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Rechte Drohungen und mediale IgnoranzWo bleibt der Aufschrei gegen rechts?

Kommentar von Amelie Sittenauer

In Duisburg müssen Schulen wegen rechtsextrem Drohungen schließen. In Wetzlar gibt es einen Femizid mit Nazihintergrund. Und alles bleibt ruhig.

Bedrohungslage in Duisburg: Gesamt- und Sekundarschulen blieben Anfang der Woche geschlossen Foto: Christoph Reichwein/dpa

I n Duisburg blieben am vergangenen Montag 20 Schulen geschlossen, nachdem rechtsradikale Drohmails gegen sie verschickt wurden. 18.000 Schü­le­r:in­nen mussten zu Hause bleiben. Am Donnerstag musste erneut ein Duisburger Gymnasium schließen, wieder eine rechtsradikale Drohmail. Hunderte Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen wurden evakuiert.

In Wetzlar erschoss am vergangenen Donnerstag ein 32-Jähriger eine 17-Jährige. Der Täter, der zumindest in der Vergangenheit der militanten Neonazi-Szene angehörte, ist vorbestraft. 2010 verübte er einen Brandanschlag auf das Haus des antifaschistischen Pastoralreferenten Joachim Schaefer. Das 17-jährige Opfer und ihre Familie hatten bereits im März Strafanzeige gegen Francesco M. wegen Körperverletzung und versuchter Nötigung erstattet. Der Täter hatte die Frau gestalkt, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte.

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Der Winter war von Terrorandrohungen und Terroranschlägen geprägt, in Magdeburg, Aschaffenburg und München. Ein ganzer Bundestagswahlkampf wurde fast ausschließlich dafür verwendet, Sicherheitskonzepte, Gesetzesverschärfungen, Abschiebungen und Taskforces zu fordern, in der nicht zuletzt die AfD von einem omnipräsenten Gefühl der Angst, des Hasses und der Unsicherheit profitierte.

Bedrohung kennt man also hier mittlerweile eigentlich. Allerdings stellt sich aktuell die Frage: Wo ist hier und jetzt eigentlich der Aufschrei? Stell dir vor, da wird eine Frau von einem vorbestraften Neonazi erschossen, da werden 18.000 Schulkinder von Rechtsradikalen bedroht, und keinen interessierts.

Wie ein schlechter Krimi

Stattdessen titelt die Bild: „Er stellte ihr seit Monaten nach: Stalker erschoss Marla (17) auf einem Feldweg“. Der folgende Artikel beginnt dann wie ein schlechter Krimi: „Jeden Morgen lief Marla H. einen verlassenen Feldweg entlang, um zur Arbeit zu kommen. Doch auch ihr Killer kannte den Weg.“ Auch die rechten Trolle sind still, auf X trendet einzig der Hashtag „Beziehungstat“, ein Begriff wie „Familiendrama“, der versucht, strukturellen Frauenhass, Besitzanspruch und Egoismus von gewalttätigen Männern ins Private zu drängen.

Wäre es ein islamistischer Täter, wäre es ein Flüchtling, wäre es nicht ein weißer Täter – was wäre dann los? Zurückgelehnte Einzelfallmeldungen wie zurzeit wären schlichtweg unvorstellbar. Wann würde Hendrik Wüst die betroffenen Schulen in Duisburg besuchen, wann Boris Rhein einen Kranz in Wetzlar niederlegen? Was hätten Friedrich Merz und Alice Weidel zu sagen? Wo gäbe es die ersten Demos und Aufmärsche? Wie viele Talkshows müssten wir in den nächsten Wochen angucken, in denen sich Gespräche um Abschiebekontingente und die Schließung nationaler Grenzen drehten?

