R2G oder Schwarz-Grün im Bund: All die sozialen Fragen
Die SPD hat mit Scholz den ersten Move zum Wahlkampf gemacht, von links kam milde Unterstützung. Kann der grüne Traum von Schwarz-Grün noch aufgehen?
D ass der amtierende Bundesfinanzminister Olaf Scholz pannenfrei zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt werden konnte und dies auch nach fünf Tagen den Selbstzerstörungstrieb der Sozialdemokraten noch nicht aktiviert hat, kann natürlich als Erfolg durchgehen. Tatsächlich pampte etwa CSU-Chef Markus Söder, kein Mensch brauche jetzt schon Wahlkampf.
Linkenchefin Katja Kipping war besser gerüstet. Sie sagte zu Scholz’ Ausrufung: „Ich bin nicht die Zielgruppe.“ Sollte heißen: Die SPD darf mit diesem Ultra-Pragmatiker der Union gern Stimmen abjagen, solange er auch pragmatisch genug für eine rot-rot-grüne Koalition ist. Was Scholz immerhin nicht rundheraus verneinte.
In Kippings überraschender Milde tauchte ein Motiv auf, das bei den Grünen vor Jahren den gedanklichen Weg von Rot-Grün nach Schwarz-Grün zu ebnen half: Statt in einer „Projektkoalition“ gemeinsame Werte hochzuhalten (und dadurch nur Enttäuschungen zu produzieren), muss man sich in einer „Ergänzungskoalition“ bloß die Jobs aufteilen – jeder macht seins, quasi. Das wird der Linkenchefin in ihren Reihen noch Ärger machen.
Glückliche Grüne – sie müssen sich jetzt nur zurücklehnen, können den rot-rot-grünen Verrenkungen von SPD und Linkspartei zusehen und sich die Fingernägel lackieren, sollte man meinen.
Farbenspiel frei
Denn: An den Grünen führt zur Regierungsbildung nach der Wahl im kommenden Jahr sowieso kein Weg vorbei. Der Klimawandel schaufelt ihnen wie von selbst Aufmerksamkeit und Wähler*innenstimmen zu – die Grünen-Spitze muss bloß regelmäßig in die Kamera flöten, dass es „für Farbenspiele zu früh“ sei und den Grünen „Inhalte vor Koalitionsoptionen“ gingen.
Das wirkt natürlich sehr souverän, birgt aber auch ein paar Risiken. Koalitionen werden nicht vor Kameras vorbereitet. Sondern unter anderem in persönlichen Gesprächen zur Vertrauensbildung. In Konzepten, die auf Anschlussfähigkeit hin gebürstet werden. In der Wortwahl, die von rituellen Beschwörungsformeln befreit wird (etwa wenn eine Linke einen Sozialdemokraten nicht mehr „Agenda-2010-Politiker“ nennen muss). Da gibt es schon so etwas wie zarte Hinweise, mit wem eine Partei gern regieren möchte.
Bei den Grünen ist derzeit vor allem zu erkennen, dass sie sich auf Schwarz-Grün vorbereiten.
Nicht mehr nach Corona
Je länger sie nun die Werbegesänge von SPD und Linkspartei ignorieren, desto stärker könnte etwa der Eindruck werden, dass die Grünen auf eine rot-rot-grüne Agenda mit all den Umverteilungsansprüchen von links und halblinks schlichtweg keine Lust haben. Nun wäre das im Prinzip bis Tag eins vor Corona vielleicht so grade noch gutgegangen – nicht aber angesichts der sich nun mehrenden Nachrichten, was die Pandemie kurz- bis langfristig auf dem Arbeitsmarkt anrichtet. Von der Frage, wer die vielen Milliarden Corona-Staatshilfen am Ende bezahlt, einmal ganz abgesehen.
Je drängender die Sozialpolitik aktuell wieder wird, desto stärker wird an dieser Stelle das altvertraute Glaubwürdigkeitsloch der Grünen auffallen: Was mit der Union in einer Koalition möglich wäre, hat mit den eigenen so liebevoll gestrickten Parteitagsprogrammen (Kindergrundsicherung! Vermögensteuer!) nicht mehr viel zu tun.
Doch auch auf ihrem tatsächlich ureigenen Terrain, der Umwelt- und Klimapolitik, wird es schwer für die Grünen, sich der Koalitionsfrage bis zum Wahltag zu entziehen. Möglicherweise werden ihre wichtigsten Verbündeten – die Fridays-for-Future-Bewegung – noch auf die Idee kommen, dass R2G klimapolitisch mehr reißen würde als Schwarz-Grün. Ob die FFF-Jugend ohne jede Richtungsansage da noch freiwillig Wahlkampf für die Grünen macht?
Aktuell mögen auch die Grünen Koalitionsfragen noch schadlos als Farbgeplänkel abtun; auf Dauer aber kostet auch das Glaubwürdigkeit.
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