Rechtsextreme bei Polizei und Bundeswehr: Weit mehr als Einzelfälle
Ein Lagebericht zeigt: In den Sicherheitsbehörden gibt es mehr als 300 Rechtsextremisten. Erstmals werden auch „private“ Netzwerke benannt.
Demnach sind innerhalb von drei Jahren 327 Mitarbeiter:innen in den Sicherheitsbehörden aufgefallen, die nachweislich Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter haben. 138 Fälle davon stammen aus den Bundesbehörden, 189 Fälle aus denen der Länder. Betrachtet wurde der Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2021.
„Wird die Integrität der Sicherheitsbehörden von innen heraus beschädigt, ist das besonders gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie“, sagte Faeser. Von Rechtsextremist:innen in den Sicherheitsbehörden gehe ein hohes Gefahrenpotential aus. Sie versprach: „Wir werden Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen.“ Bis Jahresende wolle sie dafür einen Entwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen.
Erstmals ist in dem Bericht, der jetzt zum zweiten Mal erschienen ist, auch von Netzwerken die Rede. „Das sind keine Einzelfälle“, sagte Faeser, betonte aber auch, dass es sich meistens um private Netzwerke und keine innerhalb der Sicherheitsbehörden handele. Von den 327 Mitarbeiter:innen haben laut Bericht mehr als zwei Drittel Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken gehabt, durchschnittlich geht um mehr als acht Verbindungen.
Auch Kontakte zur NPD und Identitären Bewegung bestehen
Zu diesen Kontakten zählen persönliche Bekanntschaften, aber auch die Teilnahme an Demonstrationen und Musikveranstaltungen, Mitgliedschaften in Chatgruppen und Organisationen wie der Identitären Bewegung, der NPD und der „Jungen Alternative“, die Jugendorganisation der AfD. Um die AfD als Gesamtpartei geht es nicht, weil diese im Untersuchungszeitraum noch nicht als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft war.
Festgestellt wurden auch Kontakte zu neurechten Vordenkern und Ideologen wie Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik, dem Herausgeber des rechtsextremen Compact Magazins Jürgen Elsässer oder dem Kopf der “Identitären Bewegung„ im deutschsprachigen Raum, Martin Sellner. „Erschreckend“ sei das, sagte Haldenwang.
Eine ganze Seite ist im Bericht dem Hannibal-Netzwerk gewidmet, zu dem die taz seit November 2018 recherchiert. Lange haben die Sicherheitsbehörden die Existenz eines Netzwerkes geleugnet, in dem sich unter anderem Spezialkräfte aus Bundeswehr und Polizei in Vorbereitung auf einen „Tag X“ zusammengeschlossen haben. Kopf dieser Preppergruppen war der damalige KSK-Soldat André S. alias Hannibal, Mitglied war auch der rechtsextreme Bundeswehroffizier Franco A., der wegen Terrorvorwürfen in Frankfurt vor Gericht steht.
Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat sich seit Ende 2018 intensiv mit dem Sachverhalt beschäftigt und bemängelt, dass es unter den Sicherheitsbehörden keine einheitliche Netzwerk-Definition gebe. Der Begriff „Prepper“ taucht in dem Lagebericht gar nicht auf.
Verfassungsschutzchef Haldenwang betonte am Freitag, dass man keine Anhaltspunkte auf Bundesländer übergreifende Netzwerke innerhalb der Sicherheitsbehörden entdeckt habe. Allerdings ist eine relevante Person im Hannibal-Netzwerk Frank T., der Betreiber eines Schießplatzes in Mecklenburg-Vorpommern, auf dem regelmäßig Spezialeinheiten aus ganz Deutschland trainierten.
Mitglieder der rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz gelangten dort nicht nur an Behördenmunition, sondern auch an „Insiderwissen etwa zu taktischen Verfahren der dort trainierenden Einsatzeinheiten“, wie es im Bericht heißt. Der Betreiber Frank T., der dem damaligen Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern eine Pistole geschenkt hatte, wird im Bericht als „bekannter Rechtsextremist“ bezeichnet. Er ist inzwischen angeklagt.
Kritik von Links
Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion und Rechtsextremismusexpertin, kritisierte denn auch, der Lagebericht liege „fern ab des wirklichen Ausmaßes“. Offen bleibe, inwieweit die nun erkannten Rechtsextremisten in den Behörden ihre Ressourcen und Verbindungen ihren Kameraden außerhalb zur Verfügung gestellt hätten. „Wir sehen also bisher einige lose Enden der Netzwerke“, so Renner. „Es ist notwendig, nun umso konsequenter und härter gegen die Netzwerke der extremen Rechten außerhalb und innerhalb von Behörden vorzugehen.“
Insgesamt sind in dem Lagebericht die Aktivitäten von insgesamt 860 Bediensteten betrachtet worden. 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen wurden eingeleitet. In 38 Prozent der bewerteten Fälle lagen die Voraussetzungen für eine weitere nachrichtendienstliche Bearbeitung vor. Aus den Bundesbehörden wurden drei Mitarbeiter entlassen oder nicht in das Beamtenverhältnis ernannt. Aus den Landesbehörden mussten 57 Bedienstete gehen.
Die meisten Fälle, in denen ein Rechtsextremismusverdacht vorlag oder sich bereits bestätigt hat, meldeten Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Berücksichtigt man aber die Größe der Sicherheitsbehörden in den Ländern, liegen die beiden östlichen Bundesländern klar vorn. Auf Bundesebene finden sich die meisten Fälle in der Bundeswehr, es folgen Bundespolizei und Zoll.
Im Vergleich zum ersten Bericht, der vor anderthalb Jahren noch von Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) vorgestellt wurde, seien die Anzahl der erwiesenen Fälle „deutlich, fast möchte ich sagen dramatisch gestiegen“, so Haldenwang. Das aber liege wohl eher nicht daran, dass es inzwischen mehr Rechtsextreme in den Sicherheitsbehörden gebe. Anders als im ersten Bericht seien nun auch die Fälle aus der Bundeswehr erfasst worden, betonte der Verfassungsschutzchef, außerdem würden Reichsbürger und Selbstverwalter nun miterfasst. Hinzu komme ein größere Sensibilisierung innerhalb der Behörden.
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