die Opposition sieht in dem Papier „die Scheidungsurkunde der Ampel“, der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag.
Genau diese will die SPD um jeden Preis vermeiden. Am Sonntagabend speiste Bundeskanzler Olaf Scholz mit Lindner im Kanzleramt zu Abend, nachdem er zuvor die Spitzen der SPD zum Krisengespräch empfangen hatte. Nach draußen drang nicht viel, ein Video aufgenommen mit einem Teleobjektiv zeigt, wie sich beide in Scholz’ Büro gegenüber sitzen – Lindner gestikuliert, Scholz hört zu.
SPD will weitermachen, Grüne auch
Scholz’ Sprecher Steffen Hebestreit erklärte am Montag, es werde in den nächsten Tagen mehrere Treffen zu dritt geben, neben Scholz und Lindner ist Vizekanzler Robert Habeck dabei. Nach Informationen der taz treffen sie sich jeweils am Montag, Dienstag und Mittwoch zu Dreiergesprächen, bevor am Mittwochabend der 17-köpfige Koalitionsausschuss zusammentritt. Kommt es dort zum Schwur?
SPD-Chefin Saskia Esken bemühte sich am Montag, Verlässlichkeit auszustrahlen. Der Koalitionsausschuss sei ein ganz normaler, auch wenn wichtige Entscheidungen anstünden. „Es geht jetzt nicht um einen Showdown.“ Man müsse gemeinsam überlegen ob man die Kraft aufbringe, weiter Verantwortung zu übernehmen. So viel könne sie versprechen: „Wir stehen bereit.“
Auch die Grünen zeigen wenig Neigung, die Ampel zu verlassen. Der scheidende Grünen Vorsitzender Omid Nouripour versuchte am Montag zu deeskalieren. „Wir wollen den Bruch nicht und gehen davon aus, dass die anderen auch vertragstreu sind.“
FDP-Generalsekretär weicht Frage nach „Ausstieg“ aus
Bleibt also die Frage, was die Freien Demokraten planen. Das Wort „Ausstieg“ vermied Christian Lindner am Sonntagabend im Interview mit dem ZDF, seine Vorschläge lägen auf dem Tisch, nun seien die anderen dran. „Wir werden die Situation klären“.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sieht ebenfalls Grüne und SPD am Zug, bezeichnete Lindners Papier als „ehrliches Angebot“. Mehrfach wich der Generalsekretär der Frage aus, ob die Liberalen auch bereit wären, die Bundesregierung zu verlassen, sollte über die von Lindner vorgeschlagene Kehrtwende in der Klima- und Sozialpolitik keine Einigung erzielt werden. Lindner habe konkrete und durchgerechnete Vorschläge gemacht, wie man den Haushalt beschließen und das Wachstum anschieben könne. „Wir wollen jetzt wissen, was der zuständige Wirtschaftsminister vorschlägt.“
Der hatte allerdings bereits in der Vorwoche ein eigenes Papier für Wirtschaftspolitik vorgelegt, das allerdings in eine ganz andere Richtung ging und statt Kürzungen größere Ausgaben vorsieht. Am Montagnachmittag ging Habeck dann aber einen Schritt auf den Finanzminister zu, indem er die Intel-Milliarden aus dem Klimafonds zur Haushaltskonsolidierung freigab. Er appellierte an die Koalitionspartner, sich jetzt auf den Haushalt und die Umsetzung der bereits beschlossenen Wachstumsinitiative zu konzentrieren. „Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert.“
Die SPD-Vorsitzende sieht allerdings wenig Verhandlungsspielräume. Sie habe in dem 18-seitigen Papier keinen Vorschlag gefunden, „der geeignet wäre, in dieser sozialdemokratisch geführten Regierung umgesetzt zu werden“, so Esken. Das gilt auch für den Solidaritätsbeitrag, obwohl der eh zur Disposition steht. FDP-Abgeordnete klagen gegen die Extra-Abgabe, die nur noch Besserverdienende und Unternehmen zahlen müssen, das Bundesverfassungsgericht will in der kommenden Woche eine Vorentscheidung treffen.
Möglichkeit der Minderheitsregierung
Wie es weitergeht, entscheidet sich in den nächsten Tagen. Rudert Lindner zurück? Oder lässt er die Koalition platzen, beziehungsweise setzt darauf, dass Scholz ihn und die FDP-Minister:innen rausschmeißt? Für diesen Fall könnten SPD und Grüne auch in einer Minderheitsregierung weitermachen und auf Verordnungsbasis regieren. Fraglich ist, ob sie das politisch durchhalten, denn die Union wird kaum geneigt sein, Zugeständnisse zu machen, sondern auf Neuwahlen pochen.
Für ein konstruktives Misstrauensvotum, also der Abberufung des Bundeskanzlers und der Einsetzung des eigenen Kandidaten Friedrich Merz fehlt ihr im derzeitigen Parlament die Mehrheit. Scholz selbst müsste also den Weg frei machen, in dem er die Vertrauensfrage stellt. Erst wenn er diese verliert, kann der Bundespräsident auf seinen Vorschlag hin den Bundestag binnen 21 Tagen auflösen. Nach erfolgter Auflösung blieben 60 Tage für Neuwahlen. Rein rechnerisch vergehen also locker drei Monate, bis ein neuer Bundestag zusammentritt, dann dürften noch mal ein paar Monate für Koalitionsverhandlungen bis zur Regierungsbildung folgen.
Ob es überhaupt so weit kommt, wird sich auch an einem anderen Termin in diesem Monat entscheiden. Am 14. November treffen sich die Haushälter:innen der Ampel zu ihrer Bereinigungssitzung. Falls sie es nicht schaffen, das Milliardenloch, das im Regierungsentwurf klafft, zu stopfen, dürfte das Ende der Ampel besiegelt sein. Das ist nach dem Zugeständnis des Wirtschaftsministers eher unwahrscheinlich, zudem denken Haushälter:innen pragmatisch. Das Ende der Ampel wird also eine rein politische Entscheidung.
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