Rechte Szene in Chemnitz: Als die Nazis Reißaus nahmen
Farbbeutel, Fäkalien und eine tote Ratte vor der Tür: Wie Rechte eine linke Abgeordnete in Chemnitz drangsalierten. Und Widerstand hervorriefen.
Auf mehr als 20 solcher Attacken kommt die Landtagsabgeordnete, Stadträtin und Fraktionsvorsitzende der Linken in Chemnitz. Der Vermieter wurde dieser fortgesetzten Sachbeschädigungen überdrüssig und kündigte der 39-Jährigen die Räume.
Mutmaßliche Täter sind Rechte, die den Stadtteil zu einer „national befreiten Zone“ machen wollen und Duftmarken setzen. Ihr Revier markieren. Sogar einen Namen haben sie sich gegeben: Rechtes Plenum. Nicht nur in der Zietenstraße 53, auch in den umliegenden Straßen finden sich Hakenkreuze und Aufschriften wie „I love NS“. „Erst ignoriert man das“, erzählt die Politikerin mit der roten Brille und den langen blonden Haaren, „doch im Lauf der Zeit haben sich die Vorfälle deutlich gesteigert.“ Sie meldete „vielleicht jeden dritten“. Eine schwierige Sache. „Manchmal bauten sie sich in einer kleinen Gruppe gegenüber von meinem Stand auf und grinsten einfach. Oder liefen vorbei und rotzten gegen die Scheiben. Da macht es wenig Sinn, Anzeige zu erstatten.“
Einschüchterungsversuche. Zermürbungstaktik. Hasskommentare auf ihrer Facebook-Seite. „Wir Linken sind ja relativ hart im Nehmen“, sagt Schaper, die schon mit 16 Jahren der PDS beitrat. „Aber die Bedrohungen, die ich jetzt erlebe, nenne ich Faschismus.“ Hat sie sich von der Polizei ernst genommen gefühlt? „Nein“, sagt Schaper und zögert, „jetzt vielleicht.“ Denn jetzt ist die Presse auf die Vorfälle aufmerksam geworden. Und nun passiert das, was alle hier so gerne vermeiden würden.
Die Verunglimpfung als rechtes oder braunes Sachsen, wo sich der NSU jahrelang verbergen konnte. „Ich lehne es ab, den Stadtteil zu stigmatisieren“, sagt Schaper. „Ich bin hier geboren. Ich will nicht kapitulieren. Aber ich gebe zu, ich bin gewarnt worden.“
Leerstand liegt bei 30 Prozent
Der Winter hat in diesen Tagen Chemnitz fest im Griff. Das Erzgebirge ist nah, es hat viel geschneit, und strahlender Sonnenschein bringt trotz Minustemperaturen die riesigen Eiszapfen an den Dachfirsten zum Tauen. Die Zietenstraße ist eine der Querachsen im schachbrettartig angelegten Gründerzeitviertel Sonnenberg, jenseits der Bahngleise, gebaut für Arbeiter der Industriestadt, die einst als das sächsische Manchester galt. Heute sind in Sonnenberg Fenster vernagelt, Geschäfte aufgegeben, ganze Straßenzüge verlassen – der Wohnungsleerstand liegt offiziell bei 30 Prozent. In der Zietenstraße ist er sichtlich höher.
Warum haben sich die Rechten ausgerechnet Sonnenberg und die Linken-Abgeordnete ausgesucht? „Weiß ich nicht“, sagt Susanne Schaper. „Es sind nicht viele, ungefähr ein Dutzend Leute, aber die sind eben sehr laut.“ Kennt sie die Leute persönlich? „Nein. Eine Gesprächsgrundlage habe ich mit denen nicht.“
Lars Fassmann hat eine Erklärung. „Der Sonnenberg bietet durch den Leerstand Freiräume, Rückzugsmöglichkeiten. Und durch die soziale Mischung ist die Toleranzschwelle deutlich höher als anderswo. Man mischt sich nicht so schnell ein.“ Sonnenberg ist das Viertel mit dem höchsten Anteil von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, aber keine No-go-Area. Auch Migranten, Studenten und Künstler leben hier, und nur ein paar Hundert Meter weiter, Richtung Gablenz, betreibt Lars Fassmann das alternative Veranstaltungszentrum Lokomov mit Probenräumen, Druckwerkstatt, Künstlerateliers.
