Rechtliche Anerkennung von trans Eltern: Willkommen zurück in den 80ern
Die Geburtsurkunde hält Mama fest, auch wenn die gebärende Person ein Papa ist. In der Konsequenz werden Betroffene häufig zwangsweise geoutet.
D as Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist ernüchternd: Es hält fest, dass ein trans Vater in der Geburtsurkunde seines Kindes als Mutter aufgeführt und eine trans Mutter als Vater eingetragen wird. Zehn Jahre lang hatte ein trans Vater, der wegen Hetze im Netz wie im echten Leben anonym bleiben möchte, auf das Urteil gewartet und ist nun verständlicherweise sehr enttäuscht.
Dass Minderheiten noch immer selbst für ihre Rechte kämpfen müssen, ist eine Ungerechtigkeit. Bitter, wenn die Anstrengungen dann auch noch im Sand verlaufen. Das Urteil ist für den Vater entwürdigend. Zudem verschafft ihm die Rechtslage auch ganz praktisch zahllose Hindernisse in seinem Alltag. So kommt, wenn der alleinerziehende Vater einen Kitagutschein beantragt, umgehend die Frage nach der Mutter des Kindes auf. Ebenso ist er in der Geburtsurkunde als Mutter notiert und muss sich damit unfreiwillig outen.
Das ist noch die harmlosere Form des Zwangsoutings. Wechselt er den Arbeitgeber und muss für die Lohnabrechnung die Geburtsurkunde seines Kindes vorlegen, ist er im Job geoutet, bevor die Arbeit richtig beginnt. Queere Menschen sollten selbst entscheiden, ob, wann und wie sie sich outen. In Zeiten, in denen die Rechte von queeren Menschen weltweit immer weiter eingeschränkt werden, ist das Urteil ein fatales Signal.
Umsonst war die Anstrengung allerdings nicht: Der EGMR überlässt es der deutschen Rechtsprechung, inwiefern nachjustiert wird. Dabei hat die Bundesregierung hinsichtlich des Abstammungsrechts längst Flagge bekannt: Sie will das Abstammungsrecht reformieren. Frühestens Ende des Jahres soll dazu ein Gesetzentwurf vorliegen. Um bis dahin Zwangsoutings mittels Geburtsurkunde zu verhindern, soll es eine Zwischenlösung im Selbstbestimmungsgesetz geben.
Die Bundesregierung sollte sich beeilen. Denn der trans Vater und viele andere trans, inter und nichtbinäre Eltern warten schon lange genug. Als er das erste Mal klagte, war sein Kind noch ein Baby. Inzwischen ist es zehn Jahre alt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles