Ramadan im Schulalltag: Eiscreme kann warten
An einer Berliner Schule gehört der Ramadan zum Schulalltag. Anderswo haben es muslimische Schüler*innen schwerer.
Bis zum 12. Mai dauert der Ramadan, in dem für Muslim*innen das Gebot gilt, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder zu essen noch zu trinken. Wie für viele andere Schüler*innen der George-Orwell-Schule im Berliner Bezirk Lichtenberg heißt das für den Neuntklässler: Schulalltag und Fasten miteinander zu verbinden.
Karim Moustafa, Lehrer
Tarek, der eigentlich anders heißt, hat darin schon Erfahrung. Bereits zum dritten Mal fastet er während des Ramadans von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. „Eigentlich ändert sich am Schulalltag nicht viel, außer, dass man am Ende des Tages ein bisschen ausgepowert ist“, sagt er.
„Ich gehe ja auch ganz normal mit meinen Freunden raus wie sonst auch“. Was sich jedoch verändert: dass er die Nacht über wach bleibt, wenn er wegen des Wechselunterrichts an bestimmten Tagen zu Hause lernen soll: „Heute zum Beispiel bin ich erst um 11 Uhr aufgestanden und habe dann meine Aufgaben gemacht.“
Schule für Körper und Seele
Karim Moustafa vom Verband Muslimischer Lehrkräfte steht an jedem Tag im Ramadan früh auf: Nach Frühstück und Morgengebet beginnt er seinen Arbeitstag. „Die Kollegen dürfen sich dann nicht wundern, wenn sie schon um 5 Uhr morgens eine E-Mail bekommen“, sagt der Geschichts-, Politik- und Islamlehrer aus Nordrhein-Westfalen.
Er findet es schade, dass die christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft mit dem Ramadan häufig nur Verzicht auf Essen und Trinken verbindet. „Der Ramadan ist für Muslime eine Art Schule. Er lehrt uns, bewusster mit Körper und Seele umzugehen, gottbewusster zu leben“. Moustafa freut sich das ganze Jahr auf diesen Monat.
„Gläubige fasten, um ihre Solidarität mit armen Menschen zu zeigen, sich in Geduld und Selbstdisziplin zu üben sowie Dankbarkeit über die Gaben beim Fastenbrechen zu spüren“, sagt der in Berlin praktizierende Imam Ender Cetin. Dennoch nehme der Ramadan einen geringeren Stellenwert ein als etwa das tägliche Gebet. „Fasten wird im Koran nur 11-mal erwähnt, Fasten im Ramadan sogar nur 4-mal“, so Cetin. „Beten hingegen über 80-mal, Lernen sogar über 200-mal“.
Cetin beobachtet aber, dass der Ramadan für Jugendliche aus muslimischen Familien eine größere Rolle spielt als zum Beispiel das Gebet. „Das hat viel mit Fremdzuschreibungen zu tun. Ihr seid doch Muslime, ihr fastet doch.“ Bei den Jüngeren sehe er oft den Wunsch, es den Eltern gleichzutun. Er hält das Alter der religiösen Mündigkeit – 14 Jahre – für angemessen, um den Ramadan körperlich durchstehen zu können. Kranke, Schwangere, Menstruierende, Reisende und Kinder sind vom Fasten, das die fünfte Säule im Islam darstellt, ausgenommen.
Von Unwissenheit bis Diskriminierung
An Tareks Berliner Schule sind viele Muslim*innen. Aber auch die übrigen Klassenkamerad*innen hätten den Ramadan auf dem Schirm, berichtet Tarek. „Die Mitschüler versuchen, so wenig wie möglich vor uns zu essen. Das ist nett von ihnen.“ Andere versuchten auch, mitzufasten. „Es ist schön, dass sie sich an unserer Religion beteiligen und verstehen wollen, warum wir das machen“, sagt der Fünfzehnjährige. Auch viele der Lehrer*innen seien aufmerksam. Zum Beispiel die Physiklehrerin, die mit der Klasse Eis herstellte – und den muslimischen Schüler*innen ihre Portion nach dem Ramadan mit nach Hause gab.
Solche Erfahrungen machen längst nicht alle fastenden Schüler*innen. „Unwissenheit im Lehrer*innenkollegium ist das größte Problem“, findet Mehmet Ermayasi vom Netzwerk Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte in Nordrhein-Westfalen. „Wenn man potenziell muslimische Schüler*innen in der Klasse hat, sollte man wenigstens selbstständig googeln, was Ramadan ist und wann er beginnt“, fordert der Lehrer von seinen Kolleg*innen.
Aber auch wer sich über den Ramadan informiert hat, handele nicht unbedingt sensibel, so Ermayasi. „Sich vor die Klasse zu stellen und zu fragen, wer fastet, ist irritierend, weil das schon in die Privatsphäre der Schüler*innen geht. Dann auch noch zu kommentieren, dass das ungesund sei – geht wirklich gar nicht, weil da mindestens unterschwellig eine Bewertung mit drinsteckt“, so Ermayasi.
