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Rassistische Polizeigewalt in den USADas ist der Moment

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Der Tag, an dem George Floyd beerdigt wurde, könnte eine historische Wende markieren – trotz Donald Trump und trotz des systemischen Rassismus im Land.

Historischer Tag: Beerdigung des Polizeiopfers George Floyd in Houston am 9. Juni Foto: Callaghan O'Hare/reuters

G eschichte wird geschrieben, historische Momente passieren. Oft hat man eine Ahnung davon. Heute, am Tag der Beerdigung von George Floyd, kann man eine Ahnung davon haben, dass diese Tage in den USA eine historische Wende markieren können – könnten. Trotz Donald Trump im Weißen Haus, trotz systemischen, die Gesellschaft durchdringenden Rassismus, obwohl die Gründungssünde der USA, die Sklaverei, damit nicht und niemals ausgeglichen sein kann.

Der 28. August 1963 markierte eine historische Wende in den USA. 250.000 Menschen zogen für den Marsch auf Washington durch die Straßen, für faire Bezahlung und Jobs, für Freiheit, für den Traum, den Martin Luther King dann vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C., für alle stellvertretend formulierte: Es ist und muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Im Original: „We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.“

Auch die 1964 folgenden Reformen der Johnson-Regierung waren nicht von heute auf morgen entstanden. Vorausgegangen waren die Kämpfe der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung für den Zugang zu öffentlichen „weißen“ Schulen. Legendär war die Weigerung von Rosa Parks am 1. Dezember 1955 in Montgomery im Bundesstaat Alabama, für einen „weißen“ Mann ihren Sitzplatz in einem Bus frei zu machen. Es war der Beginn der Bewegung der „Freedom Riders“, die quer durch den Süden der USA fuhren, Plätze einnahmen, die nur für „Weiße“ reserviert waren, in Bussen, an Theken, auf Toiletten.

Marsch auf Washington

Auch die Reformen von 1964 konnten nur kommen, weil die organisierte Bürgerrechtsbewegung durch die Wut und die Kämpfe auf den Straßen getragen wurde. Und weil zuvor unzählige „schwarze“ Menschen Opfer rassistischer Morde wurden. Am 15. September, knapp zwei Wochen vor dem Marsch auf Washington, starben vier Mädchen bei einem Bombenanschlag in Birmingham im rassistischen Südbundesstaat Alabama auf eine vorwiegend afroamerikanisch besuchte Baptistenkirche.

Seit Jahren wächst in den USA die Wut. Nach dem Mord an Michael Brown brannte Ferguson, nach dem Mord am 12-jährigen Tamir Rice in Cleveland war das Entsetzen im ganzen Land mit Händen greifbar. Es folgten Morde, an Eric Garner, an Bettie Jones, viele andere wurden Opfer rassistischer Polizeigewalt. BlackLivesMatter entstand und wuchs im ganzen Land zu einer kraftvollen, wütenden Bewegung. Einzelne Polizeiapparte legten Programme gegen den Rassismus in den eigenen Reihen auf. Es gibt Trainungsprogramme, Reformen und koordinierte Aktionen. Diese Maßnahmen zeigen auch Wirkung. Aber es sind noch viel zu wenige Polizeien und das alles reicht nicht. Es reicht nicht, das Morden zu stoppen.

Polizei zurückstutzen

Jetzt wird ernsthaft davon gesprochen, eine Polizei aufzulösen und neu zu strukturieren. Metropolen beschließen ein Zurückstutzen ihrer Polizeiapparate. Die Demokraten bringen mit dem „Justice in Policing Act of 2020“, „Gesetz für Gerechtigkeit in der Polizeiarbeit“, eine Gesetzesvorlage ein, die auf alle Polizeibehörden des Landes zielt. Die Polizeiführer müssten sich endlich nicht nur vor ihren Wähler.innen rechtfertigen, sondern vor dem Bundesgesetz. Die Demokraten haben nur in einem Haus des Kongresses eine Mehrheit, aber selbst die Republikaner sehen sich jetzt genötigt, ihrerseits einen Entwurf vorzulegen.

