Urteil gegen Julian Reichelt: Informantenschutz auch in Berlin
Ex-“Bild“-Chef Julian Reichelt war Informant für Verleger Holger Friedrich. Doch laut Berliner Landgericht kann er sich nicht auf Informantenschutz berufen.
D er Deutsche Journalistenverband (DJV) ist empört: Das Landgericht Berlin habe den Informantenschutz der Presse „faktisch abgeschafft“. Der Richterspruch müsse dringend in nächster Instanz korrigiert werden.
Was war passiert? Julian Reichelt, Ex-Chefredakteur der Bild-Zeitung, hatte Holger Friedrich, Herausgeber der Berliner Zeitung, im April dieses Jahres Unterlagen zukommen lassen. Sie sollten den Vorwurf entkräften, Reichelt habe von einer Bild-Mitarbeiterin, mit der er eine Affäre hatte, „Sex on demand“ verlangt. In Wirklichkeit sei die Initiative in der konkreten Situation von ihr ausgegangen, so Reichelt.
Anders als von Reichelt erhofft, machte die Berliner Zeitung daraus keine große Geschichte. Vielmehr verpetzte Friedrich den Informanten Reichelt bei seinem Ex-Arbeitgeber, dem Springer-Verlag. Angeblich war in den Unterlagen auch Vorstandskommunikation aus dem Hause Springer. Das könnte für Reichelt teuer werden. Denn in der Folge verlangte Springer von Reichelt die Abfindung in Höhe von zwei Millionen Euro zurück, da Reichelt eine Verschwiegenheitsvereinbarung verletzt habe.
In diesem Kontext wies das Landgericht Berlin Anfang Juni einen Unterlassungsantrag Reichelts gegen Verleger Friedrich zurück. Es sei von Friedrichs Meinungsfreiheit gedeckt, mit anderen über Reichelts Kontaktaufnahme zu reden. Dagegen könne sich Reichelt nicht auf Informantenschutz berufen, da kein Informantenschutz vereinbart gewesen sei.
Zeugnisverweigerungs-Recht, nicht -Pflicht
Dabei liegt das Landgericht Berlin nicht völlig falsch. Journalist:innen haben vor Gericht zwar das Recht, ihre Informant:innen zu verschweigen. Die Strafprozessordnung sieht aber nur ein Zeugnisverweigerungs-Recht vor, keine Zeugnisverweigerungs-Pflicht.
Anders als bei Ärzt:innen oder Anwält:innen gibt es bei Journalist:innen auch keine gesetzliche Schweigepflicht über Berufsgeheimnisse.
Zwar heißt es im Pressekodex, die Presse „gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis“. Doch zum einen ist der Pressekodex rechtlich unverbindlich. Zum anderen ist er auch nicht eindeutig, denn er nimmt im gleichen Abschnitt selbst auf „vereinbarte Vertraulichkeit“ Bezug.
Als der Presserat im Juni den Verleger Friedrich wegen Verletzung des Informantenschutzes rügte, gingen dem lange Diskussionen voraus. Am Ende hieß es: „Die Mitglieder waren mehrheitlich der Meinung, dass es unbeachtlich ist, ob der Informantenschutz ausdrücklich vereinbart wurde.“ Der Passus zur „vereinbarten Vertraulichkeit“ beziehe sich vor allem auf Hintergrundgespräche.
Dennoch liegt das Landgericht Berlin im Ergebnis falsch. Denn Vertraulichkeit kann auch konkludent (also durch schlüssiges Verhalten) vereinbart werden. Hierbei sind auch die üblichen Gepflogenheiten der Presse zu berücksichtigen.
Und weil die Presse davon lebt, dass Informanten auf Vertraulichkeit vertrauen, ist die Annahme von Vertraulichkeit die Regel, nicht die (ausdrücklich zu vereinbarende) Ausnahme.
Die Annahme des Landgerichts, bei Journalisten müsse man immer mit Verrat und Enttarnung rechnen, ist dagegen nicht nur pressefeindlich, sondern auch weltfremd.
Im konkreten Fall war nach diesem Maßstab wohl durchaus Vertraulichkeit vereinbart. Wie die Zeit schildert, schrieb Friedrich an Reichelt, er wolle ihn „vertraulich“ mit dem Chefredakteur der Berliner Zeitung „zusammenschalten“. Das dürfte für die konkludente Vereinbarung von Vertraulichkeit genügen. Damit war Reichelt als Informant vor Enttarnung geschützt.
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