Ähnlich sieht es auch Karim Moustafa vom Verband Muslimischer Lehrkräfte: „Es bevormundet und unterstellt muslimischen Schüler*innen und Lehrer*innen, dass sie nicht selbst wissen, was gut für sie ist.“ Und Maryam Kamil Abdulsalam vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen sagt: „Viele Schüler*innen berichten mir von einem ständigen Rechtfertigungsdruck für ihr Fasten.“ Dabei dürfe Schule eigentlich gar nicht eingreifen, weil das Fasten unter die Privatsphäre und Religionsfreiheit der Schüler*innen falle, so die Juristin: „Da müssen sich Lehrer*innen zurücknehmen.“
Schüler*innen machen Ramadan zum Thema
Lehrer Ermayasi sieht gerade in Klassen mit mehrheitlich christlich sozialisierter Schüler*innenschaft die Gefahr, muslimische Kinder mit offensiven Fragen nach dem Fasten zu stigmatisieren. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Muslim*innen eine verletzbare Minderheit in einer christlichen Dominanzkultur darstellen.“ Es gehöre zur Lebensrealität der Schüler*innen, ihren Alltag einfach weiterzumachen.
Dem stimmt auch Tarek zu. Und dennoch ist in den Berliner Bezirken, wo viele Muslim*innen leben, einiges anders. „Der Ramadan gehört mit zur Schule in Neukölln – und das schon seit Jahren“, sagt Markus Pieper, der die dortige Schulaufsicht leitet. „Darauf muss man unbedingt eingehen und das wird in vielen Schulen ganz deutlich.“ Oft machten die Schüler*innen den Ramadan selbst zum Thema.
Wann Nachfragen der Lehrer*innen zum Fasten der Schüler*innen grenzüberschreitend werden, hängt laut Pieper vom Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler*in ab. „Ich halte es aber schon für die pädagogische Verantwortung von Lehrkräften, dass sie darauf eingehen, wenn Schülerinnen und Schüler besondere Probleme haben und dann möglicherweise auch nachfragen, ob das Fasten ein Grund sein kann.“
Denn Auswirkungen auf den Schulunterricht habe der Ramadan allemal – zum Beispiel, wenn Schüler*innen übermüdet in die Schule kommen, weil sie am Vorabend lange mit der Familie wach waren, oder sich nur wenig konzentrieren können, weil sie nichts getrunken hätten. Imam Cetin berichtet von Kollegen, die strengere Lehrmeinungen vertreten, und davon überzeugt sind, dass Kinder schon mit sieben oder acht an das Fasten herangeführt werden sollten. Das stelle vor allem Grundschulen vor Probleme.
Konflikte durch Religionsausübung selten
Aber dass der Ramadan mit der Schulpflicht kollidiert, hat Markus Pieper von der Neuköllner Schulaufsicht noch nicht erlebt. Und auch sonst seien die Fälle, in denen durch eine besonders strenge Auslegung des Koran Konflikte zwischen Familien und Schule entstehen, selten.
In Zusammenarbeit mit verschiedenen Neuköllner Moscheen haben das dortige Bezirksamt und die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Empfehlungen für die Schulen veröffentlicht. Ihr Ziel: die Vereinbarkeit von Schule und religiösen Pflichten für die Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Zu den zwölf Punkten gehört der Grundsatz, dass das Fasten unterbrochen werden kann, wenn gesundheitliche Probleme auftreten, ebenso wie fastende Schüler*innen nicht zu diskriminieren.
„Ramadan und Schule ist für alle Beteiligten jedes Jahr ein heikles Thema“, sagt Aliyeh Yegane von der Anlauf- und Fachstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS). Viele Fälle von Diskriminierung werden nicht gemeldet und eher indirekt bekannt – auch, weil die Betroffenen aus Sorge vor schulischen Nachteilen vor einer Beschwerde zurückschrecken. Zum Beispiel wenn ein Sportlehrer den fastenden Schüler*innen sagt, dass er auf ihren Glauben keine Rücksicht nehmen könne.
„Diese Haltung, dass muslimische Schüler*innen kein Entgegenkommen erwarten dürften, zeigen Lehrkräfte zum Teil offen“, sagt Yegane. Das liege auch daran, dass der Islam in weiten Teilen der Gesellschaft als rückständige Religion gesehen werde und deshalb auch nicht an allen Schulen willkommen sei. Häufig bezweifelten Lehrkräfte, dass Kinder aus freien Stücken fasten wollten. „Das zeigt, wie schnell viele bei Islam auch Zwang mitdenken.“
Institutionelle Diskriminierung
Manchmal komme es auch zu institutioneller Diskriminierung. Wie im Fall einer weiterführenden Schule, die die Eltern zu Beginn des Ramadan in einem Brief informierte, dass das Fasten im Unterricht wegen des Kindeswohls nicht zu tolerieren sei. „Das kam einem Verbot gleich und das darf die Schule ja wegen des Verfassungsrechts auf Religionsfreiheit nicht ohne Weiteres und eigenständig aussprechen“, so Yegane.
Später habe die Schulleitung nach Gesprächen mit Eltern und ADAS-Mitarbeiter*innen dies auch eingesehen. Juristin Kamil Abdulsalam berichtet von Fällen, bei denen Schüler*innen die in den Schulgesetzen verankerte Schulbefreiung am ersten Tag des Ramadanfestes verwehrt wurde – insbesondere wenn Klassenarbeiten geplant sind. „Für die Kinder ist das natürlich sehr traurig.“
Von Prüfungen an muslimischen Feiertagen hält Markus Pieper nichts. „Wir würden ja auch nie auf den Gedanken kommen, Klassenarbeiten auf christlich religiöse Feiertage zu legen.“
Für die Zukunft hofft Ermayasi, dass sich mit der Lehrer*innenausbildung auch die Realität an den Schulen verändert: „Diversitätssensibilität und Rassismuskritik gehören in die Lehrer*innenausbildung und dass Lehrkräfte für die Lebensrealität ihrer Schüler*innen sensibilisiert werden“, so Ermayasi. „Da besteht viel Nachholbedarf.“
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