Auch hier hat es am 8. November einen Sprengstoffanschlag gegeben, nachts, ein Fenster ging zu Bruch. Bekenner gab es nicht. Zu dieser Zeit erarbeitete eine Theatergruppe gerade ein Stück über die rechte Terrorzelle NSU. Das Operative Abwehrzentrum in Leipzig, eine Art Soko in Sachen Rechtsextremismus, ermittele „noch immer sehr intensiv“ gegen unbekannt, heißt es dort.
Kulturelle Belebung des Viertels
Fassmann, 40, mit rotblonden Locken und kleinem Bart, sitzt in einem der Clubsessel seiner Bar. Es ist kurz nach 18 Uhr und noch nicht viel los. Der große Raum mit den riesigen Fenstern ist lila und grün gestrichen, an der Decke hängen Kugellampen aus dem Berliner Palast der Republik. „Einige haben immer noch nicht verstanden, was wir hier machen“, sagt Fassmann, der für die Wählervereinigung Volkssolidarität im Stadtrat sitzt und mit seiner IT-Firma Lernsoftware entwickelt. Kulturelle Belebung des Viertels, das ist sein Konzept; Leipzig und Dresden haben vorgemacht, wie es auch in Chemnitz, der drittgrößten Stadt in Sachsen, gehen könnte in der Zukunft.
Fassmann ist der Vorbote der Gentrifizierung, er zeigt aus dem Fenster auf die andere Straßenseite, die Häuser dort hat er auch gekauft. „Gentrifizierung läuft bei uns anders. Hier werden keine Leute vertrieben“, sagt er, „sondern angesiedelt, bei so viel Leerstand.“ Fassmann hat 15 Häuser in Sonnenberg erworben, er lässt das Notwendigste sanieren und überlässt sie Studenten und Künstlern gegen geringe Mieten. Ihr Wert wird steigen. „Wir sind keine Sozialstation“, sagt er.
Fassmann ist in der Nähe von Chemnitz groß geworden, er sächselt leicht, spricht bedächtig. Die Mentalität seiner Landsleute kennt er gut. „Sie schweigen die Dinge lieber tot, bis es knallt. Das ist eine problematische Grundhaltung, die sich durch die Strukturen zieht.“ Denn nicht nur im Stadtteil Sonnenberg, sondern in ganz Chemnitz hat die rechte Szene nach der Wende Fuß gefasst. In Polizei und Politik, sagt Fassmann, würden die Aktivitäten der Neonazis eher relativiert und außerdem werde stets auf die Straftaten der linken Szene verwiesen. „Das sind aber keine kleinen Kinder, die sich prügeln und wo Bürgerinnen und Bürger außerhalb der Rangelei stehen.“
Keine Hirngespinste
Eine Kleine Anfrage des Chemnitzer Grünen-Abgeordneten Volkmar Zschocke vom Dezember zu politisch motivierten Gewalttaten (PMG) in Chemnitz-Sonnenberg gibt Fassmann recht. Laut Landeskriminalamt ist dort im Zeitraum Januar 2014 bis November 2016 die Zahl der PMG drastisch gestiegen; insgesamt wurden 75 Straftaten aus der rechten Szene registriert gegenüber 5, die der linken Szene zugerechnet werden.
Dass man über die Aktivitäten der Rechten in Chemnitz-Sonnenberg trotzdem gut Bescheid weiß, verdankt sich Aktivisten der lokalen linken Szene. Am 4. November, kurz nachdem Susanne Schaper ihr Büro aufgeben musste, dokumentiert eine „Gruppe Avocado“ auf dem Internetportal indymedia.org die Aktivitäten des Rechten Plenums, das in Sonnenberg ähnlich wie in Dortmund einen „Nazikiez“ aufzubauen versucht habe. Ein umfangreiches Outing mit Namen, Anschrift, Fotos, Videos, Social-Media-Profilen. Kurz darauf gibt das Rechte Plenum per Twitter seine Auflösung bekannt, die Facebookseite „Kopfsteinpflaster“ wird abgeschaltet, private, oft unter Pseudonym betriebene Facebookprofile werden gelöscht.
