Reaktionen aus der Ukraine nach US-Wahl: Ende der Solidarität?
Mit Donald Trump im Weißen Haus bröckelt die Unterstützung der Ukraine. Auch in Europa gibt es Zweifel. Aufgeben kommt für das Land nicht infrage.
Trump oder Harris? Monatelang schwebte diese Frage über nahezu jeder Aussage zur Ukraine-Hilfe in Deutschland, in Europa, beim Nato-Gipfel, beim G7-Treffen, bei Arbeitstreffen der Staats- und Regierungschefs der Welt. Nun ist die Entscheidung da und bevor die US-Administration unter Trump ins Amt kommt, werden hektisch Vorkehrungen getroffen. Man sei vorbereitet, heißt es auf EU-Ebene und in Deutschland. Und doch bleibt der Republikaner der große Unbekannte, der Unberechenbare, der mit scharfen, aber kryptischen Aussagen im Wahlkampf für mehr als Wirbel sorgte.
Angeblich innerhalb von 24 Stunden will Trump den russischen Invasionskrieg in der Ukraine beenden. Wie und zu welchem Preis – dazu lieferte er bisher keine Details. In der Logik Trumps kommt nur ein Deal infrage, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Auch einen Austritt der USA aus der Nato ventilierte Trump mehr als einmal. Einfach so den Beistandspakt aufkündigen? Erst im Juli feierte das Militärbündnis seinen 75. Geburtstag in Washington. Der noch amtierende US-Präsident Joe Biden – ein Transatlantiker alter Schule – wurde nicht müde, auf die gemeinsamen Verpflichtungen und Errungenschaften für eine im Nato-Sinne friedliche Welt zu werben. Klar ist, dass die Milliardenhilfen für die Ukraine deutlich zurückgefahren werden.
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In einer Trump’schen Welt, in der „America first“ das Credo ist, werden die Prioritäten wohl nicht zugunsten eines Landes gesetzt, das tausende Kilometer entfernt im Krieg gegen Russland für Freiheit, Demokratie und Souveränität kämpft.
Deutschland taumelt in die Regierungskrise
Nun ist Biden also Geschichte und Trump derjenige, der die Geschicke des größten Waffenlieferanten an die Ukraine künftig lenken wird. Und auch der wichtigste Unterstützer in Europa, Deutschland, taumelt durch eine schwere Regierungskrise. Die Ampel, die Milliarden freigeschaufelt hat für Waffen, für Winterhilfe, für den Wiederaufbau der Infrastruktur im Kriegsland, ist am Ende. Bis zum Machtwechsel droht eine monatelange Hängepartie.
Die Ukraine steuert auf den dritten Kriegswinter zu. Nahezu täglich werden Geländegewinne der russischen Armee gemeldet, Drohnenangriffe auf die Hauptstadt Kyjiw und auf den Osten der Ukraine haben in den vergangenen Tagen zugenommen. Immer wieder wird auf Wohngebäude gezielt, die Zivilbevölkerung attackiert. Das militärische Ungleichgewicht zwischen Russland und der Ukraine ist sichtbar – und die Zeit läuft, um gegenzuhalten. Mit Waffen und mit Geld.
Ungute Erinnerungen
Wenig überraschend reagierten Ukrainer:innen fast panisch nach dem Wahlsieg Trumps. Ungute Erinnerungen kommen wieder hoch: Im vergangenen Winter blockierten die Republikaner im US-Senat sechs Monate lang Milliardenhilfen für die Ukraine. Während dieser Zeit erlitt die Ukraine schwere Verluste an der Front. Zu wenig Munition und die Unfähigkeit, die russischen Truppen aufzuhalten, führten zum Durchbruch der Verteidigungslinie und zum Verlust zahlreicher Dörfer. Bis heute hat sich die ukrainische Armee von dieser Niederlage nicht erholt.
Kommt erneut kein Nachschub, sieht die Lage düster aus. Donald Trump hat während seines Wahlkampfs die weitere Unterstützung der Ukraine durch die USA grundsätzlich infrage gestellt. Drei Jahre dauert der Krieg bereits, ein Ende ist nicht in Sicht. Für Trump muss ein Waffenstillstand her. In seiner Deutung auch mit territorialen Zugeständnissen. Für die Ukrainer:innen ist ein solcher „Friedensplan“ völlig inakzeptabel und wird als erzwungene Kapitulation empfunden.
Gleichzeitig gibt es in der Ukraine Stimmen, die sich vorsichtig optimistisch über die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten äußern. Der Grund: Das strategische Versagen der Biden-Regierung hat in eine Sackgasse geführt. Versprochene Waffenlieferungen verzögerten sich, Langstreckenraketen wurden nicht bereitgestellt. Zudem gibt es nach wie vor keine Freigabe für die Ukraine, auch russisches Territorium anzugreifen. Das hat dazu geführt, dass die Hilfe für die Ukraine zwar ausreicht, um den russischen Vormarsch zu verlangsamen, aber nicht, um den Krieg zu beenden. Oder gar den Kreml zu Verhandlungen auf Augenhöhe zu bewegen.
