Rechtes Medienportal „Nius“: Grundprinzip verdrehte Fakten
Das Medienportal „Nius“ bietet rechter Hetze eine Bühne. Es wird finanziert von einem Milliardär und vereint Julian Reichelt mit Jan Fleischhauer.
Im Grunde muss man Julian Reichelt dankbar sein. Sein neues Medienportal „Nius“ sorgt endlich für Ordnung. Solange Jan Fleischhauer noch Kolumnen für den Spiegel schrieb oder Judith Sevinç Basad als freie Journalistin arbeitete, fiel es vielen schwer, diese Stimmen einzuordnen: Liberale Vordenker:innen, die mit erfrischender Brillanz den linken Meinungskorridor durchbrechen und deren originelle Thesen, gewürzt mit einer Prise Provokation, uns alle aufrütteln sollten? Oder doch nur rechtspopulistische Stimmungsmacher:innen?
Dass es sich bei „Nius“ um rechtspopulistische Stimmungsmache handelt, ist sicher. Und auch, dass Jan Fleischhauer und Judith Sevinc Basad für das Portal arbeiten. Genau wie die neurechte Influencerin Anabel Schunke oder der Journalist Jan Karon, mit dem der RBB im letzten Herbst eiligst die Zusammenarbeit beendete, nachdem Karon Somalia öffentlich als „Shithole-Country mit Steinzeitkultur“ bezeichnet hatte.
Julian Reichelt hat sie alle bei seinem Unternehmen versammelt, unterstützt von seinem Förderer, dem CDU-nahen Milliardär Frank Gotthardt. Einige der „Nius“-Autor:innen waren ihrem ehemaligen Chef bereits von der Bild zu seinem Medienunternehmen Rome Medien gefolgt. Auch Sevinç Basad wechselte von der Bild zu Reichelts Unternehmen, begleitet von ordentlich Tamtam, bei dem ihr gleich zwei Kunststücke gelangen: dem Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner mangelnde Resilienz gegen die „Tyrannei der woke Aktivisten“ zu bescheinigen und von den Bild-Vorgesetzten für die Verletzung journalistischer Standards kritisiert zu werden.
Keine „Stimme der Mehrheit“
„Nius“ wird wie News ausgesprochen, es bleibt unklar, ob das witzig sein soll oder ob der Kulturkampf nun schon so weit geht, dass man dem eigenen Publikum keine englischen Wörter mehr zumuten möchte. Dass es sich bei dem Claim „Die Stimme der Mehrheit“ um Wunschdenken statt Tatsachenbeschreibung handelt, ist selbst in Zeiten eines AfD-Höhenflugs klar.
Genau wie auf Reichelts Youtube-Kanal wird auch hier daran gearbeitet, rechtspopulistische Inhalte mehrheitsfähig zu machen. Die Topthemen der vergangenen Tage: die Wahl einer trans Frau zur Miss Niederlande, die Proteste beim Eritrea-Festival in Gießen, die Berliner Freibäder.
Das ist kein Zufall: Nach dem Vorbild weitaus reichweitenstärkerer Medien in den USA wie „Fox News“ werden Nachrichten ausgewählt, bei denen das vermutete Empörungspotenzial möglichst große Teile der Bevölkerung umfasst. Kritik an der Transbewegung ist bis in feministische Kreise hinein anschlussfähig, das wissen auch Jan Karon und Judith Sevinç Basad, die dem „vielleicht gefährlichsten Zeitgeist-Phänomen“ gleich eine anderthalbstündige „Dokumentation“ widmen. Worum es bei den Ausschreitungen in Gießen ging, spielt auch in der Berichterstattung etablierter deutscher Medien kaum eine Rolle, genauso wenig wie die Frage gestellt wird, ob zwischen Neuköllns unterfinanzierter Jugendhilfe und Neuköllns randalierenden Jugendlichen ein Zusammenhang bestehen könnte.