Wenn die Frage lautet Wer und nicht Was, wenn ein gesellschaftliches Ungerechtigkeitsgefühl nur noch von manchen Tätern überhaupt evoziert werden kann, läuft etwas sehr falsch. Und entblößt die Doppelmoral eines immer verzerrteren Diskurses, in dem das eine systematisch hochgejazzt, während das andere penetrant verharmlost wird: Weil die Täter rechts sind und nicht islamistisch oder psychisch krank, weil es nach und nicht vor der Wahl ist.

Das spaltet und zersetzt. Und vor allem verleugnet es die Gefahr des Rechtsextremismus. Und die ist lebensbedrohlich. Die Zahl rechtsextremer Straftaten liegt auf einem Rekordhoch, 41.406 hat die Polizei im Jahr 2024 erfasst, eine alle 13 Minuten.

Wenn diese Taten also kein Grund mehr sind, breit und ausführlich über die Bedrohung durch Rechtsextremismus und Frauenhass zu berichten und gegen sie vorzugehen, dann müssen wir uns schleunigst fragen, womit die Aufregung bei anderen Gewalttaten überhaupt noch begründet wird. Warum dann Aschaffenburg, München? Wenn Medien und Politik nicht weiter an Glaubwürdigkeit verlieren wollen, müssen sie angemessen und verhältnismäßig auf Bedrohungen reagieren. Auf jede.

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24 Kommentare

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  • Tja, bei den einen Fällen bietet sich eine Projektionsfläche für Rassismus, bei den anderen nicht.

  • Gibt es Statistiken, dass Femizide häufiger bei Neonazis auftreten? Das wäre ja in diesem Zusammenhang interessant gewesen. Wenn es diese Statistiken nicht gibt dann kann man kritisieren, dass es diese Statistiken nicht gibt, kann aber nicht einfach so ein Zusammenhang herstellen.

    • @Peter Schütt:

      Ein Zusammenhang zwischen Frauenhass und Rechtsextremismus kann sehr wohl hergestellt werden, auch ohne spezifische Statistiken zu Femiziden.

      Ich empfehle dazu den Verfassungsschutzbericht aus Niedersachsen "Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus im rechtsextremen Spektrum" von 2023, als PDF im Netz und die Expertise „Alles Einzelfälle? Misogyne und sexistisch motivierte Gewalt von rechts“ von 2022. Als PDF Download auf der Seite der Antonio Amadeus Stiftung, einfach dem Link folgen.

      www.amadeu-antonio...lles-einzelfaelle/

  • Endlich mal ein vernünftiger Artikel der deutlich auf einige der wichtigsten Gründe hinweist, warum fremdenfeindliches Gebaren, rechtsadikale Ansichten und Gewalt (physisch und psychisch) sehr wohl in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.



    Ich halte die Politiker von CDU/CSU als hauptsächlich verantwortlich für diese Entwicklung - denn das Ignorieren, bzw. Verharmlosen rechtsradikaler Taten und Gruppen und ständige Ablenken, bzw. Handlungen nicht deutschstämmiger Einzeltäter in den Vordergrund zu ziehen, passiert ja nicht erst seit Merz. Man stelle sich vor: laut Wahlergebnissen ist quasi jeder vierte Mensch der mir begegnet ein potentieller Nazi - wenigstens fremdenfeindlich und oft bereit zur Unterdrückung, Ächtung Anderer. Wie fühlt ihr euch denn damit?

    • @Paul-Panther:

      Da liegen sie mit ihrer Einschätzung aus meiner Sicht völlig richtig. Rechte Vorfälle werden gerne übersehen oder häufig heruntergespielt und bei Vorfällen mit migrantischer Beteiligung kippt die Union gerne noch Öl ins Feuer und trägt so maßgeblich dazu bei, dass gerade migrantische Gruppen aus dem Nahen Osten insgesamt als Sündenböcke dafür herhalten müssen. Differenziert wird in diesem Bereich hierzulande schon längst nicht mehr, weder von der Politik noch vom Großteil der Bevölkerung.