Ist Schaper froh über das Outing? „Ich war nicht böse darüber“, sagt sie. Immerhin habe die rechtspopulistische Stadtratsfraktion Pro Chemnitz vorher ihre Privatadresse veröffentlicht. „Es zeigt, dass ich keine Hirngespinste hatte. Ich war Freiwild für die Szene.“ Die gelernte Krankenschwester und Mutter von drei Kindern seufzt. „Im Moment lassen sie mich in Ruhe.“
„Nazisein muss weh tun“
Jeremy und Anke gehören zur linken Szene in Chemnitz, ihre wirklichen Namen wollen sie nicht nennen. „Wenn Nazis in anderen Städten geoutet werden, ziehen sie nach Dortmund oder Chemnitz“, sagt Jeremy, „deswegen war das Outing wichtig. Chemnitz soll keine Wohlfühlszene für Nazis sein. Nazisein muss wehtun.“
Nach dem Verbot der Nationalen Sozialisten Chemnitz im Jahr 2014 habe das Rechte Plenum „frischen Wind in die Szene gebracht“, erklärt Anke im Café. Junge Leute, die an die aktuelle Jugendkultur anknüpfen. Nazihipster, die teilweise vegan kochen, monogam und drogenfrei leben, sich zum antikapitalistischen Block zählen. „Das sind keine Dumpfbacken mehr wie die alten NPD-Kameradschaften, die spielen mit Theoriekonzepten, sind belesen. Das ist das Gefährliche daran.“
Das Rechte Plenum, sagen beide, habe seine Aktivitäten im Internet geschickt ausgeschlachtet, „sie haben sich hinter ihrer Anonymität versteckt“. Bis zum Outing. Und jetzt? „Im Moment ist nichts sichtbar.“ Auch die Polizei Chemnitz bestätigt seit November einen Rückgang politisch motivierter Straftaten in Sonnenberg. Das Outingmaterial der „Gruppe Avocado“ wurde der Staatsanwaltschaft übergeben, die nun die Beweislage prüfen muss.
Anke und Jeremy gehören zu denjenigen, die nicht aus Chemnitz weggegangen sind wie viele andere ihrer Generation. „Chemnitz ist keine Katastrophe“, sagt Anke nüchtern. Die Aktivitäten eines Lars Fassmann sehen sie kritisch. Die Aktivitäten des Quartiersmanagements finden sie unzureichend. „Ein bunter Weihnachtsmarkt ersetzt kein politisches Statement.“ Sozialarbeit, Präventionsarbeit ist wichtig. Die findet statt, aber nicht genug. „Es gibt eine über Jahre gewachsene rechte Jugendkultur. Da reinzukommen ist ganz schwierig.“ Jeremys Schule sei ein einziger Nazilaufsteg gewesen. „Es ist normal, rechte Bands zu hören. Es ist normal, Thor-Steiner-Klamotten zu tragen. Das gilt nicht als Nazisymbol, sondern als hipper Lifestyle.“
Neues Büro gesucht
„Man erreicht mit Prävention nicht alle“, sagt Elke Koch, die Stadtteilmanagerin. „Bislang gibt es keine Sozialarbeiter, die gezielt gegen Rechtsextremismus eingesetzt werden. Das wäre überlegenswert.“
Rote Haare, orangefarbener Pullover, schwarze Weste, sitzt Koch in ihrem Stadtteilbüro in der Sonnenstraße, der einzigen Ecke Sonnenbergs, wo noch zu DDR-Zeiten Neubauten entstanden. Sie soll entwickeln, beraten, vernetzen; es gibt einen gewählten Stadtteilrat, viele Vereine und Initiativen wie den bunten Weihnachtsmarkt, Laternenpfähle umstrickende Damen, alles das, was Frau Koch den „bunten Sonnenberg“ nennt. „Wir überlassen den Stadtteil nicht den Rechten“, sagt sie. „Aber ich vermisse ein klares Wort der Politik. Wir können nur als Zivilgesellschaft Zeichen setzen.“
Dass Susanne Schaper im Stadtteil bleiben will und ein neues Büro sucht, findet ihre Anerkennung. „Toll.“ Aber die Linken-Abgeordnete hat Schwierigkeiten, neue Räume zu finden. Und das bei 30 Prozent Leerstand? Viele Vermieter mauern, winken ab. Könnte ihr denn nicht die städtische Grundstücks- und Gebäudegesellschaft (GGG) etwas anbieten? „Unbedingt “, sagt Elke Koch. Bei der Stadt heißt es, man sei im Gespräch. Und was ist mit Lars Fassmann? Der sähe lieber Gewerbe als ein Parteibüro einziehen. Aber er hat Susanne Schaper ein Auktionsangebot weitergeleitet. Die Büroräume in der Zietenstraße 53 stehen jetzt leer. Ein Haus weiter hat ein Tattoo-Shop neu eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene