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Proteste nach Lina-E.-UrteilZittern vor „Tag X“

Nach ihrer Haftverschonung ist Lina E. zurück in Leipzig. Die Polizei dort rüstet sich für einen Großeinsatz am Samstag, die Stadt verhängt ein Demoverbot.

Nach der Urteilsver­kündung im Verfahren zu Lina E.: Proteste am Mittwochabend in Berlin Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Es war ihr erster Tag wieder in Freiheit. Und Lina E. verbrachte den Donnerstag laut ihrem Anwalt in Leipzig, wo sie bis zu ihrer Verhaftung vor zweieinhalb Jahren im Stadtteil Connewitz wohnte. Ein Termin habe die 28-Jährige dabei auch zum örtlichen Polizeirevier geführt, um erstmals ihre Meldeauflage zu erfüllen: Zu zeigen, dass sie noch vor Ort ist.

Am Abend zuvor war die linke Studentin für viele überraschend aus der U-Haft entlassen worden – ganz am Ende einer rekordverdächtigen, neuneinhalbstündigen Urteilsverkündung in dem Prozess gegen sie und drei Mitangeklagte. Anderthalb Jahre hatte das Oberlandesgericht Dresden gegen das Quartett wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und sechs schweren Angriffen auf Rechtsextreme verhandelt. Am Ende verurteilte das Gericht Lina E. zu 5 Jahren und 3 Monaten Haft, ihre Mitangeklagten zu Haftstrafen bis zu 3 Jahren und 2 Monaten.

Die Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. noch acht Jahre Haft gefordert. Das Gericht hielt es aber nur bei vier der sechs Angriffe für nachweisbar, dass die Studentin daran beteiligt war. Auch ihre angeklagte Rädelsführerschaft verneinten die RichterInnen: Lina E. habe zwar eine „herausgehobene Rolle“ in der kriminellen Vereinigung gehabt, aber nicht „prägend“ genug, um als Anführerin zu gelten.

Dann hob das Gericht E.s Haftbefehl auf: Weil diese als bisher nicht Vorbestrafte mit einer Haftentlassung nach zwei Dritteln der Strafe rechnen könne und bereits zweieinhalb Jahre Haft verbüßt habe, sei derzeit nicht mehr von einer Fluchtgefahr auszugehen. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, muss Lina E. die Reststrafe verbüßen.

Das Gericht verhängte bis dahin Meldeauflagen: Zweimal wöchentlich muss sich Lina E. nun auf dem Leipziger Polizeirevier melden und musste ihre Ausweispapiere abgeben. Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen vor einer Haftverschonung von Lina E. gewarnt, vor allem wegen ihres seit drei Jahren abgetauchten Verlobten, der sich auch an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt haben soll.

Auch international wird zur „Tag X“-Demo aufgerufen

Derweil ruft die linksradikale Szene zum Großprotest wegen der Urteile im Lina-E.-Prozess auf: Am Samstag soll eine „Tag X“-Demonstration in Leipzig stattfinden, die auch international beworben wird. Zudem gibt es einen Aufruf von Autonomen, für jedes verhängte Haftjahr 1 Million Sachschaden zu verursachen – und verhängt wurden 13 Haftjahre.

Die Leipziger Polizei bereitet sich nach eigener Auskunft auf einen ihrer größten Einsätze seit Jahren vor. Polizeikräfte aus mehreren Bundesländern und von der Bundespolizei sollen anrücken, auch Polizeihubschrauber und stationäre Kameras zum Einsatz kommen. Von Freitagabend bis Sonntagabend gilt zudem ein „Kontrollgebiet“ im Stadtzentrum. Kontrolliert werden sollen auch Pkw- und Bahnanreisen in die Stadt.

Die Leipziger Polizei begründet die Vorbereitungen mit „Aufrufen zu Militanz und zum Teil massiven Gewaltankündigungen“. Man stelle sich auf einen „teilweise unfriedlichen Verlauf mit hohem Schadenspotenzial“ ein. Erschwert wird der Einsatz, weil am Samstag in Leipzig auch ein Stadtfest, ein Großkonzert von Herbert Grönemeyer und das Sachsenpokalfinale stattfinden. Die Polizei appellierte auch an Autohäuser oder Baufirmen, Schutzmaßnahmen zu treffen, da sie zum Ziel autonomer Angriffe werden könnten.

Die Stadt verkündete am Donnerstagabend dann schließlich ein Verbot der Demonstration. Nach den Polizei- und Verfassungsschutzprognosen sei von einem „unfriedlichen Versammlungsverlauf“ auszugehen, der die „öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährden“ würde. Nur ein Verbot des Aufzugs könne dies verhindern. Die autonome Szene hatte aber bereits in Aufrufen klargestellt, auch im Falle eines Verbots am Samstag in der Stadt protestieren zu wollen.