Rassismus muss strukturell bekämpft werden, in der gesamten Gesellschaft und nicht nur in den USA. Aber zuerst einmal muss das unbegreifbare Morden durch Polizisten, die in vielen Fällen unbestraft davonkommen, aufhören. Nur mit Polizeigesetzen und durch den Umbau der Polizeiapparate kann sich überhaupt etwas daran ändern. Darauf muss alle Kraft ausgerichtet sein. Damit kann Geschichte geschrieben werden. Das ist der Moment.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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6 Kommentare

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  • Wie die Gewalt in der US-Gesellschaft beendet werden kann.

    Es braucht die soziale Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe. Die soziale Gleichstellung beinhaltet keine Gleichmacherei.

    Dafür muss der gesellschaftliche Staat die Vorsorge und Verantwortung für seine Gewährleistung übernehmen: Die Ausgangslage und persönliche Entwicklung und der Zugang zur differenzierten gesellschaftlichen Arbeit eines jeden Menschen erfolgt auf vergleichbaren sozialen Grundlagen, unabhängig von den jeweiligen Eigentums- und Vermögensverhältnissen.

    Wenn eine materiell privilegierte sozioökonomische Minderheit nicht hierfür bereit ist einzustehen, dann muss der gesamt-gesellschaftliche Staat hierfür die Verantwortung für die Durchsetzung und allgemeine Gewährleistung übernehmen. Gegebenenfalls muss auch bei deren Verweigerung das Mittel der staatlichen Gewalt zum Einsatz kommen, so auch noch unter den Bedingungen der bestehenden monopolkapitalistischen Gesellschaftsordnung. So auch gegen den wirtschaftlichen, ideologischen, medialen und politischen Widerstand der nordamerikanischen Bourgeoisie, insbesondere der Vorstände der Konzerne, Finanz- und Monopolverbände, ebenso wie gegen den Widerstand der Multi-Millionäre und Milliardäre.

    Dabei stellt sich auch die berechtigte Frage: Ist eine gesellschaftliche Gleichwertigkeit für die unteren sozialen Bevölkerungsgruppen in den Vereinigten Staaten überhaupt unter der realen Macht und Herrschaft der amerikanischen Finanz-, Monopol- und Rüstungsbourgeoisie möglich? Damit muss sich (auch) die amerikanische Bevölkerungsmehrheit noch ernsthaft beschäftigen und auseinandersetzen.

    PS: Unter der derzeitigen Beibehaltung und unveränderten Fortsetzung der ökonomischen Macht und ideologisch-politischen Herrschaftsverhältnisse in den Vereinigten Staaten ist eine soziale Chancengerechtigkeit und Gleichstellung – unabhängig von der Herkunft und Hautfarbe der Menschen – nicht möglich.

  • Was mir am meisten Sorgen macht, ist der Rassismus, der sich tief im Mittelschichtssumpf verankert hat, nicht nur in den USA sondern in der ganzen Welt. Die Polizisten sind Teil dieser Mittelschicht. Rassismus ist keine dienstliche Meinung sondern zuallererst doch auch eine private. Und Rassismus ist so alt wie die Menschheit selbst. Ich bin sehr pessimistisch, dass man da wirklich durch die Krusten dringt und etwas verändern kann. Gesetze kann man ändern, Strafrecht verschärfen, Diskriminierung bestrafen........ Aber den Rassismus aus den Köpfen der Menschen zu bekommen, das erscheint mir derzeit eine regelrecht utopische Aufgabe zu sein. Es ist traurig und beschämend. Deutschland mag oberflächlich und von außen betrachtet ein besseres Beispiel zu sein als die USA, aber wenn man im Alltag die Gesellschaft hier beobachtet und Gespräche führt, erfährt man mehr über die Meinung der Menschen als einem manchmal lieb ist. Die Schamgrenze hat sich da auch verschoben bei uns - was die Leute sich trauen auszusprechen, ist viel mehr und viel schändlicher, als dass noch vor wenigen Jahren/Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Wir können alle nur hoffen, dass die Vernunft und die Solidarität siegt.

  • Ich hoffe natürlich, dass die Wende kommt. Aber ich bin skeptisch. Der jetzigen Protestbewegung fehlt eine Führung. Das mindert die Schlagkraft erheblich.