An all das knüpft „Nius“ an: Jedes Topthema wird in möglichst vielen Beiträgen durchgenudelt. Zum Freibadthema lässt ein Artikel 17 mit Vornamen zitierte Personen erzählen, warum sie sich im Freibad nicht mehr wohlfühlen. Ein Reporter rennt so lange mit der Kamera um den Badesee, bis er eine Frau findet, die das Problem bei den „ausländischen Bürgern“ sieht. Es gibt einen kitschigen Kommentar zum verlorenen „Sehnsuchtsort Freibad“, eine Chronologie über Gewaltvorfälle in Freibädern mit dem Titel „Freibadistan“ und sechs weitere Beiträge zum Thema.
Hetze gegen Minderheiten und Leugnung der Klimakrise
Eine deutlich offensivere Berichterstattung als etwa zum Ukrainekrieg, der bei „Nius“ nur am Rande vorkommt, vielleicht, weil man hier zu Recht Uneinigkeiten im Zielpublikum vermutet. Für ein Nachrichtenportal eine spezielle Themenauswahl. Klar: Die Selektion von Themen allein wäre, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Journalismus aus einer bestimmten politischen Haltung heraus betrieben wird, kein Grund, „Nius“ zu kritisieren. Zu selektieren und zu gewichten gehört zum Kerngeschäft aller Redaktionen, und nicht nur bei der taz, sondern auch bei der „Tagesschau“ spielen dabei politische Haltungen eine Rolle, denn es gibt keinen Journalismus im luftleeren Raum.
Die Luft, in der sich „Nius“ bewegt, riecht allerdings nach Rassismus, nach Hetze gegen Minderheiten, nach Leugnung der Klimakrise, und das ist das Problem. Dabei wird überspitzt, verkürzt, aus dem Zusammenhang gerissen und manchmal auch schlicht gelogen.
In Sachen Klimakrise ist die Berichterstattung fast schon putzig: So voll und ganz zu leugnen, dass es ein Problem geben könnte, trauen sich offenbar selbst Rechtspopulist:innen wie die Macher:innen von „Nius“ nicht mehr. Stattdessen versuchen sie auch hier, an den Alltagsverstand anzuknüpfen – Sommer ist doch was Schönes – und werden nicht müde zu betonen, so heiß sei es doch gar nicht. Es seien zwar 38 Grad in Möhrendorf-Kleinseebach gemessen worden, heißt es dann, aber letztes Jahr, da waren es in Hamburg-Neuwiedenthal 40,1 Grad, und 2019 in Tönisvorst sogar 41,2! Wenn Karl Lauterbach aus Bologna per Twitter auf die Hitzewelle in Südeuropa hinweist, schreibt Julian Reichelt auf „Nius“, „zum Zeitpunkt seines Tweets“ sei es dort „klar unter 30 Grad“ gewesen. Na dann, alles prima.
Wie das mit dem Lügen funktioniert, lässt sich an einem Fall der vergangenen Tage beobachten: Verschiedene deutsche Medien zitieren, teils etwas unsauber, aus einer Meldung der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Diese erwähnt eine Wetterprognose, der zufolge es auf Sizilien bis zu 48 Grad heiß werden könnte, und nennt dann verschiedene in Italien gemessene Bodentemperaturwerte, die häufig deutlich höher als die Lufttemperatur sind. Julian Reichelt macht daraus auf „Nius“ „die heißeste Klima-Lüge des Jahres“: Die 48 Grad hätten sich auf die sizilianische Bodentemperatur bezogen, „ALLE Journalisten“ hätten das gewusst und die Zahlen vorsätzlich falsch angegeben, und zwar weil Medien und Politik absichtlich Angst vor dem Klimawandel verbreiten, um die Bevölkerung besser beherrschen zu können.
Nichts davon stimmt – aber dass die Wahrheit das erste Opfer des Kriegs ist, eben schon. Und das gilt auch für den Kulturkampf, in dem der ehemalige Kriegsreporter Julian Reichelt längst selbst zum Krieger geworden ist.
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