Rassismus gegen Sinti und Roma: Feindseligkeit ist Alltag

Mehmet Daimagüler ist Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung. Der Anwalt sieht tiefgreifende Diskriminierung und großen Handlungsbedarf.

Mehmet Daimagüler im Porträt

Mehmet Daimagüler ist Anwalt und seit Mai Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung Foto: Christian Charisius/dpa

BERLIN dpa | Der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung hat eine tiefgreifende Diskriminierung der Sinti und Roma in Deutschland angeprangert. „Wir haben eine rassistische Unterscheidung in den Bereichen Polizei und Justiz, Bildung, Wohnungsmarkt und Sozialverwaltung“, sagte der Beauftragte Mehmet Daimagüler der Deutschen Presse-Agentur. Auch der Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma sei nicht aufgearbeitet. Deshalb plane er für kommendes Jahr eine Wahrheits- und Versöhnungskommission.

Daimagüler bekleidet das neu geschaffene Amt seit Mai. Er äußerte sich vor dem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Montag um 11.00 Uhr. Dass der Bundespräsident dabei eine Rede halte, sei sehr wichtig, sagte Daimagüler. „Es darf halt nicht bei den symbolischen Akten bleiben.“

Die angekündigte Wahrheitskommission soll aus seiner Sicht den Mythos ausräumen, dass Ausgangspunkt der NS-Verfolgung der Sinti und Roma die angebliche Kriminalitätsbekämpfung gewesen sei. Grund sei Rassismus gewesen. „Es gibt für mich bei der Ermordung der Juden und der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten keine strukturellen Unterschiede im völkischen Wahn, in der Kaltblütigkeit und der industriellen Umsetzung des Völkermords“, sagte Daimagüler.

Sinti und Roma werden kriminalisiert

Während der NS-Zeit von 1933 bis 1945 wurden Sinti und Roma systematisch verfolgt und etwa 500.000 Angehörige der Minderheit aus ganz Europa ermordet. Daran erinnert das 1992 beschlossene und am 24. Oktober 2012 eröffnete Mahnmal in der Nähe des Berliner Reichstagsgebäudes. Heute leben Schätzungen zufolge etwa 70.000 bis 150.000 Sinti und Roma in Deutschland.

Der 54-jährige Daimagüler, Sohn türkischer Einwanderer, ist Anwalt und war unter anderem Nebenklagevertreter im Prozess gegen die Neonazi-Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Auch Sinti und Roma habe er in Hunderten Fällen von Alltagsdiskriminierung vertreten, sagte er der dpa. Seine Einschätzung: „Antiziganismus ist eine weitgehend gesellschaftlich akzeptierte Erscheinung und wird noch nicht mal als Rassismus erkannt.“

Bis heute begleite ein „Soundtrack“ den Alltag, sagte er: „Sinti und Roma sind angeblich kriminell, asozial, fremd.“ Kommunalpolitiker behaupteten, wo Sinti und Roma seien, da seien auch Ratten. Die Community werde kriminalisiert. „Diese rassistischen Stereotype führen dazu, dass Menschen nie mit der gleichen Gewissheit in Sicherheit leben können wie es andere tun“, sagte der Bundesbeauftragte.

Er fügte hinzu: „Wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus ist, ist zum Glück fast allen bewusst. (…) Im Kampf gegen Antiziganismus müssen wir auf einem sehr viel niedrigeren Niveau anfangen und zum Teil ganz grundlegende Menschenrechte einfordern.“ Es gehe um den Grundsatz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. „Wie können wir damit leben, dass viele Menschen in diesem Land ihrer Würde beraubt werden, jeden Tag?“, fragte Daimagüler.

Er führte den Fall eines elfjährigen Jungen an, der von der Polizei in Handschellen abgeführt worden sei, aber auch Feindseligkeit im Alltag. In Bonn habe er selbst miterlebt, wie ein Mann einem Rom aus Rumänien gesagt habe: „Verpiss dich aus unserem Land, bevor ich dich verbrenne.“

In seinem neuen Amt werde er alles dafür tun, den Beitrag der Community für die Gesellschaft herauszustreichen. „Es gibt keinen Bereich, der nicht von Sinti und Roma beeinflusst wurde, Musik, Kultur, Wirtschaft, überall haben Sinti und Roma ihren Anteil für das Gedeihen dieses Landes geleistet“, sagte Daimagüler. „Das ist eigentlich der schönste Teil meiner Arbeit – zu zeigen, dass bemerkenswerte Menschen bemerkenswerte Dinge machen. Darauf freue ich mich.“

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