Wüste Demonstrationen bereits nach dem Urteil

Bereits am Mittwochabend, nach dem Urteil in Dresden, war es zu Demonstrationen in mehreren Städten gekommen. In Leipzig, Dresden oder Bremen kam es zu Würfen von Steinen, Flaschen und Pyrotechnik auf Beamte. In Leipzig wurde zudem ein Hubschrauberpilot mit einem Laserpointer geblendet.

Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sprach von „brutalen Angriffen“, die ihn „erschüttern“. Es sei „bitter“, dass Lina E. nun frei sei, Linksextreme sich auf Gewalt vorbereiteten und die Polizei deren Demonstrationen schützen müssten.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte vor „gesunkenen Hemmschwellen“ in der linksextremen Szene und „äußerster Brutalität“ gesprochen. Die Sicherheitsbehörden würden die Szene in den kommenden Tagen und Wochen „noch stärker in den Fokus nehmen und konsequent einschreiten, wenn es zu Straf- und Gewalttaten kommt“.

Union warnt vor „Racheterror“

CDU-Innenexperte Alexander Throm sagte der taz, die Strafhaft für Lina E. bedeute, „dass Deutschland ein Stück weit sicherer wird“. Nun müsse man wachsam sein und dürfe „den Linksextremisten keine Chance für ihren angekündigten Racheterror geben“. Auch die Letzten in der Ampel, „die den linksextremen Terror verharmlosen“, müssten nun „aufwachen“, so Throm.

Timon Dzienus, Vorsitzender der Grünen Jugend, twitterte dagegen, der Prozess gegen Lina E. sei „völlig übertrieben und auf fragwürdigen Indizien beruhend“. Auch die sächsische Juso-Vorsitzende Mareike Engel sprach von „gezielten Repressionen gegen Antifaschist*innen“, die mit dem Lina-E.-Urteil „einen ihrer Höhepunkte erreichen“.

Auch Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von Lina E. hatten die Urteilsverkündung im Gericht mit Unmutsrufen begleitet. Justizwachleute reagierten darauf teils rabiat. Die Verteidigung von Lina E. kündigte bereits Revision an: Die Haftstrafe sei „in keiner Weise akzeptabel“.

Die Haftverschonung am Ende des Prozesstages quittierten die Zuhörenden dagegen mit Applaus, Lina E. selbst rang um Fassung. In dem Prozess hatte sie zuvor Aussagen zu den Vorwürfen verweigert, aber angekündigt, nach einer Haftentlassung ihr Studium der Erziehungswissenschaften fortzusetzen oder die in der JVA begonnene Tischlerinausbildung. Als sie am Mittwochabend das Gericht verließ, umging sie wartende Fotografen und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen und brauste im Auto ihres Anwalts davon. Bisher wird daher auch nicht damit gerechnet, dass sie am Samstag auf der „Tag X“-Demonstration oder anderen Kundgebungen auftaucht.

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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • @JIM HAWKINS

    Genau so. Erschreckend ist nicht, dass manche bei der Antifa wütend sind. Das bin sogar ich.

    Erschreckend ist, wie heiss sich Innenbehörden und Polizei die Gewalt herbeisehnen. Es knistert geradezu. Die lassen keine Provokation aus.

    Hört man Faeser reden, dann träumt sich die bleierne RAF-Zeit geradezu herbei.

    Das ist, was all diese Forist*innen hier mit "keine Gewalt für niemand" zu übersehen scheinen.

    Zu abgestumpft?

  • Kleiner Vorgeschmack: Die Linke Landtagsabgeordnte Nagel wurde bei einer Demonstration zum Weltkindertag in Leipzig brutal in Handschellen gelegt. Ein Polizist sagte ihr. Interessiert mich nicht, dass sie Landtagsabgeordnete sind.

    twitter.com/lzo_me...3445576707/video/1

  • Erfahrungsgemäß bedeutet ein derartig betriebener Aufwand seitens der Polizei und der Politik, dass es auf jeden Fall knallen wird.

    Selbst wenn sich die gesamte Antifa friedlich wie die LG verhalten würde. Womit wohl allerdings auch nicht zu rechnen ist.

    • @Jim Hawkins:

      Naja wenn 13 Millionen das Ziel ist, dann muss es wohl knallen, selbst wenn die Polizei nur aus Wirtschaftsmediatoren bestehen würde.

  • 9G
    93042 (Profil gelöscht)

    Gewalt jenseits des demokratisch beschlossenen Gewaltmonopol des Staates muss geahndet werden. Warum aber Rechte, wenn sie Asylbewerberunterkünfte anzünden und Menschen anderer Hautfarbe totschlagen, oft mit keinerlei Strafe davon kommen, muss man mir bitteschön erklären.