  • Der Mörder ist nur zufällig ein Rechter. Wäre er links gedreht, wäre er trotzdem der Mörder. Bei dieser Tat hat die politische einstellung keine Rolle gespielt. Lediglich sein Charakter macht ihn für extreme politische Strömungen empfänglich.

    In Duisburg hat ein nach Aufmerksamkeit heischender Mann die Tat gestanden. Rechter Hintergrund wird noch geprüft.



    Das die Stadtverwaltung, derart im vorauseilenden Gehorsam, alle Schulen schließen lies, ist eine andere Sache. Schulen beschützen wäre vielleicht auch eine Lösung gewesen. Aber so hatten die Beamten keinen Fehler gemacht. Lieber 1ooo mal alle Schulen schließen als das 1mal ein Stein durch das Fenster fliegt während Unterricht stattfindet. Wenn wirklich wieder eine Person gezielt in einer Schule Morden geht (wird Amoklaufen genannt. Amok ist aus der Situation heraus. Geplanter Amok ist mehrfaches morden) dann wird das nicht angekündigt.

  • Liebe taz, ihr wisst doch, dass die Wahrscheinlichkeit überwältigend ist, dass Drohungen zu Prüfungszeiten von Schülern kommen, die sich vor ihrer Benotung drücken wollen.

    • @Required:

      Ihr Beitrag ist ein gutes Beispiel für die allgemeine Verharmlosung und Relativierung von rechtspolitisch motivierten Straftaten.

      Nur als kleiner Hinweis: Die Absender der Drohmails sind in Berlin ansässig.

      • @Sam Spade:

        Nur als kleiner Hinweis, als Täte wurden Schüler in Berlin und Duisburg ermittlet und es ging den Schülern laut RP vermutlich darum, eine Prüfung nicht schreiben zu müssen. Hier wird also nicht verhamlost, dasss sind Fakten

        • @Christian Deinhart:

          Sie haben leider überhaupt nicht verstanden, was das Anliegen meines Kommentars war. Näheres können sie meinem Kommentar an @dtx entnehmen.

      • @Sam Spade:

        Interessante Information. Auf dem Bildschirm fehlt den meisten wahrscheinlich auch, daß in Erfurt keinesfalls Ruhe eingekehrt ist: www.gmx.net/magazi...iff-recht-40859984

        • @dtx:

          Naja, die Ermittlungen laufen ja noch, da kann nicht jetzt schon ausgeschlossen werden, dass es gar keinen lokalen Zusammenhang gibt, jedoch ist es nicht hilfreich ein Drohschreiben mit rechtsextremen Inhalten vorab mit einer solchen Argumentation zu verharmlosen. Da sollte schon auchmal ein Blick hinter die Kulissen geworfen werden, als gleich zu beschwichtigen.

  • Dies einerseits:

    "strukturellen Frauenhass, Besitzanspruch und Egoismus von gewalttätigen Männern ins Private zu drängen"

    Andererseits:

    Es wird doch auch von Frauen verlangt eine recht große patriarchalisch geprägte Gruppe von Männern als "besonders vulnerabel" anzusehen und ihnen mit Offenheit, Empathie, etc zu begegnen.

    Insofern hat die Autorin mit dem obigen Zitat vollkommen recht - es wird zu einer persönlichen Angelegenheit der Frauen erklärt über die man gar nicht erst sprechen muss.

  • Männergewalt hat viele Formen. Sie wird aber nicht als solche eingeordnet, da man sich hier "Beziehungstaten" anschaut und da Islamismus.



    Man könnte fragen, warum Frauen so selten Beziehungstaten in Form von Mord begehen oder einen solchen aus islamistischen Motiven.



    Man tut es nicht, weil der Elephant in the room Gewalt ausgeübt von Männern heißt und Männer sich diesen Fakten nicht stellen wollen. So einfach und so furchtbar ist das.



