Gesetz zur Selbstbestimmung: Worauf wartet ihr?

Das Selbstbestimmungsgesetz soll den Alltag von trans Menschen erleichtern. Je mehr es sich verzögert, desto wilder wuchern Gerüchte und Gewalt.

Ein Pass mit Symbolen verschiedener Geschlechtlichkeit

Illustration: Katja Gendikova

Wenn alles gesagt wurde, bleibt nur noch das Warten. So ist es auch beim Selbstbestimmungsgesetz, das die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hat, um das diskriminierende und in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) zu ersetzen. Für Betroffene drängt aber die Zeit. Unter trans Personen wächst die Ungeduld und leider auch wieder vermehrt die Sorge. Wir wissen schlicht nicht: Was kommt da auf uns zu und vor allem: Wann?

Ich bin nichtbinär trans und bin es gewohnt, innerhalb eines Spektrums zu oszillieren. Ich spiele gerne mit Geschlechterklischees und erweitere meine und die Perspektiven anderer Menschen dadurch. Nicht ganz freiwillig springe ich jedoch auch gefühlsmäßig umher: zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Freude und Furcht. Allein in den letzten zwei Jahren war es eine wilde Reise, mit vielen Tiefen und leider wenigen Höhen.

Als am 19. Mai 2021 zwei Entwürfe der damals noch oppositionellen Fraktionen von FDP und Grünen im Bundestag für ein Selbstbestimmungsgesetz beraten wurden, war ich kurz – sehr kurz – voller Hoffnung. Sie wurden abgelehnt und nur zu bald schlug meine Hoffnung in Enttäuschung, Wut und auch Angst um. Denn wann immer es um Themen wie LGBTQIA-Rechte geht, müssen Betroffene mit einer wahren Flutwelle an Hass und leider auch Gewalt rechnen.

Hoffnung auf Gutachten ohne Demütigung

Umso größer die Freude also, als am 30. Juni 2022 die Eckpunkte eines Selbstbestimmungsgesetzes vorgestellt wurden, das die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat. Man konnte hoffen, dass es bald möglich sein würde, ohne externe Validierung, ohne demütigende Gutachten, Namen und Personenstand zu ändern. Darum und eigentlich auch nur darum dreht sich ja das Gesetz: um die Beschleunigung bestehender Verfahren. Darüber hinaus soll dieses Verfahren leichter zugänglich sein für Minderjährige.

Im Selbstbestimmungsgesetz wird es nicht um medizinische Maßnahmen gehen, weder für Erwachsene noch für Minderjährige. Ebenso wenig werden Abstammungsrechte für queere Eltern geregelt oder Entschädigungszahlungen für vergangenes Unrecht, etwa verfassungswidrige Zwangssterilisierung oder Zwangsscheidung, wie sie vor 2011 noch Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrags waren.

Das Selbstbestimmungsgesetz ist somit eigentlich der kleinste und unkomplizierteste Teil der Vorhaben, die von der Ampel in diesem Themenfeld angedacht sind. Doch bereits daran entzündete sich eine Debatte, in der von transfeindlichen Ak­teu­r*in­nen, etwa aus der radikalfeministischen Ecke, nicht weniger als der Untergang der Gesellschaft heraufbeschworen wurde. Kinder seien in Gefahr und die Kategorie Frau drohe sich aufzulösen, werde gar abgeschafft. Die „Argumente“, mit denen diese moralische Panik geschürt wird, sind inzwischen an vielen Stellen widerlegt und spiegeln sich auch in keiner Weise in jenen Ländern wider, die bereits ein ähnliches Gesetz eingeführt haben. Umso ärgerlicher, dass wir in Deutschland die endlose Wiederholung dieser Scheindebatten ertragen müssen, während wir darauf warten, endlich einen simplen Gang zum Amt machen zu können.

Die Ungeduld von Betroffenen wandelte sich langsam in Sorge und Enttäuschung, als das Jahr 2022 sich dem Ende zuneigte und immer noch keine Nachricht vom Fortschritt des Selbstbestimmungsgesetzes kam. Die Meldung, dass es noch „ungeklärte Fachfragen“ gebe, wie es der Queerbeauftragte Sven Lehmann (Grüne) formulierte, half nicht wirklich gegen dieses Gefühl in der trans Community.

Während des aufreibenden Wartens spielt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eine wenig rühmliche Rolle, denn offenbar hängt es vor allem an seinem Haus, dass der Zeitplan des Gesetzes ins Stocken geraten ist. In einem Interview mit der Zeit im Januar 2023 erklärte er, woran noch gearbeitet wird. So solle es weiterhin möglich sein, Menschen aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung aus geschlechtlich eingeschränkten Räumen auszuschließen. Konkret heißt das: Eine Frauensauna soll auch mit dem Selbstbestimmungsgesetz trans Frauen ohne geschlechts­an­glei­chen­de Operation abweisen dürfen.

Queeren Familien endlich Gleichstellung gewähren

Diese Aussage weckt die Furcht, dass Diskriminierung durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht abgebaut, sondern zementiert werden soll. Dabei soll das Ziel doch eigentlich sein, die Rechte von trans und inter Personen zu stärken, sie zu einem selbstbestimmten Alltag zu ermächtigen. Das macht nicht gerade Mut, wenn man an die wirklich dicken Bretter denkt, die noch zu bohren sind, etwa das Abstammungsrecht, das endlich queeren Familien Gleichstellung gewähren soll.