Mykola Beleskow, Militäranalyst bei der Stiftung „Come Back Alive“, fordert, dass jetzt eine neue Strategie notwendig ist: „Etwas radikal Neues, denn wir durchlaufen jetzt eine Phase, in der wir sehr hart nach vorn gehen müssen, um wenigstens an Ort und Stelle zu bleiben.“
Offenbar sieht das Präsidialamt der Ukraine die Situation ähnlich. Präsident Selenskyj war nicht nur einer der Ersten, der Trump zu seinem Wahlsieg gratulierte, noch bevor die offiziellen Ergebnisse bekannt gegeben wurden, sondern er ging sofort in die diplomatische Offensive. „Ich schätze Präsident Trumps Engagement für den Ansatz ‚Frieden durch Stärke‘ in globalen Angelegenheiten sehr“, so Selenskyj in seinem Glückwunschschreiben. Er setzt auf einen gerechten Frieden und hofft, diesen mit Trump umzusetzen zu können. Aber: „Wir erwarten, dass die Ukraine weiterhin starke parteiübergreifende Unterstützung erhält.“
Orbán gilt als Putin-Freund und Trump-Fan
Die Ukraine ist sich der Abhängigkeit von den USA bewusst. Selenskyj und sein Team haben sich also entsprechend auf ein Szenario Trump vorbereitet. Trumps Unberechenbarkeit in der Außenpolitik, seine Entscheidungen, die auf Emotionen und Sympathien beruhen, sein gewinnorientiertes Geschäftsgebaren kennt Selenskyj. Er wird vermutlich versuchen, seine Methoden und Rhetorik an Trump anzupassen. Die Rhetorik eines Opferlands, das um Hilfe bittet, könnte sich in die Rhetorik eines starken Landes verwandeln, das den Frieden in Europa verteidigt. Stärke statt Schwäche – auch das ein Ansatz für den Dealmaker Trump.
Um Trumps wirtschaftliches Interesse an der Unterstützung der Ukraine zu wecken, wird Selenskyj die Attraktivität von Aufträgen für die US-Rüstungsindustrie klarmachen. Ein weiteres Argument dürfte die Rolle Chinas an der Seite Russlands im Krieg gegen die Ukraine sein. Eine Konfrontation mit China, die Teil von Trumps Außenpolitik ist, könnte Spielraum für die Ukraine schaffen.
„Mit Trump haben wir mehr Risiken, aber auch mehr Möglichkeiten und Chancen. Es ist ein Balanceakt, der einem Ritt auf der Rasierklinge gleicht. Aber wenn es eine solche Chance gibt, muss man sie nutzen“, kommentiert der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin die Lage.
Die Drohkulisse Trumps schlägt auch in Europa voll ein. Bei einem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Budapest war Trump so etwas wie der Elefant im Raum. Die Runde besteht aus den 27 EU-Staaten und 20 weiteren Ländern, darunter Großbritannien, die Türkei, Albanien, Georgien – und auch die Ukraine ist mit dabei. Selenskyj sprach von „selbstmörderischen“ Optionen für Europa, wenn es zu einem Deal mit Russland kommt.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, Gastgeber des Treffens, nutzte die Gelegenheit, um Zweifel zu säen – und das auf offener Bühne. Orbán gilt als Putin-Freund und Trump-Fan. Unvergessen ist seine Ankündigung, bei einem Wahlsieg Trumps ein paar Champagnerflaschen zu spendieren. Ob es tatsächlich dazu kam, ist nicht belegt. Aus seiner Freude über Trump im Weißen Haus machte Orbán auch ohne Champagner keinen Hehl.
Europa soll Verantwortung übernehmen – und ist sich uneins
Es wird also um Geschlossenheit gerungen in Europa, um eine gemeinsame Strategie, darum, wie eine Zusammenarbeit mit einer US-Administration Trump aussehen kann. Orbán, dessen Land noch bis Ende des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sprach bei einem Treffen der EU-Staaten im Anschluss an den EPG-Gipfel das aus, was Europa tatsächlich enorm unter Druck setzen wird: die Finanzierung der Ukraine-Hilfen. „Europa kann diesen Krieg nicht allein finanzieren“, macht Orbán klar.
In angespannten Haushaltslagen in etlichen EU-Staaten treffen solche Aussagen einen empfindlichen Nerv. Wahr ist aber auch, dass nicht nur Trump, sondern auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris mehrfach gesagt hatten, dass Europa bei den Verteidigungsausgaben deutlich zulegen muss. Nato-Generalsekretär Mark Rutte sprach bei einem Treffen mit Kanzler Scholz – vor dem Ampel-Bruch – dazu Klartext.
Derzeit erfüllt Deutschland das Nato-Ziel für Rüstungsausgaben mit rund 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rutte forderte Berlin auf, nicht nachzulassen.
Europa soll also mehr Verantwortung tragen – und ist sich nicht einig. Nervosität kommt wenig überraschend vor allem in den baltischen Staaten und Polen auf. Spätestens seit Beginn der russischen Invasion 2022 ist die Bedrohungslage für diese Staaten allein aufgrund der geografischen Nähe deutlich höher. Die Spaltung ist längst da, die Folgen noch schwer absehbar.
„As long as it takes“ – mit diesem Credo hatte Joe Biden seit 2022 die Ukraine-Hilfen vorangetrieben. Ein Satz, der im Jahr 2025 so nicht mehr gelten wird. Als eine seiner letzten Amtshandlungen vor dem Machtwechsel im Weißen Haus will Biden der Ukraine ein Finanzpaket in Höhe von 6 Milliarden US-Dollar übergeben. Es könnte das letzte sein, bevor die Hilfe auf unbestimmte Zeit unterbrochen wird. Das ukrainische Militär bleibt hingegen entschlossen: „Wir werden unser Land weiter verteidigen – mit oder ohne Amerika“.
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