    Von den Demokraten ist so gut wie nichts zu erwarten. Sie werden wie immer ein paar kosmetische Reparaturen vorschlagen, aber sie lehnen grundlegende Reformen, die die soziale Benachteiligung der Afroamerikaner beenden würden (die Polizeigewalt ist nur eine) ab. Die Parteiführung hat mit viel Aufwand erst verhindert, dass jemand zur Wahl antritt, der das Land grundlegend reformieren will (Rassismus ist nur eine, wichtige Baustelle). Statt dessen tritt jetzt ein Mann an, der in 8 Jahren als Vizepräsident dazu beigetragen hat, dass sich bis auf etwas Kosmetik nichts ändert.

  • Die einzige historische Wende ist, dass die Morde an Afroamerikanern durch weiße Polizisten nun fast täglich geschehen.



    Gestern wurde ein Afroamerikaner von polzisten in Texas erwürgt. er sagte sogar ebenfalls mehrfach "I can´t breathe", und im Video ist sogar ein Polizist zu hören, der etwas sagt wie "I going to f...ing choke you out".



    Und heute wurde ein Afroamerikaner in New Jersey von weißen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle erschossen.



    In den deutschen Zeitungen habe ich zu keinem der Morde etwas finden können. Wie schon so oft kann ich Jornalisten nur empfehlen 24 Stunden CNN zu schauen.



    Den Topteams von CNN entgeht derzeit kaum eine Polizeigewaltszene in den USA.



    Und jeder Satz von Trump wird asugiebig kritisch diskutiert.



    Hut ab vor diesem Sender.

  • „Damit kann Geschichte geschrieben werden. Das ist der Moment.“



    Wer‘s glaubt wird selig. Ist ähnlich wahrscheinlich, wie die nach jedem Amoklauf geforderten restriktiveren Waffengesetze.

  • US Präsidentschaftswahlkampf 1964 lud amtierender Präsident Lyndon B. Johnson der Demokraten Martin-Luther King ins Weiße Haus, forderte ihn auf, sich von Anti Vietnamkrieg Protesten abzusetzen. King lehnte das ab, forderte von Johnson, endlich Voting Rights Act im Kongress durchzubringen, allgemeines Recht nichtfarbiger US Bürger*nnen an Wahlen in USA teilzunehmen. Wie auf einem Basar bot Johnson King an, wenn du eure Bewegung von Anti-Vietnamkriegs Protesten fernhälst, - die meisten US GIs in Vietnamkrieg waren afroamerikanisch -, bin ich dazu bereit. Was King wiederum ablehnte. Erst 1965 kam es zum Voting Rights Act von Johnson unterzeichnet. Da aber in USA zwar nun allgemeines Wahlrecht für alle US Bürger gilt, erwies sich der Teufel im Detail darin, dass Ausführungsbestimmungen, Zulassungskriterien für Registrierung zur Wahl, die, anders als bei uns, gesetzlich festgelegt ist, bis heute bei den Bundesstaaten liegen. Was dazu führt, dass vielen Registrierung zur Wahl erschwert wenn nicht durch bürokratischen Trickserei verhindert wird, zumal US Bürger, meist Ureinwohner der USA, Latinos, afroamerikanische US Bürger, wg Bagatellen Wahlrecht auf Lebenszeit verlieren, nach Gefängnisaufenthalten sowieso (Quelle: Bernie Sanders „Unsere Revolution“ 2016. S. 92. 357) .



    Groteske anbei, im US Bundesstaat, sog Außengebiet, Puerto Rico darf Zivilbevölkerung bis heute nicht an US Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Demokraten lassen deren Teilnahme an ihren Präsidentschaftskandidaten Vorwahl zu (Sanders S. 401).

    US Polizei ist seit Jahrzehnten militarisiert durch Immunität vor Strafverfolgung abgesichert, polizeiliches Handeln darf geheim gehalten werden. Das gilt auch für US GIs bei Auslandseinsätzen, Stationierung an weltweit Hunderten Standorten. Damit sind alle Bedingungen gegeben, sich untereinander durch alle Dienstgrade in Komplizenschaft zu zwingen, in sog Korpsgeist in der Truppe. Hinweis wieweit Demokraten Polizei Reformgesetz da Änderung vorsieht fehlt mir.