    Männlichkeit heißt bis zum heutigen Tag unter anderem, aggressiv zu sein, in der Hierarchie über anderen zu stehen oder auch den von anderen Männern zugewiesenen Platz in der Rangordnung zu akzeptieren. Bis zum nächsten Kampf.



    Solange ein gewisser Anteil von Männern es nicht erstrebenswert findet, einfach Mensch sein zu wollen und nicht mehr Krieger, Soldat, Familienoberhaupt etc. wird die Welt an toxischer Männlichkeit irgendwann zugrunde gehen.



    Das mag holzschnittartig formuliert sein, aber es läuft darauf hinaus.

    • @cazzimma:

      Ein gewisser Anteil findet es bereits nicht erstrebenswert. Dieser wird dann leider trotzdem und immer mal wieder in Sippenhaft genommen. Der Wunsch, dass die ganze Menschheit so gewissenhaft handelt, ist auch meiner, nur leider nicht realistisch.

  • Gilt es als verhältnismäßig, wenn man einfach eine Scheidung vom deutschen Nationalismus möchte? Also als unabhängiges Preußen, welches an die 1. Republik anknüpft, und wo man sich ausdrücklichst dagegen stellt, von Neonazis oder wem auch immer als ob deren Untertanen eingeschüchtert zu werden (sowie auch Dinge, wie sich auf die Seite aller Länder zu stellen, welche keine Atomwaffen haben, statt sich im Namen von Schutz mit Atomwaffen zu begraben).

  • In der Bild standen 3 Artikel zu den Bombendrohungen in Duisburg. Dann gab es teilweise mehrfache Artikel beim WDR, BR, ZDF, ARD, Pro7, RTL, SAT 1, N-TV, Deutschlandfunk, Zeit, Tagesspiegel, Welt, WAZ, NRZ, Westfälische Rundschau, Der Westen, Ruhr Nachrichten Rheinische Post, Augsburger Allgemeine T-Online, web.de, und....

    Das sieht mir aber nicht danach aus das sich niemand um das Thema kümmert.

    • @Martin Sauer:

      Ach ja? Wären solche Täter aus Syrien oder sonstwo - die TV Kanäle, die Printpresse und die Asozialen Kanäle würden aus allen Nähten platzen, tage- oder wochenlang und nicht nur mit Randnotizen..

  • "Der Aufmacher: Der Mann, der bei Bild Hans Esser war" nicht gelesen? Sollte man mal nachholen, bevor es (wieder) auf den Index kommt. Die Frage ist eher, weshalb die anderen Sachen "keine Nachrichten" gewesen seien. Verkehrsunfälle und Sport gehen dagegen immer.

  • Das ist keine besonders komplexe Erklärung: Bei Straftaten ausländischer Islamisten etwa kommt die zusätzliche Komponente in die Diskussionen, warum diese Person überhaupt (noch) in Deutschland sind. Trotz langem Vorstrafenregister, trotz Beobachtung durch Sicherheitsbehörden, trotz Gefährderstatus. Deutsche Nazis kann man nicht abschieben kann.

    Und die Taten vermischen sich mit der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung, dass allgemein viel weniger Geflüchtete aufgenommen werden sollten. Darüber hat die TAZ schon vor Jahren berichtet.

    taz.de/Meinungsumf...spolitik/!5779674/

  • Gibt es vielleicht nützliche und lästige Gewalt? So je nach Weltanschauung und Zielsetzung. Unteilbare, universelle Rechte haben derzeit weniger Rückhalt.

  • Richtige Analyse.



    Keiner liest es.



    Es fehlt der Schwung durch Russen und Nazi-Bots.



    Die bild ordnet es so ein wie sie es will- scheinbar als völlig unpolitische, verständliche "Beziehungstat", real naziverharmlosend.



    Duisburg interessiert auch nicht.."da sind ja alles nur Ausländer"



    Willkommen in der dt. Monopol-Medienlandschaft.

  • Von wegen wehrhafte Demokratie! Zu woke gegen rechts.

  • Danke!