Ukraine-Krieg nach Trumps Wahlsieg: Auf sich allein gestellt
Der künftige US-Präsident Trump will einen Deal mit Putin. Damit verfiele die Ukraine zum Marionettenstaat. Auch die Einheit der EU steht auf dem Spiel.
D er zukünftige US-Präsident Donald Trump hat seine Bereitschaft bekundet, mit Wladimir Putin ein Abkommen über die Ukraine zu verhandeln. Auch von immer mehr „friedensbewegten“ Politikern in Europa wird eine solche Lösung befürwortet. Doch nur Trump allein behauptet, er könne den Krieg „in 24 Stunden“ beenden.
Seine Schnelllösung enthält zwar keine Einzelheiten. Wahrscheinlich ist aber, dass der Deal, der Trump vorschwebt, darin besteht, dass Russland die besetzten Gebiete in der Ukraine, einschließlich der Krim, behält. Vermutlich gäbe es keine Sicherheitsgarantie für die Ukraine. Jedenfalls scheint Trump zu glauben, dass Putin zu seinem Wort steht. Eine Rumpf-Ukraine würde ihre Wunden lecken und weitermachen. Trump ist nicht der einzige westliche Politiker, der sich auf diese Weise dem Thema gern entledigen würde – und damit wäre die Sache vermutlich erledigt.
Für Europa ist diese Option ein No-Go: inakzeptabel wie undurchführbar. Zum einen kommen die Ukrainer in diesem Szenario nur als machtlose Opfer eines verlorenen Krieges vor. Offenbar glaubt Trump, dass dieses tapfere Volk seine Niederlage stoisch hinnehmen wird, sobald es merkt, dass der Westen es im Stich gelassen haben. Höchstwahrscheinlich bedeutet dies, dass Russland die Ost- und Südukraine als sein Eigentum anerkennt und de facto die Kontrolle über den Rest des Landes sowie über Moldau übernimmt.
Es besteht keinerlei Aussicht, dass die Ukrainer dem zustimmen werden, selbst wenn die USA ihre Unterstützung zurückziehen. Seit 2014 hat dieses Volk eine in Europa einzigartige Demokratie geschaffen. Das Engagement der Bürger für das Ethos der EU ist so groß wie in keinem anderen Land des Kontinents. Sie werden unter diesen Bedingungen nicht kapitulieren, obwohl sie, wenn sie von Europa im Stich gelassen werden, die bürgerliche Demokratie durchaus gegen eine weniger schmackhafte Ideologie eintauschen könnten. So oder so wird der Krieg nicht, wie von Trump versprochen, in 24 Stunden enden, sondern sich über Jahre in Osteuropa fortsetzen.
Eine archaische Weltordnung
Dieses Szenario bedeutet auch, dass der kollektive Westen die Errungenschaften des vergangenen Jahrzehnts aufgibt: zivile und militärische Finanzierung, das diplomatische Engagement, die Versprechen an die Ukraine und selbst die Idee der EU als Vertreterin der liberalen Demokratie und des Nachkriegsfriedens. Die Glaubwürdigkeit des transatlantischen Bündnisses steht auf dem Spiel und die Stunde der Diktatoren wäre gekommen. Die Deutungshoheit würde den Putins, Trumps, Orbáns und Xis gehören. Das Prinzip „Macht macht Recht“ würde das Prinzip einer regelbasierten internationalen Ordnung ersetzen; es würde eine neue Ära einleiten, in der Staatlichkeit, Staatsform und Staatsgrenzen das alleinige Vorrecht der Mächtigsten sind.
Die Auswirkungen in Mittel- und Osteuropa wären verheerend – auch ohne eine russische Invasion im Baltikum oder in Polen. Russland beabsichtigt wohl nicht, das transatlantische Bündnis auf diese Weise zu bekämpfen, sondern mit einer hybriden Kriegsführung, wie es sie schon seit über 15 Jahren anwendet. Eine russische Präsenz entlang der gesamten baltischen, polnischen, slowakischen und rumänischen Grenze würde es Putin ermöglichen, seine Cyberangriffe, Desinformationen und Sabotage mit größerer Schlagkraft einzusetzen und seine rechtsextremen Favoriten wie Orbáns Fidesz, die AfD und RN zu stärken.
Die Reaktionen Polens, der baltischen Staaten sowie Rumäniens auf einen Ausverkauf der Ukraine ist schwer vorherzusagen, aber es ist durchaus denkbar, dass sie wütend mit dem Bündnis brechen und auf eigene Faust zusammen mit den Ukrainern kämpfen. Nicht weniger als die Einheit der Nato und der EU steht auf dem Spiel.
Belarus-Modell für Ukraine, Georgien & Moldau
Es hat eine bittere Ironie, dass Putin selbst diese Art von Abkommen wohl nicht akzeptieren würde – oder wenn doch, dann nur, um eine stärkere Machtposition zu erlangen und dann sein Wort zu brechen, wie er es bei internationalen Verträgen immer wieder tut. Da Russland dann der starke Mann ist, fällt es schwer zu glauben, dass Putin sich auf Russlands Schlachtfeldgewinne beschränken würde. Stattdessen würde er auch Anspruch auf Charkiw, Saporischschja und Odessa erheben. (Letzteres würde ihm Moldau einbringen.)
Putin führt diesen Krieg nicht wegen eines kleinen Teils der Ukraine: Er will, dass sich die Ukraine, Georgien und Moldau ihm beugen und wie Belarus ein russlandähnliches politisches System akzeptieren – oder die Konsequenzen tragen. Sie gehören dann dem autoritären Lager an, das mit dem degenerierten liberalen Westen im Clinch liegt. Diese Entscheidung können sie selbst treffen, wie Belarus es getan hat, oder sie von Moskau treffen lassen, so oder so.
Die Folgen dieses Szenarios für Europa sind erschütternd: 5 bis 10 Millionen weitere ukrainische Flüchtlinge würden in die EU strömen. Die Ukraine selbst würde dem Verfall überlassen und in eine gesetzlose Mafiazone verwandelt, wie der Donbass, der seit 2014 unter russischer Herrschaft steht. Sollte Russland die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste kontrollieren, wäre es der Herr über die Getreidelieferungen, die Hunderte von Millionen Menschen ernähren, und hätte damit ein weiteres Druckmittel, um den weichherzigen Westen zu erpressen. Russlands Position innerhalb der Brics und anderer autoritärer antiwestlicher Bündnisse würde erheblich gestärkt, ebenso wie im Nahen Osten und in Afrika.
Da keines dieser Szenarien für Europa akzeptabel ist, muss es die USA unter Trump davon überzeugen, dass diese Lösung völlig falsch ist. Oder, falls Washington sich weigert: Trump aus dem geopolitischen und militärischen Kalkül mit Blick auf die Ukraine ausschließen. Europa wird dann auf sich allein gestellt sein und zum ersten Mal in der Nachkriegszeit sein Schicksal vollständig selbst in die Hand nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht