Putins Atomwaffen-Drohung: Spiel mit der Angst

Es wächst die Sorge vor einem Atomkrieg. Bisher aber handelt Putin noch rational. Angst darf nicht dazu führen, dass wir seine Gewalt tolerieren.

Ein Videostill zeigt den Start einer Rakete

Russische Militärübung als Propaganda in einem Video vom 19. Februar Foto: Russian Defence Ministry/Reuters

Ist es egoistisch, in diesen Tagen über die eigene Angst zu schreiben? Müssten wir nicht einfach nur Mitleid fühlen mit den Menschen in der Ukraine, die von den erbarmungslosen Angriffen der russischen Armee unmittelbar betroffen und von ihnen bedroht sind?

Wer auch nur einen Funken Mitgefühl für menschliches Leid empfindet, kann nicht wegschauen bei den Bildern aus einem Krieg, in dem Wladimir Putin ganz offensichtlich ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung schießen, bomben, töten lässt. Die Vorstellung, wie Familien in U-Bahn-Schächten sitzen und nur noch hoffen, die nächste Nacht zu überleben, kann niemanden kaltlassen.

Die Gewalt und die Bedrohung der gesamten Ukraine ist so akut schrecklich, dass dahinter alles andere irrelevant wirkt, auch die eigene Sorge vor den möglichen weiteren Folgen dieses Krieges. Einfach nur zuzuschauen, ist keine Option, wenn wir künftig nicht in einer Welt leben wollen, in der sich die Barbarei ungebremst durchsetzt. Nur was hilft jetzt wirklich weiter, außer erster Hilfe für Geflüchtete, außer den Appellen, Solidaritätsbekundungen und Sanktionen?

Das alles ist wahrscheinlich richtig und das Mindeste, was der Rest der Welt jetzt tun muss. Aber – und das ist so niederschmetternd: All das scheint ja nichts auszurichten, der Krieg geht weiter. Das macht ratlos.

Hilfsreflex wird stärker werden

Hat es also Sinn, die eigene Angst vor Putin und seinem Atomarsenal, mit dem er offen droht, zu verdrängen und dem immer dringenderen Impuls zu folgen, den Ukrai­ne­r:in­nen direkt zu helfen, koste es, was es wolle? Also auch militärisch? Bisher scheint das niemand ernsthaft zu erwägen, aber je brutaler Putin in der Ukraine zuschlägt, desto stärker wird dieser Hilfsreflex werden.

Und dann sind wir wieder bei der Angst. Genauer gesagt, bei der Angst vor einem Atomkrieg. Denn, seien wir ehrlich: Diese Angst ist da. Sie wird nicht immer offen ausgesprochen, aber sie schwingt bei vielen Gesprächen am Küchentisch genauso mit wie bei zunehmend panischen Posts in den sozialen Netzen, in denen der Hashtag #Atomkrieg trendet.

Wie bedingungslos folgen die Militärs?

Und diese Angst ist nicht nur privat, sie ist auch politisch. Denn wenn es darauf ankommt, hält sie auch die Nato davon ab, Putin militärisch aufzuhalten. Also müssen wir uns der Frage stellen: Ist diese Angst berechtigt? Darauf gibt es leider keine klare Antwort, weil bekanntlich niemand weiß, was in Putins Kopf vorgeht und wie bedingungslos ihm seine Militärs im Extremfall folgen würden.

Zunächst die schlechte Nachricht: Die Gefahr ist durchaus real. So falsch die Vergleiche des bisherigen Vorgehen Putins mit dem Wahnsinn Hitlers sind, weil sie den Holocaust verharmlosen, so lässt sich leider nicht bestreiten: Putins heutiges militärisches Zerstörungspotenzial ist ungleich höher.

Putin kann nicht allein den Knopf drücken

Nun die halbwegs gute Nachricht: Nein, Putin kann nicht einfach in einem Wutanfall allein und ohne Rücksprache auf den roten Knopf drücken. Dagegen gibt es Sicherungen. Dazu braucht auch Putin mehrere Menschen, die Codes eingeben müssten. Außerdem handelt er bisher, bei aller Grausamkeit, noch rational. Wäre er komplett verrückt und selbstmörderisch, hätte er die Ukraine oder auch andere Länder schon zerstören können. Aber die Angst deshalb komplett beiseite zu schieben und alles zu riskieren, würde auch der Ukraine langfristig nicht helfen. Denn in einem totalen Krieg würde auch sie erst recht untergehen.

Bisher spielt Putin nur mit unserer Angst. Sie soll uns lähmen. Das dürfen wir nicht zulassen. Sie darf nicht dazu führen, dass wir seine Gewalt tolerieren. Wir müssen den Ukrai­ne­r:in­nen helfen, so weit es nach menschlichem Ermessen noch kalkulierbar ist. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

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