  • Keine Gewalt! Auch nicht von links

  • Ein Demoverbot ist m.M. nicht wirklich fundiert. Das bedeutet, dass die Sicherheitslage so schlecht ist, dass diese Demonstranten dann die öffentliche Sicherheit aushebeln könnten. Stimmt das? Oder wollen die einfach eine bestimmte Demo nicht? Da hätte ich echt einige Fragen.



    Das Recht auf Versammlung so einzuschränken.

    P.S. Ich wünschte, dass dieser Protest absolut friedlich bliebe.

    • @Andreas_2020:

      Addieren Sie mal zu den unvermeidlichen Schwarz-Weiß-Denkern, die es sich einfach nicht nehmen lassen werden, das Urteil als "Kriegshandlung" des Schweinesystems zu begreifen, das nach entsprechend (straßen-)kriegerischer Antwort schreit:

      - mehrere Massenveranstaltungen, wo sich u. a. die treffen, die auf so eine "Antwort" nur warten, um ihrerseits antworten zu können

      - eine Demo, die nicht nur von gewaltbereiten Rechten als Unterstützung von gewalttätiger Sebstjustiz gesehen wird

      - Teilnehmer dieser Demo, die das AUCH so sehen und entsprechend positiv über aus ihrer Sicht berechtigte "Gegengewalt" denken

      - Fußball mit mehrfacher lokalpatriotischer Aufladung als Thema von gleich zwei der drei Großveranstaltungen.

      Ergebnis: Ein zigtausend Menschen starkes Pulverfass mit einer vorgewärmten Lunte, für die besagte Schwarz-Weiß-Denker mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinichkeit den Zündfunken liefern werden. Der Konjuntiv Zwo (vulgo "Irrealis") in Ihrem PS kommt ja nicht von ungefähr.

      Und was ihre schnippische Bemerkung zur Sicherheitslage betrifft: Warum sollte ein freiheitlich demokratischer Staat so viele Polizisten haben, die so schwer bewaffnen und mit so freier Hand bei der Nutzung dieser Bewaffnung ausstatten, dass er ein derartiges Pulverfass locker kontrollieren könnte? Es gibt solche Länder, aber die gelten hierzulande als repressive Polizeistaaten.

  • Und die Union übernimmt Mal wieder die Sprache der FaschistInnen.



    Nicht Deutschland wird ein Stück sicherer, sondern Nazis. Und hier von Terror zu schwafeln, halte ich auch für reichlich übertrieben. Das weicht den Begriff nur auf.

  • 13 Mio Sachschaden, das wurde sicherlich gründlich durchdacht:

    - Die eine Hälfte des politischen Spektrums kann darauf zeigen und "den Stopp der Appeasementpolitik gegenüber Linksextremisten" fordern



    - Die Schäden müssen repariert werden, das bedeutet Aufträge für die Wirtschaft.



    - Die 13 Mio (vermutlich mehr) müssen irgendwie aufgebracht werden. Wer glaubt dass das Geld bei Justiz/Polizei/Wirtschaftsförderung/... eingespart wird möge bitte die Hand heben.

  • Ich finde es irgendwie ekelhaft wie hier von den immer Gleichen Gewalt vorher herbeigeredet wird.



    Die größte Schmach für die Scharfmacher der Konservativen und Rechten wäre ein friedlicher Verlauf der Demos. Ein paar sind ja immer dabei, auch Provokateure aus welcher Motivation auch immer, aber die meisten Leute lassen sich hoffentlich nicht provozieren und bleiben friedlich. laßt euch durch die Polizei vor den Rechten schützen, da könnte Politik und Polizei zeigen, was sie kann,

  • Die Gemengelage ist am Samstag mehr als brisant. Das Sachsenpokalfinale bestreiten mit Lok Leipzig und dem Chemnitzer FC zwei Vereine, aus deren rechten Hooligan-Szenen etliche Mitglieder am brutalen Überfall auf Connewitz 2016 beteiligt waren. Das Geschehen damals hat maßgeblich zur Radikalisierung in der linken Szene beigetragen. Teile der gewaltbereiten Anhängerschaft der BSG Chemie überschneiden sich nicht unwesentlich mit dem linksradikalen Milieu von Leipzig.

    Dazu nen Haufen Großveranstaltungen, wie das Stadtfest und das Public Viewing zum DFB Pokalfinale mit Beteiligung des Leipziger Dosenvereins, die ebenfalls von der Polizei gesichert werden müssen. Kann man nur hoffen, dass es zu verhindern gelingt, dass sich die beiden politischen Lager begegnen können.