Rassismus auf der Flucht: Flüchtende zweiter Klasse
Für die Flüchtenden, die nach Deutschland und Österreich kommen, gilt zweierlei Maß. Für Menschen aus Afghanistan und Syrien ist das bitter.
K urz bevor im vergangenen August das Chaos am Kabuler Flughafen ausbrach, schickte mir ein Freund von dort einen Brief, den er den deutschen Behörden vorlegen wollte. Er hatte als Ortskraft jahrelang mit der Nato und der Bundeswehr zusammengearbeitet, wollte klarmachen, dass er in Deutschland keine Integrationsprobleme haben werde und man ihm deshalb helfen solle, das Land zu verlassen.
Er sei finanziell abgesichert und habe genug Freunde und Verwandte, die sich um ihn und seine Familie kümmern würden. Sprachliche Hürden würde er ebenso meistern, unter anderem etwa, weil seine Muttersprache Paschto dem Deutschen ähnlich sei: „Stern“ heißt „Stori“, „drei“ heißt „dre“ und so weiter. Tatsächlich ist es so, dass Paschto und auch Farsi indogermanische Sprachen sind und viele Gemeinsamkeiten mit der deutschen Sprache aufweisen.
Als ich die Zeilen meines Freundes las, musste ich anfangs schmunzeln. Mittlerweile bin ich traurig, unter anderem auch, weil sich niemand in Deutschland für sein Engagement interessierte und er bis heute – versteckt vor den Taliban – in Kabul ausharrt. Er und seine Sprache gelten trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten hierzulande als „fremd“, „anders“ oder „barbarisch“.
Dank diverser Boulevardmedien werden Afghan:innen nämlich seit Jahren mit diesen Adjektiven versehen wie auch von weiten Teilen der autochthonen Mehrheitsgesellschaft. Gleichzeitig ist der Umgang mit ukrainischen Geflüchteten ein gänzlich anderer. Im Gegensatz zu Afghan:innen, Syrer:innen oder Somalier:innen sind sie nicht dem Druck ausgesetzt, die deutsche Sprache zu lernen. Stattdessen sind es nun sogar die Deutschen, die Ukrainisch lernen.
Emran Feroz ist österreichisch-afghanischer Journalist und Autor. Er berichtet regelmäßig aus Afghanistan und anderswo für deutsch- und englischsprachige Medien. Sein im Herbst erschienenes Buch „Der längste Krieg – 20 Jahre War on Terror“ wurde zum Spiegel-Bestseller.
Und es kommt noch besser: Ukrainer:innen ohne Schulabschluss können demnächst deutsche Universitäten besuchen. Der unterschiedliche Umgang mit den Geflüchteten ist haarsträubend. Vor gut 30 Jahren kam meine Mutter nach Österreich. Sie hatte einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und war in Afghanistan als Beamtin tätig. Aufgrund der Repressalien des damals herrschenden, kommunistischen Regimes musste sie mit ihrer Familie fliehen.
Promovierter Ökonom als Taxifahrer
In Österreich, wo ich auf die Welt kam, wurden ihre Dokumente nicht anerkannt – bis heute. Meine Mutter brachte mir die persische Schrift bei und half mir und meinen Geschwistern bei unseren Hausaufgaben. Ohne sie hätte wohl niemand von uns die Universität besucht, doch ihr eigener akademischer Hintergrund galt nichts. Andere Verwandte, Ärzte und promovierte Ökonomen wurden in Deutschland oder Österreich zum Taxifahren oder Kloputzen verdammt.
Oft werden auch ausländische Schulabschlüsse ignoriert. Viele meiner geflüchteten Freunde, die ihren Bildungsweg fortsetzen wollten, mussten sich immensen bürokratischen Hürden stellen oder mit einer Rückversetzung in die Hauptschule abfinden. Hinzu kamen in nahezu allen Fällen erheblicher finanzieller Druck sowie Kriegstraumata, um die sich niemand kümmerte. Dass bei einer Flucht Dokumente verloren gehen können, interessierte kaum jemanden.
Die Handhabe der hiesigen Behörden hat nicht nur viele Afghan:innen in die Verzweiflung getrieben, sondern auch viele andere, meist nichtweiße Menschen, die aus Konfliktregionen geflohen sind. Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung begrüßen den Umgang mit ukrainischen Geflüchteten und die massive Lockerung der berühmt-berüchtigten deutschen Bürokratie aus vollem Herzen.
Es ist richtig und wichtig, dass all den Menschen in Not, die von Putins Angriffskrieg betroffen sind, so schnell wie möglich geholfen wird. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack und die Frage, warum nicht dasselbe für „uns“ galt. Eine akademische Karriere oder eine Verbeamtung hätte meiner Mutter und meiner gesamten Familie Existenzängste erspart, die uns bis heute begleiten. Um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, mussten die Eltern nach der Flucht über ihren Schatten springen. Keine Selbstverständlichkeit.
Der Krieg in der Ukraine macht die Heuchelei und den Rassismus hierzulande nämlich nur allzu deutlich. Der erleichterte Hochschulzugang für Ukrainer:innen ist in diesem Kontext nur die Spitze des Eisbergs. In Österreich erhalten geflüchtete Menschen aus der Ukraine mittlerweile einen sogenannten Vertriebenenpass (das klingt toll und irgendwie edel), während etwa Afghanen (tatsächlich geht es hier nur um Männer) noch im vergangenen Jahr unmittelbar vor der Machtübernahme der Taliban brutal abgeschoben wurden.
Als sei in Kabul schon alles gut
Unter ihnen befand sich mein Freund Jahanzeb, der nicht nur gut Deutsch sprach, sondern fast zehn Jahre lang in meiner Heimatstadt Innsbruck lebte und dort einer geregelten Arbeit nachging. In Deutschland mussten in den vergangenen Wochen afghanische Geflüchtete ihre Unterkünfte für Ukrainer:innern freimachen. Man könnte fast meinen, dass es den Krieg in ihrer Heimat, wo tagtäglich noch immer Afghan:innen getötet werden, plötzlich nicht mehr gibt.
Diese Entwicklung war schon in den ersten Tagen des Ukrainekrieges absehbar. Nicht nur in Deutschland lobte man plötzlich die Tapferkeit der Ukrainer, deren Frauen und Kinder Unterstützung verdient hätten, während man im Mittelmeer weiterhin Geflüchtete ertrinken ließ und Männer aus Syrien oder Afghanistan als „feige“ abstempelte.
Der unterschiedliche Umgang Europas mit den weißen und nichtweißen Geflüchteten fällt übrigens auch anderswo auf. Als ich im vergangenen März in Afghanistan unterwegs war, wurde ich mehrmals darauf angesprochen. „Versteht denn niemand bei euch, wie rassistisch das alles ist?“, fragte mich ein Freund verwundert. Etwas zynisch brachte es einer meiner Kollegen auf den Punkt: „Wir sind einfach weniger wert. Nun haben wir es schwarz auf weiß.“
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