In keinem Land mit ähnlichem Gesetz gab es bisher mehr Gewalt gegen Frauen oder einen Ansturm von cis Männern auf die Standesämter

Diese Fragen scheinen wohl geklärt, denn Anfang Februar erklärte Marco Buschmann im Tagesspiegel, dass die Arbeiten „weitgehend abgeschlossen“ seien. Es lässt sich leider nicht überprüfen, wie der Gesetzentwurf nun aussieht, denn er wartet weiter im Bundesjustizministerium auf grünes Licht. Die Ungewissheit ist quälend und wird mit jedem Tag schlimmer. Das Justizministerium ist derzeit offenbar der Flaschenhals der Ampelregierung, denn nicht nur das Selbstbestimmungsgesetz wartet auf Freigabe für den weiteren Gesetzgebungsprozess. Aus den Reihen der SPD gab es dafür bereits scharfe Kritik am Justizminister. Mehrere Gesetzesvorhaben liegen in dessen Haus und kommen nicht weiter. Das macht dann auch nicht mehr Hoffnung, dass es zügig vorangeht mit dem Selbstbestimmungsgesetz. Eigentlich sollte es bis Mitte 2023 verabschiedet werden – ein Ziel, das immer ambitionierter wird, je länger das Justizministerium die Freigabe des Entwurfs hinauszögert.

Je länger man wartet, desto länger wuchern die Mythen und Horrorszenarien weiter. Transfeindliche Blasen in sozialen Medien erfinden jeden Tag neue Märchen und Unterstellungen, schüren irrationale Ängste vor einem Gesetz, das bisher kaum jemand zu Gesicht bekommen hat. Das einzige Mittel dagegen ist die Freigabe des Gesetzentwurfs, damit er endlich auf Basis von Fakten betrachtet werden kann. Die Zeit spielt für jene, die auf Unwissenheit, Uninformiertheit und Unterstellungen bauen. Mit jedem Tag, an dem queerfeindliche Menschen mit Unterstützung durch rechte Echokammern Lügen verbreiten können, droht sich der Diskurs so weit zu verschieben, dass es immer schwerer wird, mit Tatsachen dagegen zu halten.

Je schneller das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft tritt, desto früher wird die Realität dafür sorgen, Scheinargumente endgültig zu widerlegen. Der Blick in andere Länder mit vergleichbaren Gesetzen gibt einen Vorgeschmack darauf: So hat es in Argentinien, dem weltweit ersten Land mit Selbstbestimmungsgesetz, keinen Anstieg von Gewalt gegen Frauen gegeben. In keinem Land mit einem ähnlichen Gesetz hat es einen Ansturm von cis Männern auf die Standesämter gegeben, um sich irgendwo „hineinzuidentifizieren“, wie immer wieder düster geraunt wird. Keins der Schreckensszenarien ist eingetreten. Zeit also, auch in Deutschland endlich ein Verfahren zu vereinfachen, das trans Menschen Erleichterung verschaffen würde.

Warum wir so sehnsüchtig auf das Selbstbestimmungsgesetz warten? Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als einen Alltag in Ruhe und Frieden, frei von Zwangsouting und struktureller Diskriminierung. Das kann das Gesetz nicht alles leisten, aber es wäre ein wichtiger Schritt. Wenn der richtige Name auf allen Dokumenten steht und die gelebte mit der dokumentierten Identität übereinstimmt, wäre das eine spürbare Erleichterung im Alltag. Zu oft muss man als trans Person noch einen längst abgelegten Namen verwenden. Zu häufig wird die eigene Identität zum Thema, ohne dass man dies selbst entschieden hat, nur weil man etwa einen Gang aufs Amt oder eine Steuererklärung machen will.

Verstärkt Gewalt gegen trans Personen

Für einige geht es auch schlicht um die Würde im Tod. Die Furcht, noch auf dem Totenschein und dem Grab mit dem abgelegten Namen (deadname) bedacht zu werden, ist nicht unrealistisch, wenn man sich den steigenden Grad der Gewalt gegen trans Personen ansieht. Drastisch illustriert wurde diese Angst durch den Fall der ermordeten Brianna Ghey in Großbritannien. Die 16-Jährige war monatelang Opfer transfeindlicher Gewalt, die schließlich in ihrer Ermordung durch zwei Jugendliche mündete. Eine offizielle Änderung ihres Namens war rechtlich vor ihrer Volljährigkeit nicht möglich – nun ist sie tot.

Der jährliche Report der Menschenrechtsorganisation ILGA Europe hat gezeigt, dass queerfeindliche Gewalt auf einem Höchststand ist, so hoch wie seit zehn Jahren nicht. Hassrede übersetze sich direkt in körperliche Gewalt, so ILGA-Geschäftsführerin Evelyne Paradis in einer Mitteilung zu dem Report. Die Attacken würden geplanter und seien öfter tödlich – ein direktes Ergebnis politischer Agitation, die auf die Antipathie gegen LGBTQIA-Personen baut.

Fast täglich liest man Meldungen über körperliche Angriffe auf trans Personen. Ein Gesetz wird diese natürlich nicht verhindern, aber es könnte zumindest den Zirkel aus Hass und Hetze durchbrechen und im Kampf gegen die Logik der Gewalt helfen. Statt nur zu reagieren, so drückt es auch Evelyne Paradis aus, müssten Po­li­ti­ke­r*in­nen aktiver werden.

Gesetze zum Schutz von LGBTQIA-Rechten vorantreiben ist hilfreicher, als im Nachhinein Mitgefühl für die Hinterbliebenen der Ermordeten auszudrücken. Das Selbstbestimmungsgesetz endlich voranbringen und wie versprochen bis Mitte 2023 verabschieden wird buchstäblich Leben retten.

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Io Kassandra Görzist Chef­re­dak­teu­r*in bei inFranken.de und lebt seit 2022 offen trans nicht-binär. Im April 2023 heuert sie bei t-online in Berlin an.

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