Proteste nach Lina-E.-Urteil: Klage gegen Verbot der „Tag X“-Demo
Darf die linksautonome Szene am Samstag in Leipzig demonstrieren? Diese Entscheidung fällt vor Gericht. Die Organisatoren klagen gegen das Verbot.
LEIPZIG dpa/taz | Die Organisatoren der „Tag X“-Demonstration in Leipzig wehren sich juristisch gegen das Verbot durch die Stadt. Es sei ein Eilantrag gegen das Verbot eingegangen, sagte der Sprecher des Verwaltungsgerichts Leipzig, Dirk Tolkmitt, am Freitag. Der zuständige Senat werde im Laufe des Tages darüber entscheiden.
Die Polizei bereitet weiterhin einen Großeinsatz für Samstag vor. Schon ab Freitag 18.00 Uhr gilt ein sogenannter Kontrollbereich, der große Teile des Stadtgebiets im Osten, Süden und Westen Leipzigs umfasst. Dort kann die Polizei ohne besonderen Anlass Menschen anhalten und kontrollieren.
Die Stadt Leipzig hatte die für Samstag geplante „Tag X“-Demo mit dem Motto „United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen!“ am Donnerstag verboten, weil ein unfriedlicher Verlauf zu befürchten sei. Grundlage dafür sind Gefahrenprognosen der Polizei und Lageeinschätzungen des Verfassungsschutzes. In linken Kreisen war bundesweit mobilisiert worden. Laut Polizei gibt es auch Gewaltandrohungen und Aufrufe zur Militanz.
Der „Tag X“ ist eine Reaktion auf die Verurteilung der Studentin Lina E. und den drei Mitangeklagten wegen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Neonazis. Das Quartett war am Mittwoch vom Oberlandesgericht Dresden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden wegen Körperverletzung und Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Lina E., die seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft saß, kam nach der Urteilsverkündung vorläufig frei.
Am Mittwochabend hatte es eine Soli-Demo für Lina E. gegeben. Sie war gleich zu Beginn wegen Auflagenverstößen und deutlich überhöhter Teilnehmerzahl gestoppt worden. Danach eskalierte die Situation kurzzeitig. Es wurden Steine und Böller auf Polizeibeamte geworfen.
Polizeimaßnahme gegen Linken-Abgeordnete
Am Donnerstagabend geriet die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel als Anmelderin einer Jugenddemo am Kindertag in eine polizeiliche Maßnahme. Die Polizei Sachsen begründete den Zugriff auf Twitter damit, es stehe „die Störung einer Amtshandlung im Raum“.
Nagel, die auch Stadträtin in Leipzig ist und die Demonstration aus Anlass des Kindertages angemeldet hatte, äußerte sich am späteren Donnerstagabend in einem Video zu dem Vorfall. Sie habe eine Maßnahme beobachtet, in der die Polizei die Identitäten zweier Menschen festgestellt habe. „Ich stand dort, ein Polizeibeamter hat mich erst beleidigt oder beschimpft. Dann hat er mich aus dem Weg geschubst. Dann ist ihm eingefallen, dass ich ihn angeblich tätlich angegriffen haben soll.“
Sie sei dann in Handschellen gelegt und relativ brutal zu einem Polizeiauto geschleppt worden. „Im Polizeiauto ist mir auch gesagt worden, dass es den Beamten scheißegal ist, ob ich eine Abgeordnete bin.“ Schließlich sei sie nach einer Identitätsfeststellung wieder freigelassen worden.
Videobilder vom Vorgehen der Polizei lösten heftige Kritik aus. In den sozialen Netzwerken wird der Polizei, dem Innenministerium und der Stadt Leipzig vorgeworfen, die Situation rund um den „Tag X“ zu eskalieren. Ein Polizeisprecher wies darauf hin, dass bei der Jugenddemo zahlreiche polizeifeindliche Sprüche gerufen worden seien.
„Polizeigewalt und eskalierendes Vorgehen gegen eine friedliche Demonstration von überwiegend Kindern und Jugendlichen ist nicht hinnehmbar“, kritisierten die sächsischen Linken-Landesvorsitzenden Susanne Schaper und Stefan Hartmann. Den sächsischen Landesinnenminister Armin Schuster forderten die beiden auf, „die polizeilichen Einsatzkräfte zurück auf den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu holen“.
Treffen mit Polizeipräsidenten
Nach Polizeiangaben traf sich Juliane Nagel am Freitag mit Schuster und dem Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler zum Gespräch. Dabei habe man sich sachlich und kritisch mit dem Polizeieinsatz am Donnerstag und der Versammlung auseinandergesetzt. Für den Fall, dass tatsächlich ein Beamter es „als ihm egal“ dargestellt habe, als sich Nagel auf der Demo als Abgeordnete zu erkennen gegeben hatte, bat Demmler die Linken-Parlamentarierin um Entschuldigung.
Die Beteiligten seien sich einig gewesen, dass vor dem „Tag X“ Verunsicherung und Ängste vor Ausschreitungen bestünden und Deeskalation das Gebot der Stunde sein müsse, so die Polizei Sachsen. Im Zusammenhang mit dem „Tag X“-Verbot rückte auch der Freitagabend in Leipzig in den Fokus der Aufmerksamkeit. Im Stadtteil Connewitz wurde am Abend zu einem „Massencornern“ aufgerufen. Verschiedene Antifa- und Anarchie-Accounts warben dafür, sich „die Straßen zu nehmen“. Solidarität lasse sich nicht verbieten, heißt es in den Aufrufen.
Außer dem „Tag X“ stehen am Wochenende in Leipzig etliche andere Großveranstaltungen an. Es ist Stadtfest, Herbert Grönemeyer gibt ein Konzert vor Zehntausenden Besuchern und am Samstag spielen Lok Leipzig und der Chemnitzer FC um den Sachsenpokal. Eine Absage dieses Fußballspiels war überlegt, aber dann verworfen worden.
Leser*innenkommentare
Martin Rees
Déjà-vu: Irgendwie kommt mir da was bekannt vor.
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www.wa.de/nordrhei...iehen-1687598.html
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Frau Ingrid Remmers, Bundestagsabgeordnete (Die Linke), hatte sich in Münster einem Neonazi-Aufmarsch entgegengestellt. "Nicht alles optimal gelaufen", so damals (2012) der Polizeipräsident.
tomás zerolo
"... zahlreiche polizeifeindliche Sprüche gerufen worden seien."
Achgottchen. Wie üblich ist die Polizei mehr um ihre "Ehre" als um ihren Job bemüht. Wenn irgendwo vier Buchstaben auf einem T-Shirt stehen scheint wichtiger zu sein als wenn mal wieder eine Unterkunft für geflüchtete Menschen brennt.
Versteht mich nicht falsch: Polizist*innen leisten grossartiges, haben einen harten Job, verdienen alle Anerkennung der Welt und sind unterbezahlt.
Aber bei all diesen strukturellen Problemen wird all das Gute zunichte gemacht. Traurig.
Ajuga
"Für den Fall, dass tatsächlich ein Beamter es „als ihm egal“ dargestellt habe, als sich Nagel auf der Demo als Abgeordnete zu erkennen gegeben hatte, bat Demmler die Linken-Parlamentarierin um Entschuldigung."
Da gibt es nichts zu "entschuldigen", da gibt es "die Sicherheitskräfte von gewaltbereiten Antidemokraten zu säubern".